Ein "Schade" - aber ein schön formuliertes
John Updikes neuer Erzählband "Wie war's wirklich" lebt vom melancholischen Blick zurück
Von André Hille
Er sei im Grunde unschuldig, was Sexualität anbelange, sagte John Updike dem ARD-Magazin "Druckfrisch" in einem Interview, und vielleicht könne er gerade deshalb so gut über dieses Thema schreiben. Denn wer alles erlebt, hat nichts mehr zu sagen, so das gewitzte Fazit des 72jährigen Granden der amerikanischen Literatur, dessen neuer Kurzgeschichtenband "Licks of Love", im Deutschen nicht ganz treffend aber durchaus hintersinnig übersetzt mit "Wie war's wirklich", jetzt erschienen ist.
Der Blick zurück, der melancholische, fast schon depressive Lebens-Rück-Blick ist zweifelsohne die Folie, die über allen Geschichten liegt, die Patina, die nahezu alle Figuren überzieht. Mit "In jenen Tagen ..." oder "Wahrlich, die Zeit vergeht ..." beginnen seine Geschichten, woraufhin dann ein meist gealterter, männlicher Erzähler von vergangenen (und besseren) Zeiten, vom prallen Leben, das er verloren hat, und von der tiefen Sehnsucht nach diesem Leben berichtet: "Don Fairbairn hatte zunehmend Mühe, sich zu erinnern, wie es wirklich gewesen war in der breiten Mittelspanne seines Lebens, als er seiner ersten Frau, wie zerstreut auch immer, half, die gemeinsamen Kinder großzuziehen", fängt die Titelgeschichte "Wie war's wirklich" an und hört, 22 Jahre und eine Frau später auf mit der Feststellung: "Zwischen Vanessa und ihm herrschte der Takt von zwei Krüppeln, Opfern der Zeit, die aufeinander angewiesen waren." Die wenigen lebendigen, "von Schönheit überquellenden Augenblicke" waren vergessen und während sie passierten, sehnte man sich etwas anderem, wobei die "Kinder unbemerkt ihre eigenen Fluchten planten."
Man wird in all den Geschichten das Gefühl nicht los, hier geht ein Leben zu Ende, hier zieht jemand Resümee und verarbeitet eine Trauer über das Sterben.
In den meisten Texten blitzt die für Updike typische zarte Figurenzeichnung auf und steht die Analyse bzw. Beschreibung jahrzehntealter, kaputter Ehen im Vordergrund. Teilweise legt er dabei eine Abgeklärtheit an den Tag, die fast schon an Zynismus grenzt und nur aus der großen Distanz, die der Erzähler zum Erzählten hat, zu erklären ist. "Wie war's wirklich" präsentiert weitere Ausschnitte aus den Updike'schen Ehe-Universen, die sich irgendwann allerdings auffallend gleichen - die Figuren werden am Ende austauschbar, scheinen beliebige Namen in der immerselben Konstellation anzunehmen, wobei die Frauenfiguren meist blass bleiben, fast immer "ein wenig zu breite Becken" haben und letztlich nur der männlichen Perspektive dienen.
Updike arbeitet stark mit Stimmungen, die er gekonnt und intensiv evoziert. Dabei sind es oftmals typisch amerikanische, für den europäischen Leser nur bedingt (vielleicht aus einer Medienkenntnis heraus) nachvollziehbare Bilder einer vergangenen Epoche: "Im Pennsylvania der späten Vierziger [...] erstreckte sich fünf Minuten von Olinger entfernt in jeder Richtung reine Landschaft, nur nicht entlang den Straßenbahnschienen, die nach Alton führten. Hügelige, kurvenreiche Township-Straßen verbanden einsame Farmgehöfte mit ebenso einsamen Lebensmittelläden hier und da, vor jedem zwei rostige rote Benzinpumpen, die mit einem Flügelross auf sich hinwiesen."
Doch immer umkreisen die Geschichten auch die Konflikte "Stadt - Land", "Intellektualität - Provinzialität", kurz: das Thema Heimat und Heimatverlust und zwar unverhohlen Updikes eigene zeitliche und räumliche Heimat: das deutschstämmige, konservative Pennsylvania der 40er-60er Jahre mit dem leuchtenden New York in der Nähe, das für Lasterhaftigkeit und Freiheit steht: "In jenen Tagen erschien einem New York von Buffalo so weit entfernt wie heute Singapur. [...] Sobald man in New York ankam, war man auf einem anderen Planeten, an einer fernen Küste, alles drängte einen, ein neues Leben anzufangen." So beginnt der Text "New York Girl", die Geschichte einer Affäre zwischen einem Vertreter für Aluminiumprofile und einer Galeristin, eine kurz aufflackernde Liebe zwischen Pennsylvania und New York im alltäglichen Ehe-Einerlei. Meist bewahrt sich Updike dabei jedoch eine romantische, fast schon anrührend-naive Verschwiegenheit, ein gentlemanhaftes Augenzwinkern, wenn es um die intimen Details geht (und im Grunde geht es um nichts anderes).
Dieses Buch ist ein einziges Bedauern über den Verlust der jugendlichen Männlichkeit und Potenz, ein "Schade", aber ein schön formuliertes, ein sinnliches Zurückblicken auf ein Leben der verpassten Chancen. Vermutlich wäre der Titel der ersten Geschichte "Die Frauen, die er nie hatte" der bessere Titel für das Buch gewesen, überschreibt er doch im Grunde alle Geschichten. Ein wenig schade nur, dass die so kraftvolle Prosa Updikes in diesem Band thematisch und im Tonfall so begrenzt bleibt, doch dafür wird man immer wieder entschädigt mit wunderbaren Stimmungen und gelungenen Bildern vor allem in den beiden besten Geschichten "Die Katzen" und "Sein Œuvre".
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