Verdi als Idol
Franz Reichs mythenselige Verdi-Biographie
Von Christina Ujma
Franz Reichs graphisch sehr ansprechend gestaltete Verdi-Biographie entspringt der Verehrung für den Meisterkomponisten, sie hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, kommt ohne Fußnoten und ohne Literaturliste aus. Dafür liegt eine CD mit Ausschnitten aus "Rigoletto" bei und im Anhang findet sich ein graphologisches Gutachten über Verdis Schrift, aus dem hervorgeht, dass der Komponist temperamentvoll, leidenschaftlich, willensstark, aber auch sensibel, natürlich und offen war.
Reichs Verdi-Buch ist auch keine Biographie im strengen Sinn, denn sie beschränkt sich im wesentlichen darauf, diverse Mythen, die Verdis Leben umranken, nachzuerzählen und diese teilweise auszufabulieren. Da erfährt der Leser, was Vater Verdi zu seiner Frau sagte, als er dem kleinen Giuseppe ein Spinett kaufte, was Gönner Barezzi sich so dachte, als er sich entschloss, den vielversprechenden Gastwirtssohn zu fördern, womit Verdis Musiklehrer ihn im Unterricht aufmunterte usw. An guten Tagen scheint in Reichs Buch immer die Sonne, z. B. als Verdi zum Studium 1836 nach Mailand kommt und als er 1836 Margherita Barezzi heiratet. Die große Tragödie in Verdis Leben, der Tod seiner beiden kleinen Kinder, gefolgt vom Tod Margherita Barezzi-Verdis, wird mit gehörigem Pathos, aber glücklicherweise ohne dialogische Ausgestaltung erzählt.
Reich erzählt die rührende Geschichte eines genialen Jungen aus einfachem Hause, der sich trotz Anfechtungen durchsetzt, weil er fest an die Kunst glaubt. Die Lebensbeschreibung im Stil der Regenbogenpresse nimmt allerdings nur geringen Raum in der Biographie ein, Reich geht es im wesentlichen um die Opern Verdis und hier ist er zwar kein kritischer, aber ein kenntnisreicher Erzähler. Beschreibt er Verdis Durchbruch mit der Oper "Nabucco" (1842) noch mit sentimentalem Überschwang, wird er mit zunehmendem Erfolg Verdis sachlicher.
Intensiv geht Reich auf die sonst eher vernachlässigten Frühwerke ein. Verdi selber hat die Jahre von 1844 bis 1851 als seine Galeerenjahre bezeichnet. In diesen Jahren schrieb er eine große Zahl von Opern, um sich fest als bedeutendster Komponist Italiens zu etablieren. Die frühen Werke erwiesen sich für diesen Zweck als bestens geeignet, sie waren bei den Zeitgenossen ungeheuer erfolgreich, wurden aber von der Nachwelt schnell wieder vergessen. Das Frühwerk - mit Ausnahme von "Macbeth" und "Nabucco" - wurde im 20. Jahrhundert selbst von freundlichen Kritikern oft nicht sonderlich positiv beurteilt, obwohl es in den letzten Jahren zu einigen Neubewertungen gekommen ist. Reich diskutiert einige musikdramatische Aspekte der frühen Opern und weist auf Verbindungen zu späteren Kompositionen hin. Da es sich bei einigen frühen Opern um Vertonungen von bedeutenden literarischen Werken, u. a. von Byron und Schiller handelt, ist die Verbindung von Literatur und Musik ein anderes Thema. Reich schildert, dass Verdi nicht nur die musikalische, sondern auch die dramatische Umsetzung seiner Opern wichtig war. Er überwachte die Einstudierung der Uraufführungen seiner Werke mit fanatischem Eifer und verlangte größtmögliche darstellerische Präzision von den Sängern. Reich schildert Verdis Angewohnheit, die Sänger solange mit Proben zu nerven, bis ihre Interpretationen seiner Auffassung nahekam. Dies war in der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit, im Gegenteil, so der Autor, es dominierten der Belcanto und die Egotripps berühmter Solisten.
Nicht nur die Verschränkung von Musik und Literatur diskutiert Reich, sondern auch die politischen Dimensionen von Verdis Werken, er ordnet diese jedoch kaum in den Kontext des italienischen Kultur- und Geisteslebens ein. Der frühe Verdi sei der 'Maestro della rivoluzione' gewesen, das Freiheitspathos seiner Werke habe nicht unwesentlich zu deren Erfolg beigetragen. Mit "La battaglia di Legnano" (1849) habe er während der Revolution von 1848/49 sogar eine "Kampfoper" geschaffen.
Auch auf Werk und Kontext der "Trilogia populare", die drei populären Opern "Rigoletto" (1851), "Troubadour" (1853), "La Traviata" (1853), geht Franz Reich noch ausführlich ein. Danach werden die biographischen Ausführungen jedoch recht spärlich, der letzte Teil der Biographie besteht vor allem aus Aneinanderreihungen von Inhaltsangaben der späten Opern.
Statt biographischer Informationen steht am Schluss der Biographie ein fiktiver Besuch auf Verdis Landgut Sant'Agata, wo der Maestro und seine Frau Giuseppina Strepponi-Verdi ein harmonisches Leben im Einklang mit dem Land und seinen Bewohnern führen. In einer Plauderei mit Verdi über sein Gut Sant' Agata erscheint der Hausherr ganz als bescheidener Landmann, den vor allem die Bewirtschaftung seiner Ländereien interessiert; allerdings seien im Geflüster der Baumblätter 'verdische' Töne wahrzunehmen.
An dieser Darstellung ist richtig, dass der späte Verdi sich gern als Bauer stilisierte und ihn sein Gut sehr beschäftigte, soweit seine europaweiten Verpflichtungen dafür Zeit ließen. Die Tatsache, dass das Ehepaar Verdi Sant'Agata zu einem eleganten Landsitz ausgebaut hatte, auf dem die zeitgenössische Künstlerwelt aus- und einging, dass Verdi nicht nur weltberühmt, sondern auch weltgewandt war, bleibt von Reich unerwähnt, wie so manch' andere Widersprüche, die die Heiligenlegende trüben oder das Bild Verdis realistischer erscheinen lassen könnten. Seine Kontroversen mit der jüngeren Generation der italienischen Komponisten, die Rivalität mit Wagner, die Abneigung gegen die Kirche, alles was den Maestro kontrovers erscheinen lassen könnte, wird nur kurz oder gar nicht erwähnt, was um so absurder ist, weil dieser ein ziemlicher Hitzkopf war und ständig Streit hatte. Umstände, die nicht so ganz ins Heiligenbild passen, werden von Reich mit dem Verweis abgetan, dass wo viel Licht, eben auch viel Schatten sei.
Diese Idealisierung Verdis ist eigentlich unnötig, weil dieser selbst mit seinen Schattenseiten ein ziemlich netter Mensch war, vor allem im Vergleich mit zeitgenössischen Künstlern und Kollegen. Verdis Testament, das im Anhang abgedruckt ist, illustriert dies aufs Schönste. Er vererbte den Großteil seines Vermögens wohltätigen Einrichtungen, die Erträge seiner Opern kamen jedoch seinem letzten Projekt zu, der Mailänder 'casa di risposo', einem Altersheim für bedürftige Musiker.
Allzu viele Differenzierungen sind offensichtlich nicht im Sinne des Biographen, denn, wie am Schluß ausdrücklich gesagt wird, hat sein Buch das Ziel, einen großen Menschen und einen großen Künstler zu beschreiben. Damit ist es Lektüre für Fans, oder wie man bei Opernfreunden sagt, für Liebhaber, die sich daran erfreuen, wenn ihr Idol im hellsten Lichte strahlt.