Hieb- und Stichworte von "Abenteuer" bis "Zürcher Ausgabe"

Das neue "Karl-May-Lexikon" nebst einigen Anmerkungen zu weiteren Karl-Mayiana

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht der Zug, die Kutsche, das Pferd oder gar die Füße: Bücher waren das wichtigste Transportmittel Karl Mays. In Gedanken reiste er in alle Länder dieser Erde, mit dem Zeigefinger wählte er auf der Landkarte die Route, aus dürren topografischen Angaben erhoben sich vor seinem geistigen Auge Gebirge, Wüsten, Savannen, Schluchten, in deren Wildnis er seine Helden Abenteuer bestehen ließ. Die Ortskenntnis Old Shatterhands und die Sprachgewandtheit in praktisch allen Dialekten Kara Ben Nemsis stammte aus Enzyklopädien, Wörterbüchern und Lexika.

Interessiert, wahrscheinlich begeistert hätte Karl May das Buch in die Hand genommen, das nun, 78 Jahre nach seinem Tod, erschienen ist: "Das große Karl-May-Lexikon" von Michael Petzel. Sofort wäre ihm aufgefallen, wie reich illustriert dieses Werk - im Gegensatz zu den gewohnten lexikalischen Bleiwüsten - auftritt. Nicht weniger als 216 Abbildungen zieren die 413 Seiten, wenige davon stammen aus Mays Zeit, die meisten zeigen Schauspieler, Marketingprodukte oder Buchumschläge. Elke Sommers wohlgeformter Ausschnitt ist zu sehen, Eddi Arent mit Winchester im Arm, der Filmmusik-Komponist Martin Böttcher im Gespräch mit Pierre Brice, aber auch die "Villa Bärenfett" oder "Unterwäsche à la Karl May". Am schönsten sind die Seiten, auf denen in chronologischer Folge Winnetou-, Old-Shatterhand- oder Kara-Ben-Nemsi-Darsteller über die Jahrzehnte hinweg zu sehen sind.

Damit wird schon klar, dass sich das Lexikon nicht an den May-Forscher richtet (mindestens die Hälfte der Einträge beschäftigt sich mit Vermarktung und Rezeption des großen kleinen Sachsen), sondern an den "Karl-May-Leser und Fan". Den wird auch der Text nicht enttäuschen, denn locker und vergnüglich schreibt Petzel seine Artikel, z. B. "Feuerwasser: Klingt hübscher als Schnaps, kommt aber auf dasselbe hinaus. Für Fans gibt es diverse Spezialabfüllungen. Die werden weniger getrunken, sondern eher gesammelt. Für Genießer: Old Firewater, Elsper Feuerwasser, Old Wabble Straight Bourbon Whiskey". Bei diesem wie bei vielen anderen Stichworten wartet der Autor mit Bezugsquellen auf, listet Adressen über Adressen auf, natürlich auch solche für Autogrammwünsche. Für die May-Bewunderer, die Festspielbesucher und die Leser von Fan-Magazinen wie "Karl May & Co" bleibt wohl nichts zu wünschen übrig, da der ganze Rezeptions- und Vermarktungsbereich breit abgedeckt ist.

Doch Petzel bietet noch mehr, nämlich zahlreiche Stichworte zu Helden wie Selim Agha, Mutter Thick (die allerdings Old Shatterhands Haare nicht ausrupft, sondern abschneidet!) oder Kara Ben Nemsi. Natürlich will er damit keine Konkurrenz sein zu Kosciuszkos grandiosem "Karl-May-Figuren-Lexikon" (das im gleichen Verlag in neuer, verbesserter Auflage erschien). Seine Stichworte informieren über den Band, in dem die Person zu finden ist, ihre Haupteigenschaften, ihr Schicksal, und oft zitiert er klug ausgewählte Textausschnitte, die Lust zum Weiter- oder Wiederlesen machen.

Zutiefst dankbar werden ihm viele Leser sein, dass er die unübersichtliche Lage der Karl-May-Ausgaben in vielen Artikeln klärt, beispielsweise: "Bamberger Ausgabe: Die meisten Bände sind bearbeitet (,von Unstimmigkeiten und Weitschweifigkeiten befreit'). Die höheren Bandnummern (ab 71, erschienen 1967) enthalten Urtexte." Oder: "Historisch-kritische Ausgabe:... Derzeit erscheint die Historisch-kritische Ausgabe im Eigenverlag von Hermann Wiedenroth (Bücherhaus Bargfeld). Ziel der Edition ist es, ,erstmals einem breiten Publikum verläßliche und in ihrer Entstehung durchschaubare Texte aller Schriften Karl Mays zugänglich zu machen...' Das Unternehmen leidet jedoch unter dem Umstand, daß dem Herausgeber die im Karl-May-Verlag vorhandenen Manuskripte Karl Mays verschlossen sind." Oder: "Pawlak-Verlag:... Pawlak griff auf die frühen Ausgaben zurück, so daß eine weitgehend originale Karl-May-Edition entstand (allerdings mit deprimierenden Einbandzeichnungen)."

Auch zum Werk gibt es Einträge wie zum Beispiel zur Lyrik, dazu viele Stichworte zum Leben Mays, zu Städten und Stätten, die mit ihm und seinen Büchern verbunden sind; das alles mit ebenso akribischen wie ausführlichen Literaturangaben versehen.

So entspricht der hohe Gebrauchswert des Lexikons für den May-Begeisterten voll und ganz der Qualität des sehr lesenswerten und unterhaltsamen Buches.

Das kann man von Jürgen Helfrichts "Wahren Geschichten um Karl May" nur in Maßen sagen, außer man erfreut sich als schlichteres Gemüt am kompakt bis kurzatmig dargebotenen Schnurrigen aus dem Leben des großen Sachsen. Als unterhaltsame biografische Einführung für spät berufene Karl-May-Verehrer kann man das chronologisch angelegte Büchlein wohl auch empfehlen.

Zum Schluss noch ein Augenöffner der besonderen Art, der die May-Gemeinde so in Unruhe und Empörung versetzte wie vorher eigentlich nur Arno Schmidts "Sitara". Johannes Zeilinger schreibt nämlich in "Autor in fabula" nicht nur detailliert, anschaulich und humorvoll über die Rolle der Medizin im Orientzyklus (z. B. die Verbreitung des Gipsverbandes auf dem Balkan, Placebo-Einsatz und Naturheilverfahren), er diagnostiziert viel genauer als seine Vorgänger, worin Mays psychische Erkrankung bestand - bisher behalf man sich mit den unscharfen, unmedizinischen Begriffen wie "Mythomanie" oder "Pseudologia fantastica". Das genügte nun schon, Widerspruch zu erregen, doch in diesem Zusammenhang sammelt Zeilinger zahlreiche Indizien, mit deren Hilfe er Mays zeitweise Erblindung in der Kinderzeit als Selbststilisierung bezeichnet: "So ist in doppelter Hinsicht", schreibt er, "die Blindheitsepisode des jungen May eine ophtalmologische Unmöglichkeit", und "die autobiographische Schilderung der frühkindlichen Blindheit und deren wundersame Heilung [muß] als nachträgliche Heroisierung oder gar Allegorisierung verstanden werden." Dass die Blindheit - wie so vieles andere - eine Erfindung sein könnte, lässt mancherlei in anderem Licht erscheinen, denn als Motiv taucht sie in den Werken sehr häufig auf. Seit Zeilinger seine These publizierte, tobt unter den Fachleuten ein E-Mail-Krieg auf den Homepages der Karl-May-Stiftung. Vielleicht ist die Aufregung aber auch so groß, weil ein Außenseiter sich an zentrale Fragen der May-Forschung wagte. Wie auch immer, Zeilingers Buch steckt voller bedenkenswerter Überlegungen und überraschender Tatsachen.

P. S. Am Ende sei doch noch auf Frederik Hetmanns Karl-May-Biografie hingewiesen, die sich keineswegs nur an jugendliche Leser wendet. Hier schreibt jemand, der von May - mehr noch als Person, denn als Autor - fasziniert ist, gleichwohl nie seine kritische Distanz verliert, der die Sekundärliteratur durchforstet hat und dennoch eigenständige Urteile fällt, der sich Zeit nimmt für Exkurse und stets in seiner Subjektivität sichtbar bleibt. Vielleicht kommt die Bearbeitungspraxis des Karl-May-Verlages und überhaupt das Schicksal der Werke nach Mays Tod etwas zu en passant vor, aber ansonsten kann man die umfangreiche, fundierte Lebensgeschichte, die gleichweit von Hagiographie wie von trockener Philologie entfernt ist, als Einführung guten Gewissens empfehlen.

Titelbild

Jürgen Helfricht: Wahre Geschichten um Karl May.
Tauchaer Verlag, Zwickau 1999.
80 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 389772006X

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Titelbild

Frederik Hetmann: "Old Shatterhand, das bin ich". Die Lebensgeschichte des Karl May.
Beltz Verlagsgruppe, Weinheim/Basel 2000.
318 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3407808720

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Kein Bild

Johannes Zeilinger: Autor in fabula. Karl Mays Psychopathologie und die Bedeutung der Medizin im Orientzyklus.
Hansa Verlag, Husum 2000.
160 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3920421787

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Titelbild

Michael Petzel: Das große Karl-May-Lexikon. Von der Wüste zum Silbersee: Der große deutsche Abenteuer-Mythos. Alles über die Winnetou-Welt.
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2000.
413 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3896022377

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Titelbild

Bernhard Kosciuszko (Hg.): Karl May Figurenlexikon. Die Figuren Karl Mays nach den Originaltexten.
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2000.
560 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 389602244X

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