Mein Leben ist ein einziges Grauen
Christine Lavants Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus
Von Rolf Löchel
Ein halbes Jahrhundert nach ihrer Niederschrift sind Christine Lavants "Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus" nun erschienen. Es handelt sich bei ihnen um einen der nicht allzu zahlreichen Prosatexte der zu Unrecht nur als Lyrikerin renommierten österreichischen Autorin. Vor fünf Jahren war der 1946 verfasste Text, dessen Existenz bisher nur aus Briefen bekannt war, zufällig im Londoner Nachlass der Schriftstellerin und Übersetzerin Nora Purtscher-Wydenbruck gefunden worden. Anette Steinsiek und Ursula A. Schneider haben das Manuskript herausgegeben und mit einem Nachwort versehen.
In unprätentiösen und scheinbar "gewöhnlichen Worten" schreibt die namenlose Ich-Erzählerin, eine "nicht ans Ziel gekommene Selbstmörderin", ihre Erlebnisse während eines "Irrenhaus"-Aufenthaltes nieder. Oft genug wird sie dabei von Schwestern oder Mitinsassinnen gestört, so dass sie ihr Heft schnell mit dem Löschblatt abdecken muss. Nach einem missglückten Suizidversuch hat sie sich freiwillig zu einer sechswöchigen Arsentherapie in die Anstalt begeben. Die unerfüllte Liebe zu einem verheirateten Arzt hatte sie Gift nehmen lassen. "Welche Liebe", klagt die Erzählerin, "ist unglücklicher als diese, die nie gefordert und so auch nie geleistet wird".
Lavants "Aufzeichnungen" erzählen vom Leiden eines jeden an sich selbst und dem aller an allen, von der Tyrannei der anderen und von der Hilflosigkeit liebender Gesten - eben von "allerlei unbeschreibliche[m] Grauen", dem Patientinnen, Schwestern und Besucher je auf ihre Art ausgesetzt sind. In der Anstalt wachsen "ewig Berge der Qual", notiert die Ich-Erzählerin einmal, aber auf ihren Gipfeln befinden sich nicht die Insassinnen, sondern jene, "die täglich liebend hierher kommen und verzweifelt wieder gehen". Und wenn es in dieser allgegenwärtigen Trostlosigkeit überhaupt einen Moment des Glücks gibt, so "das Erwarten! Die wunderbare Bereitschaft zu Erlebnissen, die endlich einmal kommen müssten".
Wie die Herausgeberinnen aufzeigen, lassen sich starke autobiographische Bezüge zu Lavants Leben nachweisen. Doch gleichviel, ob es sich um autobiographische Aufzeichnungen oder eine literarische Fiktion handelt: Jedes Wort ist vollkommen wahr. Ihr Leben sei "ein einziges Grauen", schreibt Lavant 1958 in einem Brief. Ihr Buch hingegen ist wunderbar.
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