Liebe in Zeiten der Ehe

Kati Naumanns Roman "Was denkst du?"

Von André HilleRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Hille

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lisa und Tom sind seit über zwanzig Jahren verheiratet. Die Töchter studieren und sind längst aus dem Haus. Eines Tages entdeckt Lisa in Toms Anzugstasche zwei Karten für das Musical "Cats" inklusive einer Zugfahrt erster Klasse nach Hamburg. Voller Vorfreude wartet sie darauf, dass ihr Mann sie überraschen will. Doch vergeblich. An dem besagten Wochenende müsse er auf eine Schulung nach Hamburg, teilt er seiner Frau mit. Und ihr wird schlagartig klar: Ihr Mann betrügt sie. Der Konflikt, der gleich zu Beginn etabliert wird, ist altbekannt: Die Geliebte drängt auf die Scheidung, die Ehefrau kämpft um den Mann und der Ehemann steht zwischen den Fronten und weiß irgendwann nicht mehr, was er noch denken soll.

Abwechselnd werden Toms und Lisas Sicht auf die Dinge dargestellt: Toms Glück mit Brit (der Geliebten) in Hamburg. Lisas Wut und Enttäuschung zu Hause. Die beiden Perspektiven werden als Gedankenstrom präsentiert: kein Dialog, kein Absatz, keine Markierung der zeitlichen Sprünge.

Die Erzählweise - das Aneinandermontieren der gleichen Ereignisse aus unterschiedlichen Einstellungen - ist nicht neu, aber geschickt und konsequent umgesetzt. Die beiden Protagonisten scheinen in einem Universum der Einsamkeit zu treiben. Schade nur, dass dadurch nie eine direkte Begegnung über den Dialog zustande kommt. Jedes Ereignis findet so nur indirekt seinen Weg zum Leser, gefiltert durch den Kommentar einer der beiden Charaktere.

Der Konflikt spitzt sich langsam zu. Um näher an die Geliebte des Mannes heranzukommen, nimmt Lisa einen Job als Friseuse in dem Geschäft an, in dem sich Brit alle zwei Wochen ihre Haare richten lässt. Das amüsante Versteckspiel beim Haarewaschen nimmt seinen Lauf. Brit kennt Lisa, denkt aber, sie wisse nichts von der Affäre. Lisa weiß, dass Brit sie für ahnungslos hält und nutzt dies weidlich aus, um ihr Halbwahrheiten über Tom unterzuschieben. Unverfänglich erzählt sie zum Beispiel, dass ihr Mann verrückte Klamotten mag, woraufhin sich Brit in knallenge Lederklamotten zwängt. Tom hingegen wundert sich, dass Brits Verhalten und Kleidung immer auffälliger wird.

Erstaunlich nur, das in der gesamten Schilderung dieser Dreiecksgeschichte ein Aspekt ausgespart bleibt: der der Sexualität. Immer wenn Tom und seine Geliebte sich treffen und im Bett liegen, wird ,Handlung' ausgespart und das Thema Erotik, aus welchen Gründen auch immer, weiträumig umgangen.

Kati Naumann erzählt diskret, unkompliziert und schmucklos. Wo zum Beispiel ein Georg Klein in seinem absoluten Stilwillen jeden Satz ziseliert und teilweise bis zur Unerträglichkeit genau ist, geht Kati Naumann leger, fast nachlässig mit der Sprache um. Sie schreibt einfach, beinahe trivial: "Mir wurde klar, daß man niemandem trauen konnte, wahrscheinlich nicht einmal sich selbst." Und an anderer Stelle: "Ach, Scheiße, das Leben könnte so einfach sein, wenn es nicht so kompliziert wäre."

Die Autorin lebt und arbeitet in Leipzig. Die Ankündigung auf der Rückseite ihres Buches, hier werde eine Geschichte über "zwei Liebende im Osten erzählt", die "viel von dem, was die Historienbücher vergessen werden" zeige, weckt Erwartungen. Doch bis auf einige eingestreute Sentenzen, meist Erinnerungen, bleibt eine Darstellung der ostdeutschen Befindlichkeit aus. Im Gegensatz übrigens zur Berliner Autorin Annett Gröschner, der tatsächlich eine umfassende Darstellung ostdeutscher Vergangenheit und Gegenwart in ihrem Roman "Moskauer Eis" gelingt, geht Naumann nicht über das Einstreuen einiger melancholischer Reminiszenzen hinaus.

"Was denkst du?" ist zugleich die Geschichte einer Emanzipation. Ohne Kontakte nach außen hat sich Lisa jahrzehntelang nur auf die Beziehung zu Tom gestützt. Mit Toms Affäre zerbricht für Lisa diese Illusion. Sie kämpft um Tom, verliert ihren Job als Bibliothekarin und findet eine neue, wesentlich anspruchsvollere Arbeit. Allmählich erlangt sie Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit. Sie wandelt sich von einer grauen Maus, die sehr von ihrem Mann abhängig ist, zu einer lebenstüchtigen und starken Persönlichkeit.

Das Männerbild hingegen erscheint etwas pubertär. Tom, ehemals mit Leib und Seele Gitarrist einer Provinzband, ist von heute auf morgen ins Versicherungsfach gewechselt, denn "das Leben war schließlich nicht nur zum Vergnügen da." Tom freut sich wie ein kleiner Junge, wenn er einen Science-Fiction-Film im Kino sieht und liest nichts außer Donald-Duck-Comics. Seine Reflexionen über das andere Geschlecht bewegen sich auf dem Niveau eines 16jährigen: "Die beste Freundin einer Frau ist etwas Schreckliches. Frauen sprechen über Sachen, über die ich nicht einmal nachdenken würde, also Gefühle und so was."

"Was denkst du?" ist ein schlichter Roman über unerfüllte Sehnsüchte, finanzielle Sorgen, das Älterwerden und über die Möglichkeit der Liebe nach über 20 Jahren Ehe. Die Erkenntnis der Hauptfiguren, dass das Leben irgendwann jeden einholt und keine Illusion Bestand hat, macht den Roman auch zu einer Geschichte über eine verspätete oder ausgebliebene Reifezeit.

Titelbild

Kati Naumann: Was denkst du? Roman.
Kindler Verlag, Berlin 2001.
238 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-10: 346340415X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch