Ich habe das Fieber der ganzen Welt in den Augen
Klaus Kinski konnte auch Gedichte schreiben
Von Ulla Biernat
Natürlich hat Klaus Kinski auch ein Gedicht über sich selbst geschrieben. "Kinski" heißt es und nimmt alle Etiketten vorweg, die man dem Schauspieler im Laufe seines schillernden Lebens an den Kopf geworfen, in den Hintern geschoben oder ums Maul geschmiert hat: "Genie / Wahnsinniger [...] pathologisch / göttlich [...] Engel / Teufel [...], in seiner Generation ohne Vergleich'". Schon 1952, als sich der gebürtige Schlesier mit gerade 26 Jahren wie ein Besessener dichterisch austobte, war ihm und seinem Publikum das alles klar. Was danach kam - die Karriere als Filmschauspieler, die Rolle als Provokateur vom Dienst und das einsame Sterben in Kalifornien - ist nur eine endlose Variation auf das Kinski-Thema.
Diesen Eindruck vermitteln nachdrücklich Kinskis Jugend-Gedichte und Tagebuch-Fragmente, die 1999 auf einer Auktion auftauchten und jetzt erstmals unter dem Titel "Fieber. Tagebuch eines Aussätzigen" veröffentlicht worden sind. Ihren Weg an die Öffentlichkeit fanden die verschiedenen Manuskripte über den Nachlass einer Jugendfreundin Kinskis. Aber wann genau und unter welchen Umständen die Verse entstanden, können weder Herausgeber Peter Geyer erklären noch Thomas Harlan, Kinskis Saufkumpan und Mitrevoluzzer aus den Pariser Jahren. Wie Harlan in seinem Vorwort wirr zusammenfaselt, las Kinski Anfang der 50er Jahre eine junge norwegische Obdachlose auf, fütterte sie mit Baguette und eben jenen leidenschaftlichen Gedichten.
Typische Liebesgedichte sind es nicht. Schon die Titel lassen Kinskis störrischen Weltschmerz erahnen: "Der Weltirrsinn", "Flehend entgegen", "In jedem Herz sind Steine", "Angefeilte Seele", "Der Schrei", "Ach gebt mir meinen Tod" - hier kämpft ein gequälter, ungeduldiger Außenseiter mit dem Leben. Kinski zieht alle Register, von melancholisch bis rebellisch, vergeht sich in obszönem Ton an Gott und der Welt. Ganz gleich ob im stilsicheren Kurz- oder Langgedicht, ob mit Reim oder in freien Rhythmen - Kinski weiß den Sound der Expressionisten sowie die Drastik ihrer Bilder von Tod und Verfall zu nutzen: "Bin ich gestorben oder nicht! / der Tod sitzt furzend auf dem Topf - / sein Maul und Afterloch bläst seuchefleckiges Gelee / auf meiner Felder weißgebranntes Klee". Oder "Das jüngste Gericht": "Der Mond hat alle Wolken totgebissen - / die Vögel haben keine Drüsen mehr - / wäßrige Sonnen kriechen krank und schwer / über den Himmel, und zerrissen / laufen sie langsam aus wie kalter Teer."
"Kinski starb am 23. November 1991, in der gleichen Woche wie Freddy Mercury", so der Herausgeber des Bandes. Und wenn man bedenkt, dass am selben Tag wie Queen-Sänger Mercury auch Schlagerbarde Roy Black das Zeitliche segnete, wird einem die ganze Ungeheuerlichkeit von Kinskis Leben bewusst. "Ich habe das Fieber der ganzen Welt in den Augen", schreibt Kinski lakonisch. Und es sind jene fiebrigen Augen, die von den bisher teilweise unveröffentlichten Fotos auf den Betrachter niederstarren. Zusammen mit den Gedichten prägen sie das Bild vom aufmüpfigen Künstler, der seinen Zeitgenossen über den Kopf gewachsen ist.