Todessehnsucht als letztes Lebenselixier
Zur Hörbuch-Edition "Kleist - Ein Lebensmonolog aus den Briefen"
Von Stephan Sonntag
Kleist, der von eigenen und fremden Ansprüchen Getriebene, der im Leben stets schwankende, aber in seiner Dichtung stets bestimmte Genius offenbart die Zerrissenheit seiner Persönlichkeit in seinen Briefen. Sie spiegeln gleichermaßen den Dichter wie den Menschen Heinrich von Kleist wider. Die umfangreiche Sammlung von rund 230 Briefen Kleists an Freunde, Verwandte und Geliebte in eine knapp neunzigminütige Hörbuchfassung zu zwängen, ohne dabei das Gesamtbild zu verfälschen, ist eine anspruchsvolle, um es aber gleich vorweg zu nehmen: in diesem Fall sehr gut gelöste Aufgabe.
Die Auswahl der Briefstellen ist nicht nach streng chronologischen Gesichtspunkten erfolgt, sondern ordnet sich thematischen Richtlinien unter. Ein eindeutiger Schwerpunkt wird auf Kleists Verlobungszeit mit Wilhelmine von Zenge und seine Aufenthalte in Paris und in der Schweiz gelegt (1800 bis 1803). Die folgenden Jahre bis zu seinem Selbstmord 1811 werden nur skizziert bzw. vollkommen ausgeblendet. Thematische Brüche konnten dennoch weitestgehend vermieden werden. So ist Kleists Todessehnsucht auch schon in seiner Schweizer Zeit allgegenwärtig: "Ich habe keinen anderen Wunsch als bald zu sterben". Eine Jahre später getroffene Aussage wie "Meine Seele ist so wund, daß mir, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir darauf schimmert", bleibt dann auch im reduzierten Kontext der Hörbuchedition in ihrer Folgerichtigkeit unangegriffen. Wenngleich also nicht alle Facetten von Kleists Lebensweg beleuchtet werden, wird seine persönliche Entwicklung dennoch nachvollziehbar.
Dieser Zugang ist aber nicht nur das Verdienst des Editors Hermann Beil, sondern vor allem auch des Sprechers Ulrich Matthes. Am Anfang tritt dem Hörer ein junger, nach größtmöglichem Glück strebender Mann gegenüber, der dieses Glück in der Verwirklichung seines Lebensplanes sieht. Zeitlebens wird er immer wieder aufs Neue solche Lebenspläne für sich suchen, erstellen und verwerfen. Immer wieder berauscht er sich an den eigenen Ideen, um sie kurze Zeit später resigniert aufzugeben. Bis ihn schließlich nur noch der eine letzte Wunsch zu sterben am Leben hält. In der von Beginn an nur auf das Jenseits ausgerichteten Beziehung Kleists zu der todkranken Henriette Vogel findet seine Todessehnsucht schließlich ihre Erfüllung. Wahre Todeseuphorie vermittelt der letzte Brief Kleists; der Umsetzung dieses letzten 'Ablebenplans' kann schließlich keine diesseitige Ernüchterung folgen. All diesen, auch bei der Lektüre der Briefe augenscheinlich werdenden Prozessen verleiht Matthes die noch fehlende Stimme. Zögernd, abwägend, mit leisem, manchmal zitternden Tonfall inszeniert Matthes Kleist, ohne dabei sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken.
Kleists Dramen sind gerade für Kleist-Einsteiger oft eine schwierige und mühsame Lektüre. Seine Briefe hingegen bieten nicht nur einen biografischen Zugang zum Autor, sondern liefern auch die emotionale und geistige Ausgangsbasis für das literarische Werk. Bestimmt können Kleists Lebensmonologe auch den ein oder anderen Hörer dazu veranlassen, doch noch einmal die "Penthesilea" oder den "Prinz Friedrich von Homburg" aus der verstaubten Ecke des heimischen Bücherregals zu nehmen und zu lesen. Denn bei allem Interesse für Kleists Leben, die künstlerische Vervollkommnung seines innersten Wesens tritt erst in seinem dramatischen Werk vollends zutage.
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