Öde Orte
Martin Parrs Kollektion langweiliger Postkarten
Von Frank Müller
Neben den Urlaubsfotos und der notorischen Sonnenbräune ist die Postkarte der einzig sichtbare Beweis, dass unsereins die schönste Zeit des Jahres nicht auf "Balkonien" verbracht hat, sondern mit dem Flieger aller Herren Länder bereist hat. Die bunte Pappe zeigt stets Eindrucksvolles: weißen Sandstrand, blaues Meer, gewaltiges Gebirgsmassiv. Stets strahlende Sonne über Photoshop-retuschiertem Himmel. Karten, die man aus großen Städten in den piefigen Heimatort schickt, warten mit anderen Highlights auf und werden vorzugsweise von Wolkenkratzern, belebten Fußgängerzonen und Baudenkmälern geschmückt. Dass die Nachbarin grün vor Neid wird und der missliebige Kollege auf der Stelle tot umfällt, sind durchaus erwünschte Nebeneffekte.
In den 50er und den 80er Jahren muss das anders gewesen sein. Zumindest unterscheiden sich die "Erlebniswerte" der zu dieser Zeit auf Postkarten gebannten Szenerien ganz beträchtlich von den heutigen. 20 Jahre lang hat der "Magnum"-Fotograf Martin Parr solche Karten gehortet. Die Höhepunkte seiner Sammlung langweiliger Motive stellt er nun in einem kultverdächtigen Bändchen vor: 160 Postkarten aus Deutschland, die den Betrachter auf eine monotone Rundreise zu Deutschlands Autobahnen, Flughäfen, Hochhausvierteln und Grenzstationen schickt. Gebäude und Anlagen wirken so aufgeräumt, als handele sich um Modelle eines Architekten. Nichts liegt herum oder steht im Weg, und selbst die wenigen Menschen scheinen absichtlich auf den Bildern platziert worden zu sein.
Die zum Teil handkolorierten Postkarten sind nicht nur erheiternd anzusehen, sondern gestatten auch erhellende Einblicke in die ästhetische und soziale Befindlichkeit jener Zeit. Trostlose Plätze, triste Zweckbauten und neu errichteter Autobahnen waren in den Jahren des Wiederaufbaus Ausdruck jenes Selbstbewusstseins, mit dem wir heute den Sonnenuntergang auf den Balearen frankieren.
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