Der Geschichte gilt es zu dienen, niemandem sonst
Sten Nadolny und die "Guten Ideen"
Von André Hille
Es ist immer verdächtig, wenn ein weitgehend renommierter Autor außer der Reihe etwas veröffentlicht; Reden, Vorlesungen oder Gesammeltes, etwas, dass der wichtige Autor irgendwann zu irgendwelchen Themen von sich gegeben hat. Allzu schnell drängt sich der Gedanke auf, der Verlag will den Namen im Umlauf halten, will die Zeit bis zum neusten Werk überbrücken, den "Betrieb" nicht enttäuschen.
Bei Nadolny ist es anders. Dieser Autor meint es ernst. Er meint es ernst mit den Studenten, denen er die Poetik-Vorlesungen 1990 und 2000 in Göttingen und München gehalten hat, er meint es ernst mit den Lesern, denen er nicht Abgestandenes aus Gründen der Drittverwertung präsentiert, doch er meint es - zum Glück - nicht ganz so todernst mit sich selbst und der Schriftstellerei. Mit viel Ironie und Distanz zur eigenen Person sowie zum so genannten (Literatur-) Betrieb reflektiert er über sein eigenes Schreiben. Dass er sich phasenweise dabei hinter einem im doppelten Sinne fiktiven, sehr komplexen Romanprojekt versteckt, tut der Sache keinen Abbruch, denn der Autor weiß um dieses Verstecken und spielt das Spiel trotzdem weiter. Ständig wird die Geschichte mit dem Titel "Glashütte bis Hautflügler" vorangetrieben - ein erstaunlich weit gediehenes Projekt mit fein ausdifferenzierten Figuren, dessen Motivation (ein gescheitertes Romanprojekt?) unklar bleibt. Unwahrscheinlich jedoch, dass es sich dabei lediglich um ein Konzept zur Auflockerung der Vorlesungsreihe handelt.
Zwischendurch flicht Nadolny eine Unmenge eigener Erfahrungen, Pointen, Bonmots und Reflexionen ein, die sich genauso amüsant wie tiefsinnig lesen. Bei dem Kapitel über den "flow" zum Beispiel, diesen manischen Ausnahmezustand, der einen beim Schreiben, beim Lesen oder anderen Tätigkeiten packt, diesen "Feuereifer der nicht aus Wunsch und Willen, sondern aus der Sache selbst kommt", gerät man selbst hinein in den Strudel aus Nadolnys wohlgewählten Worten, die immer wieder über das bloße Thema hinausweisen: "Wir sind immer dann ganz bei uns, ganz in unserer Zeit, wenn wir nicht auf die Uhr schauen, nicht über Stunden und Minuten nachdenken. Literatur hat die Eigenschaft [...] einen besonderen Umgang mit Zeit sowohl zu brauchen als auch, wenn sie fertig ist und gelesen wird, zu repräsentieren, eine geistesgegenwärtige, zeitvergessene Langsamkeit."
"Das Erzählen und die guten Ideen" lässt sich nur schwer einordnen in der langen Reihe der Creative-writing-Bücher. Im Grunde sind es viele kleine Geschichten, die Nadolny erzählt und die meist den Autor Nadolny zur Hauptfigur haben. Nadolny erzählt sich selbst in diesem Buch. Er beschreibt Erkenntnisse über die Phasen des Schreibens, von der vagen Idee über die jahrelange Arbeit, die Veröffentlichung, die Gefahren des Kulturbetriebs ("Die künstlerische Vitalität verhält sich zum Kulturbetrieb etwa wie die Natur zur Landwirtschaft oder, höflicher, zur Gärtnerei") bis hin zur Vorstellung eines altersweisen, nicht mehr zwanghaft schreiben müssenden Autors. Das Buch ist eine Goldgrube für alle mit Selbstzweifeln behafteten Schriftsteller, ein Buch, das die, die es angeht, nach dem Lesen voller Anstreichungen und Randbemerkungen zurücklassen werden.
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