300 Seiten Schneelandschaft

Marion Poschmanns "Schwarzweißroman" erstickt jede Handlung mit Worten

Von André HilleRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Hille

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es beginnt mit einem Flug in die Tiefen Russlands. Eine junge Deutsche will ihren Vater besuchen. Ausgerechnet im langen russischen Winter und ausgerechnet in einer der trostlosesten Industriestädte, die man sich vorstellen kann: Magnitogorsk im Ural. Sprachlich dicht beschreibt die Ich-Erzählerin die Stimmung auf dem Hinflug. Es ist, als sitze man zwischen den griesgrämigen Russen, als röche man die Knoblauchwurst, die von wortkargen Stewardessen gereicht wird und höre das Schnarchen des Sitznachbarn, der sich gegen die Schulter der jungen Frau lehnt, um ein Nickerchen zu halten. So weit, so gut. Die ersten zwanzig Seiten liest man noch neugierig, die nächsten zwanzig Seiten beginnen zu langweilen, und nach weiteren zwanzig Seiten wird es unerträglich.

So endlos wie die Weiten Russlands sind nämlich die Beschreibungen in Poschmanns schwarz-weißem Roman. Auf der Baustelle des Magnitogorsker Metallurgischen Kombinats, wo ihr Vater arbeitet, herrscht "lähmender Stillstand". Das gleiche gilt für den Roman. Ein paar Leute betrinken sich oder lenken sich mit russischen Frauen ab. Die junge Frau läuft vom Gemüseladen zum Kaufhaus und nach Hause. Oder von zu Hause ins Kombinat. Oder sie trifft zusammen mit ihrem Vater Nachbarn. Poschmann erzählt nicht von ihren Figuren, sondern reflektiert über sie. Und vor allem reflektiert die Hauptfigur über die Landschaft. Zu keiner Zeit fängt sie an zu handeln, sie trifft keine Entscheidungen und wird für den Leser somit nicht greifbar. Irgendwann, wie aus dem Nichts, beginnt sie eine Beziehung zu dem Chef der Abteilung, doch wo Poschmann seitenlang und in zartesten Worten eine Schneeverwehung beschreiben kann, fehlen ihr die Worte für den poetischsten aller Momente, den Moment des Verliebens: "Ich wusste nicht genau, was uns zueinander hinzog. Es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Mit Liebe hatte es wenig zu tun, eher mit Hass. Es war ein unsicheres, zwanghaftes Gefühl, es beinhaltete alle unangenehmen Seiten einer Leidenschaft, das halb-unfreiwillige Näherrücken, die Unterwerfung unter eine bedrohliche Triebhaftigkeit, das Handeln aus Selbstzweifel, aus Verzweiflung."

So viel zum Thema Verlieben. Und das Thema Sex klingt bei Poschmann ungefähr so: "Ich kniete auf seinem Teppich, die Tapete umschlang uns mit ihrem Sehnsuchtsmuster. Altertümliche Ornamente, herzzerreißend verstrickte Pflanzenstengel, geöffnete Knospen nickten dicht vor meinen Augen auf und ab. Lange Ranken wanden sich am Tischbein entlang bis zur Decke, die Heizung bedeckte sich mit Moos, morsche Stämme brachen aus großer Höhe herab, stöhnend, mit beängstigender Unersättlichkeit."

Über Seiten versteigt sich die Autorin in kryptische, lyrische Botschaften. Oft wechselt sie mitten im Text in die lyrische Form, und diese Gedichte verraten die eigentlichen Ambitionen der Autorin: Sie will keine Geschichte erzählen, sondern Gedichte schreiben. Das ist legitim, doch sollte so etwas dem Publikum nicht als Roman untergejubelt werden. "Der Schnee opulent, opernhaft, / und du ein Vorfall von Bewegung, / eine Kraft, die nicht ausreicht gegen die bekannnten Dinge, eine Kraft, die etwas hinzufügt." Und eine halbe Seite später: "Schmutziger Schnee belegt den Bürgersteig / bleich und veränderlich / wie eine Gesamtheit von Gesichtern / die sich bereitwillig treten, drehen und wenden lässt." Nicht selten führt dieser unbedingte Stilwille zu unfreiwillig komischen Bildern wie "Das Zimmer bröckelte ab" oder "Die Heizung wickelte die Luft um ihre Stäbe".

Nahezu zwanghaft versucht Poschmann, die sibirische Stimmung über 300 Seiten aufrechtzuerhalten und bewirkt damit beim Leser das genaue Gegenteil: Sie erstickt alles in Sprache. Poschmanns "Schwarzweißroman" ist das Wort Schnee auf 300 gestreckt. Es mag sein, dass die Autorin zu Recht als talentierte Lyrikerin gefeiert wird, zu einer guten Romanautorin reicht es deswegen noch lange nicht.


Titelbild

Marion Poschmann: Schwarzweißroman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2005.
319 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3627001249

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