Solide Darstellung
Herfried Münklers Grundkurs der Politikwissenschaft
Von Samuel Salzborn
Je weiter sich eine Wissenschaftsdisziplin ausdifferenziert, desto schwieriger wird die Darstellung eines Gesamtüberblicks über ihre Geschichte, ihre Gegenstände sowie ihre theoretischen und methodischen Ansätze. Für die noch vergleichsweise junge Politikwissenschaft in Deutschland trifft dies in besonderem Maße zu. Denn das Fach war aufgrund der Vielzahl seiner Forschungsgegenstände stets geprägt durch eine große Pluralität von theoretischen Analysemodellen und methodischen Forschungsansätzen. Der renommierte Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat nun mit dem von ihm herausgegebenen Grundkurs Politikwissenschaft einen aktuellen Versuch unternommen, die Vielzahl der Themenfelder des Faches in einem möglichst umfassenden Überblick darzustellen, dabei exemplarische Vertiefungen vorzunehmen und überdies in die gebräuchlichen Methoden einzuführen. Dieser Versuch kann insgesamt als überaus gelungen und nützlich für Forschung und Lehre gelten.
Der über 730 Seiten starke Band ist in drei Hauptteile untergliedert. Im ersten werden Geschichte, Gegenstand und Methoden der Politikwissenschaft in drei Aufsätzen vorgestellt, von denen sich der erste der Geschichte und dem Selbstverständnis der Politikwissenschaft in Deutschland, der zweite ihren Gegenstandsbereichen und Anwendungsgebieten und der dritte ihren Theorien, Methoden und Forschungsansätzen widmet. Der vom Umfang her größte zweite Teil des Bandes mit insgesamt 14 Beiträgen stellt die Subdisziplinen der Politikwissenschaft vor und geht auf deren weitere Ausdifferenzierungen ein. Im Einzelnen werden hier die politische Ideengeschichte, die normative/ökonomische politische Theorie, die vergleichende Politikwissenschaft (vergleichende Analyse politischer Systeme, Transformation politischer Systeme), die Innenpolitik (politisches System der Bundesrepublik, Policy-Forschung und Verwaltungswissenschaft), die internationalen Beziehungen (Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungsforschung, internationale Organisationen), die politische Soziologie (Parteien und Verbände, NGOs, politische Kommunikation, Wahlen und Wahlforschung) und die politische Kulturforschung vorgestellt. Der dritte Buchteil hat die Praxis der Politikwissenschaft zum Gegenstand. In jeweils einem Aufsatz werden die Berufsfelder für Politikwissenschaftler/innen und die Praxis des wissenschaftlichen Arbeitens dargestellt sowie ein aus Archiven, Forschungsstellen, Vereinigungen, Internetportalen und Fachzeitschriften bestehender Index zur Politikwissenschaft zusammengestellt.
Die Aufsätze des Sammelbandes lösen in unterschiedlichem Maße die an einen Grundkurs gestellten Anforderungen ein. Neben einer soliden Darstellung der wesentlichen Gegenstände, des aktuellen Forschungsstandes sowie konkurrierender Interpretationsansätze und fachlicher Kontroversen ist dabei vor allem auch eine sprachlich ansprechende Form und eine klar gegliederte Darstellung wünschenswert. Denn nicht nur der kleine Kreis von Experten des jeweiligen Teilbereiches sollte mit einem Grundkurs angesprochen werden, sondern das gesamte Feld der politikwissenschaftlich Interessierten, also auch die Studierenden. Und besonders unter Berücksichtigung dieser Zielgruppe wäre es erfreulich gewesen, insgesamt noch etwas mehr Wert auf sprachliche und strukturelle Klarheit zu legen - die Texte des Herausgebers Münkler, der Beitrag von Manfred G. Schmidt über die vergleichende Analyse politischer Systeme oder der von Frank Nullmeier und Achim Wiesner über Policy-Forschung und Verwaltungswissenschaft können beispielsweise sehr gut als Vorbilder für die Kombination von analytischer Schärfe und sprachlich-struktureller Transparenz dienen, an der eine Orientierung sinnvoll gewesen wäre.
Eine besonderes Glanzstück des Bandes ist sein dritter Teil, da hier sowohl Studierenden wie Lehrenden der Politikwissenschaft hervorragende Hilfsmittel an die Hand gegeben werden (so etwa der kommentierte Überblick politikwissenschaftlicher Fachzeitschriften), nach denen man sonst mühselig und zeitaufwendig suchen müsste. Aber auch die Darstellungen der beiden ersten Teile überzeugen durch ihren Überblickscharakter und die nahezu vollständige Darstellung der gegenwärtig in der deutschen Politikwissenschaft relevanten Teildisziplinen. Lediglich die der Politischen Bildung fehlt als eigenständige Darstellung - und das obgleich unter anderem Münkler und auch Dirk Berg-Schlosser in ihren Beiträgen auf die große Bedeutung der Politischen Bildung für die deutsche Politikwissenschaft sowohl historisch (hinsichtlich des Selbstverständnisses als Demokratiewissenschaft nach Ende des Zweiten Weltkriegs) wie auch aktuell hinweisen.
Lediglich ein Beitrag des Bandes erfüllt die Erwartungen nicht: der über Theorien, Methoden und Forschungsansätze von Franz Urban Pappi. Während es in einem 'normalen' Sammelband noch denkbar gewesen wäre, die Pluralität der politikwissenschaftlichen Methoden in einem Beitrag unter diesem Titel auf die subjektiv bevorzugten zu reduzieren, scheint dieses Vorgehen in einem Aufsatz in einem politikwissenschaftlichen Grundkurs als verfehlt. Denn Pappi wird in seinem Beitrag dem umfassend gestellten Thema nicht gerecht, da er mit seinem Focus auf das Rational-Choice-Verfahren und den verhaltenswissenschaftlichen Ansatz nur Minimalaspekte des Themas reflektiert. Und dabei hätte bereits ein Blick in das Standardwerk "Die politischen Theorien der Gegenwart" von Klaus von Beyme oder das von Dieter Nohlen herausgegebene siebenbändige "Lexikon der Politik" Aufschluss über die Methodenpluralität der Politikwissenschaft geben können. Hier besteht bei einer möglichen Neuauflage des insgesamt hervorragend konzipierten Bandes somit dringend Überarbeitungsbedarf.
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