Totale menschliche Freiheit
Herbert Marcuse als Kunsttheoretiker
Von Rolf Löchel
Die seinerzeitigen Theoretiker der Frankfurter Schule sind nicht gerade trendy, und am wenigsten dürfte es deren Linksaußen Herbert Marcuse sein. Dessen ungeachtet hat der zu Klampen Verlag das Wagnis unternommen, seine "Nachgelassenen Schriften" herauszubringen, von denen nun der zweite Band "Kunst und Befreiung" vorliegt. Ähnlich wie Adorno befasste sich Marcuse immer wieder mit Fragen zum Verhältnis von "Kunst und Befreiung"; so bereits in seiner Dissertation "Der deutsche Künstlerroman" (1922) und ebenso auch noch in seiner letzten großen Schrift "Die Permanenz der Kunst" (1977).
Der von Gerhard Schweppenhäuser ausführlich und kenntnisreich eingeleitete Band versammelt acht Texte aus den Jahren 1945 bis 1977. Es handelt sich um Entwürfe zu Publikationen, Vortragsmanuskripte und Briefe. Sie thematisieren unter anderem die "Kunst in der eindimensionalen Gesellschaft" und "als Form der Wirklichkeit", die Liebe in Prousts "Recherche" oder sie setzen sich mit Adornos Verdikt auseinander, dass es barbarisch sei, nach Auschwitz Gedichte zu verfassen. Die Frage, ob Lyrik nach Auschwitz noch möglich sei, bejaht Marcuse in dem 1978 verfassten Text, wenn sie denn "mit unnachsichtiger Verfremdung den Schrecken re-präsentiert". Adorno selbst war in den 60er Jahren von seinem ehemaligen Urteil zwar auch schon abgerückt, Marcuse schließt an seinen Befund jedoch die überraschende Frage an, ob sich nach Auschwitz auch die Möglichkeit von Prosa behaupten lasse. Zwar sorgen etliche der Schriften immer wieder für Irritationen, die befremdlichste Äußerung findet sich allerdings in diesem Text: Auschwitz zeige, so Marcuse, "die totale menschliche Freiheit". Es sei dies die Freiheit zu millionenfachem Mord.
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