Sprung in ein Leben im Untergrund

Alois Prinz beschreibt in "Lieber wütend als traurig" die Lebensgeschichte der Ulrike Marie Meinhof

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für den Dichter Erich Fried war sie "die größte deutsche Frau nach Rosa Luxemburg". Und Heinrich Böll forderte für sie, als sie sich dem bewaffneten Kampf gegen die Gesellschaft verschrieb, "freies Geleit". Ohne Erfolg. Die vormals renommierte Journalistin Ulrike Meinhof blieb im Untergrund. Und doch: In ihrer Jugend war die Pfarrerstochter eine überzeugte Pazifistin gewesen, eher unpolitisch, "menschlich unkompliziert, offen, ehrlich und schlicht".

Der Frage, wie aus einem solchen "mehr oder weniger normalen Mädchen später eine gesuchte Terroristin werden konnte, die Banken überfiel und es vertretbar fand, ,Bullenschweine' abzuknallen", beschäftigt Alois Prinz in dem Buch "Lieber wütend als traurig". Ein schwieriges Vorhaben für einen Biographen, das Prinz jedoch souverän und vor allem sehr reflektiert angeht. Denn: "Wahrscheinlich steckt schon im Versuch, diese Frage zu beantworten, eine große Gefahr. Man findet immer leicht Zusammenhänge, wenn man ein Leben von seinem Ende her betrachtet. Alles scheint auf das Spätere hinzudeuten. Aber nichts ist zwangsläufig. Das Spätere kann das Frühere höchstens erhellen, daraus ableiten lässt es sich nicht."

Und so ist es nicht verwunderlich, dass der 45-jährige Literaturwissenschaftler, der bereits Bücher über Georg Forster, Hannah Arendt und Hermann Hesse veröffentlicht hat, die Antwort auf die Frage "Warum" am Ende nicht geben kann. Das macht die Lektüre jedoch nicht weniger interessant, im Gegenteil. Alois Prinz' vorsichtige Suche nach möglichen Gründen und Wendepunkten in Meinhofs Leben, die ihre Entscheidung erklärbar machen könnten, ist nicht nur erfreulich sensibel, sondern auch spannend. Zwar ist "Lieber wütend als traurig" als Jugendbuch deklariert, und entsprechend klar und einfach ist auch die Sprache gehalten. Doch empfiehlt sich diese Biographie gerade deshalb auch Lesern außerhalb der Zielgruppe als erste Einführung in die Thematik.

Den Lebensweg von Ulrike Meinhof (1934-1976), die als Vollwaise bei einer Freundin ihrer Mutter aufwächst, bis zu ihrem überraschenden "Sprung in ein anderes Leben" bei der Befreiung von Andreas Baader, zeichnet Prinz in thematisch gut gegliederten Kapiteln nach. Mag sein, dass die regelmäßigen philosophischen Exkurse des Biographen mitunter etwas aufdringlich wirken, sein schriftstellerisches Handwerk versteht er jedoch allemal.

Als Ulrike Meinhof in Marburg Psychologie und Pädagogik studiert, scheint ihre Zukunft bereits festgelegt. Sie erhält schon nach wenigen Semestern das Angebot zu einer Doktorarbeit. "Das war eine Auszeichnung für Ulrike. Sie würde den Doktor machen und dann Lehrerin werden. [...] Und sie würde Lothar Wallek heiraten." Aus Hochzeit wie Promotion wird nichts. Stattdessen wird sie Journalistin für die linke Zeitschrift "konkret", heiratet deren Chefredakteur und setzt sich unermüdlich für Schwache und Benachteiligte ein.

Knapp ein Jahrzehnt älter als die 68er, gerät sie doch in den Strudel der Ereignisse. Und sie wandelt sich innerlich von der Pazifistin in die Terroristin. Der Übergang vollzieht sich in Schritten. Zunächst spricht sie plötzlich davon, dass "Gewalt aus Notwehr" gerechtfertigt sein könne, später wird sie als "Stimme" der "Roten Armee Fraktion" (RAF) die Parole verkünden, Ziel sei der Kampf. Der Kampf, der Kampf erzeugt. "Und natürlich kann geschossen werden."

Die Logik der Ereignisse und Gedankengänge nachzuvollziehen, ist für Außenstehende - zumal Jahrzehnte danach - nicht leicht. Erich Fried, der Ulrike Meinhof "als besonders feinen und sensitiven Menschen" kennen gelernt hatte, versuchte stets zwischen den Menschen der Baader-Meinhof-Gruppe und ihren Taten zu differenzieren und die große Verzweiflung über Unrecht in Deutschland, die Ulrike Meinhof zur Terroristin gemacht habe, hervorzuheben. Zweifellos eine schwierige Gratwanderung. Und doch bemühte sich Fried zu verstehen, wo andere eher ratlos bleiben.

Ulrike Meinhof selbst erreichte im Untergrund kein Zweifel, keine Kritik mehr. Auch ihre Pflegemutter startete vergeblich einen Appell, sie möge zur Vernunft kommen. Die Passagen, in der Prinz den heroischen Trotz und die Selbstimmunisierungs-Strategien der RAF erläutert, sind nicht nur für Jugendliche lesenswert. Besonders gelungen ist dabei die Darstellung der internen Konflikte und menschlichen Auseinandersetzungen, denen gerade Ulrike Meinhof bei der RAF ausgesetzt war. Denn sie war zwar als "Stimme der RAF" für die intellektuelle Argumentation verantwortlich, doch konnte sie mit ihrem journalistischen Talent den Führungsköpfen Andreas Baader und Gudrun Ensslin nie so recht imponieren. Vielmehr galt sie als anfällig für bürgerliche "Schwächen" wie etwa ihre Liebe zu ihren Kindern. Und so bekennt Ulrike Meinhof in ihrer Haftzeit prompt ihren Gefährten, es seien die Qual und die Schuldgefühle der Bürgerlichen, "die einem immer wieder in die Quere kommen und einen daran hindern, wirklich zu kämpfen".

Gekämpft hat Meinhof ihr Leben lang. Gegen diese Schuldgefühle, für Gerechtigkeit, gegen die Gesellschaft. Ihre beste Waffe waren ihre Worte. Eine geübte Schützin der RAF war sie dagegen nie. Alois Prinz trägt hier beinahe schon komische Anekdoten zusammen. Bei der Ausbildung mit Handgranaten soll es einmal zu einem typischen Zwischenfall gekommen sein. "Ulrike Meinhof zog den Sicherungsring der Granate und fragte dann ratlos:,Was soll ich jetzt machen?' Während alle anderen schon in Deckung gegangen waren, schleuderte sie im letzten Moment die Granate weg, die dann nur wenige Meter entfernt explodierte." Oder: Die RAF-Mitglieder sind im jordanischen Ausbildungslager bald ein Ärgernis, da sie nicht nur alle unsportlich sind, sondern sich auch ständig beschweren: "über das spartanische Essen, das frühe Aufstehen, den häufigen Nachtalarm und die Unterkunft." Die deutschen Linksradikalen erscheinen hier als verwöhnte Sonntags-Krieger. Aber auch das ist nicht die ganze Wahrheit. Denn später, in der Isolationshaft, werden einige von ihnen freiwillig wochenlang hungern, Holger Meins hungert sich sogar zu Tode.

Die Umstände des Todes von Ulrike Meinhof, die am 9. Mai 1976 erhängt in ihrer Zelle aufgefunden wird, sind bekanntlich bis heute ungeklärt. Auch dieses schwierige Kapitel stellt Prinz souverän dar, indem er die Problematik der Ungereimtheiten erläutert, aber keine eigenen Spekulationen liefert. Auch beim Tode Meinhofs kann die Frage des "Warum" am Ende nicht beantwortet werden.

Titelbild

Alois Prinz: Lieber wütend als traurig. Die Lebensgeschichte der Ulrike Marie Meinhof.
Beltz Verlagsgruppe, Weinheim 2003.
328 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3407809050

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