Von der physischen zur symbolischen Gewalt
Dorothea Nolde über "Gattenmorde" in der Frühen Neuzeit
Von Corinna Heipcke
Dorothea Nolde untersucht das Phänomen des Gattenmordes am Beispiel Frankreichs in der zweiten Hälfte des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Dabei konzentriert sie sich auf die Funktion von Gewalt für die Machtverteilung in der Ehe, wobei sie 'Macht' in Anlehnung an Foucault als "relationale Kategorie" und Machtverhältnisse als ständig herzustellende Ergebnisse von Interaktionen auffasst. Die Ehe hat die Verfasserin ausgewählt, weil sie nach dem Realitätsbegriff der Frühen Neuzeit eine Ordnungsinstitution der Gesellschaft darstelle.
Der in der historischen Gewaltforschung vorherrschenden Konzentration auf Gerichtsakten folgt die Verfasserin nicht. Den Prozessakten - Urteilen und Verhörprotokollen der Jahre 1580-1620 aus Berufungsverfahren bei der höchsten Gerichtsinstanz des Ancien Régime, dem Pariser Parlement - fügt die Verfasserin zwei andere Quellengattungen hinzu: normative Texte juristischer, medizinischer, theologischer und humanistischer Art, sowie ein Korpus narrativer Texte, insbesondere Flugschriften, beide aus dem Zeitraum von ca. 1550-1635. In der Zusammenschau dieser verschiedenen Quellen sollen die Verbindungen zwischen "Gewaltwahrnehmung und -wirkung" deutlich werden.
Im ersten Hauptteil ihrer Arbeit untersucht Nolde literarische Imagines des Gattenmords (z. B. die Vorstellung vom Gattenmord als Phänomen der Endzeit einer verkehrten Welt und von dem zu Grausamkeit und Zügellosigkeit disponierten Wesen der Frauen) sowie Erörterungen zum Wesen der Ehe und zum Gebrauch der Gewalt in der Ehe. Im zweiten widmet sie sich Gattenmordprozessen und konzentriert sich unter anderem auf das Verhalten von Zeugen und die Verteidigungsstrategien der Angeklagten.
Nolde stellt zunächst fest, dass in der Frühen Neuzeit Beziehungen unter Menschen als hierarchische Verhältnisse begriffen wurden, zu deren Aufrechterhaltung es der Gewaltanwendung bedurfte. Gewalt wurde als rechtmäßig und notwendig betrachtet, solange sie von qua ihrer Position dazu berechtigten Personen denen gegenüber ausgeübt wurde, die der Unterweisung und gegebenenfalls der Züchtigung bedurften. So galt der Gatte als Haupt der Ehe, er besaß der Gattin gegenüber "Herrschafts- und Erziehungsfunktion". Das Recht des Ehemannes, die Ehefrau zu züchtigen, war also unumstritten. Dennoch bedienten sich beide Geschlechter in ehelichen Auseinandersetzungen der physischen Gewalt.
Die Reaktion der Obrigkeit auf Gattenmorde veränderte sich dann im Zuge der Etablierung eines königlichen Gewaltmonopols. "Willkür und 'übermäßiger' Gewalt" wurden zunehmend Grenzen gesetzt, so dass eine Tötung der Ehefrau auch in den Fällen, in denen frühere Gerichte den Täter zwar verurteilt, ihm aber gleichzeitig ein Gnadengesuch beim König nahe gelegt hätten, nicht mehr straffrei blieb. Gleichzeitig wurde auch die Rolle der Frau in der Ehe neu definiert: War es bis etwa Mitte des 16. Jahrhunderts Sache des Mannes, seiner Frau 'Herr zu werden', kam es nun mehr und mehr der Frau zu, sich aktiv unterzuordnen. Diese Veränderung fasst Nolde als Übergang von der physischen zur symbolischen Gewalt auf. Nolde verwendet den von Pierre Bourdieu stammenden Begriff der symbolischen Gewalt, um damit einen Zwang zu bezeichnen, der "durch eine abgepresste Anerkennung vermittelt" ist. Sie grenzt diesen Begriff zugleich deutlich von Bourdieus früherer Definition symbolischer Gewalt als 'sanfte Gewalt' ab.
Nach Ansicht der Verfasserin trugen die Verfahren am Pariser Parlement zur Etablierung der neuen Ordnung symbolischer Gewalt bei, zumal berühmte Fälle in Flugschriften nacherzählt und kommentiert wurden - mitunter von Richtern des Parlements selbst -, so dass die Wirkung des juristischen Geschehens verstärkt wurde.
Der Wandel hatte Auswirkungen auf die Wahrnehmung von männlichem und weiblichem Gewaltverhalten. Während übermäßige männliche Gewaltanwendung zunehmend als 'Tyrannei' - das heißt mit unangemessenen Mitteln ausgeübte Herrschaft - begriffen wurde, galten weibliches Aufbegehren und erst recht weibliche Gewalthandlungen als Griff nach der Macht und potenzieller Angriff auf das Leben des Ehemannes. Dies wird anhand von Gattenmordprozessen deutlich. Der Lebenswandel der Ehefrau und ihr Verhältnis zum Ehemann konnten hier als Beweise der Anklage fungieren. Auf diese Weise konnten Frauen bei ansonsten ähnlicher Beweislage wie männliche Angeklagte aufgrund ihres Verhältnisses zum Ehepartner und unterstellter Mordabsicht verurteilt werden. Dies widerspricht - so Nolde - der bisherigen Auffassung, Frauen in der Frühen Neuzeit seien geringer bestraft worden als Männer.
Die hier nachvollzogene Verschiebung der Grundlagen ehelicher Herrschaft von der physischen zur symbolischen Gewalt betrachtet Nolde als Beginn einer Verfestigung ehelicher Herrschaft, die im 18. Jahrhundert abgeschlossen ist. Ergänzend lässt sich folgern, dass es sich hierbei um einen Prozess handelt, der in der von Karin Hausen beschriebenen "Polarisierung der Geschlechtscharaktere" im 18. Jahrhundert gipfelt und in dem 'die Frau' mehr und mehr als gewaltfreies, sanftmütiges, zur Unterordnung nicht nur bestimmtes, sondern auch geneigtes Wesen definiert wird. Damit ist Nolde eine Arbeit gelungen, die - sowohl was den Facettenreichtum der bearbeiteten Quellen als auch was die Zusammenschau dieser Quellen angeht - überzeugt und die darüber hinaus durch ihre Lesbarkeit beeindruckt.