Mit Max Stirner on the road: "Störe meine Kreise nicht!"

Martin Eichhorn legt einen philosophischen Kriminalroman vor

Von Sabine ScholzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Scholz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Martin Eichhorn (Jahrgang 1969, Studium der Philosophie, Promotion in Bibliothekswissenschaft) erfüllt die Erwartungen, die man an einen philosophischen Roman stellt, und überrascht mit gut gewählten Details: Bücher werden angekettet wie im Mittelalter und Frauen eingerichtet wie eine Wohnung, die der Mann nie verlässt und aus der heraus er die anderen Frauen beschaut. In der Diskothek "Influence" wird dem Besucher der Namenszug "Max Stirner" auf den Handrücken gestempelt, und Descartes kommt schon auf der vierten Seite vor. Während andere in ihrer Kindheit Feuerwehrmann, Indianer oder Polizist spielen, hatte Ben, der Ich-Erzähler, schon immer mehr Spaß daran, einen Philosophen zu mimen. Endlich brauchen sich Philosophen nicht mehr als Außenseiter zu fühlen, ein moderner Max Stirner liefert eine originelle Erklärung der Welt, und das Alles eingepackt in eine spannende Geschichte.

Über sein Verhältnis zu Max Stirner meint der Autor: "Ich stieß im Philosophiestudium auf ihn. Das gesamte Gerüst des Romans hängt an ihm (und vielleicht noch an George Berkeleys Immaterialismus). Stirner wird immer wieder paraphrasiert (vor allem natürlich 'Der Einzige und sein Eigentum'). Es gibt immer wieder Anspielungen, die nur erkennen wird, wer mit Stirner etwas vertraut ist. Ich habe mich sehr bemüht, dass der Roman sowohl von philosophisch interessierten Menschen als auch vom sonstigen Lesepublikum gelesen werden könnte. Ein Roman soll immer auch unterhalten, wie ich finde, und Philosophie tut dies wahrlich nicht immer - kann sie ja auch gar nicht immer!" Herausgekommen ist ein Buch, das an Robert M. Pirsigs Bestseller aus den Siebzigern "Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten" erinnert. Auf seiner Flucht aus der Großstadt hat Ben schon nach wenigen Kilometern eine Motorradpanne, wobei ihm ein Fernfahrer zu Hilfe kommt, der zweiundzwanzig Tonnen Bücher geladen hat und auch sonst nicht unbedingt dem bios praktikos ergeben scheint. Ferry besitzt nur eine CD, die ihn schon so lange begleitet wie er den LKW fährt: "Diese Musik ist wie ein Steinbruch. Auch nach dem tausendsten Hören holst du immer noch etwas aus ihren Tiefen." Auf einem verlassenen Spielplatz lässt der LKW-Fahrer Ferry, ähnlich wie Archimedes, den Sand durch seine Finger rieseln und spekuliert über das Wesen der Welt, wobei er dann schließlich zu dem Schluss kommt: "Ich glaube, ich kenne keinen schöneren Ort auf der Welt als diesen Spielplatz." Und wie der griechische Mathematiker findet Ferry ein gewaltsames Ende.

Allerdings bleibt der Eindruck, dass bei Martin Eichhorns philosophischem Krimi eher der Kantische Idealismus Pate gestanden hat als Max Stirners Lehre vom Einzigen, denn der Protagonist benimmt sich gar nicht so, als ob die Welt sein Eigentum wäre. Als Ben am Ende für einen Geiselnehmer gehalten wird, macht er die überraschende Entdeckung, dass es sein Bewusstsein ist, das die Wirklichkeit konstituiert, und dass er als Philosoph deswegen von keinem Gericht zur Rechenschaft gezogen werden kann, weil die Welt - um es mit Kant auszudrücken - eigentlich nur seine Vorstellung ist: "Alle Autoritäten sind nur durch Mich und in Mir. Wie schmeichelhaft ... Somit ist auch die Bibel auf Meinem Mist gewachsen? ... Und die Sprachen, diese herrlichen Konstrukte, - in Mir finden sie ihren Erschaffer? ... Aber die beiden jungen Frauen waren sympathisch und zählten von daher zu Meinen gelungeneren Vorstellungen, zu Meinen gelungeneren Schöpfungen. Sie wollte Ich nicht so einfach opfern." Es geht also um Fragen der Erkenntnistheorie, die auf unterhaltsame und intelligente Weise in eine Love-and-Crime-Story eingewoben sind.

Titelbild

Martin Eichhorn: Kommste, willste, kriegste. Roman.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2004.
150 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3826026403

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