Ein Dämon lebt ewig
Anna Maria Sigmund über Adolf Hitler
Von Martin Spieß
Über sechzig Jahre nach Kriegsende ist die Faszination für Adolf Hitler, den selbst ernannten "Führer des deutschen Volkes", ungebrochen. Wer heute auf dem Marktplatz "Heil Hitler" ruft, wird denselben lähmenden Effekt erzielen, wie direkt nach dem Krieg oder vor zehn Jahren. Eine vor allem entmystifizierende Auseinandersetzung mit dem Diktator des "Dritten Reiches" und damit eine Beseitigung eben dieser Lähmung ist lange überfällig. Denn bei aller intensiven aufklärenden Auseinandersetzung wird Hitler immer und überall auch verklärt, stilisiert und eben mystifiziert.
Anna Maria Sigmund vom Institut für Österreichische Geisteswissenschaften der Universität Wien scheint davor genauso wenig gefeit. In "Diktator, Dämon, Demagoge" beantwortet die Historikerin häufig gestellte Fragen zu Adolf Hitler und schafft es dabei nicht, eine Überhöhung des Diktators zu vermeiden. Unter anderem untersucht sie Hitlers Familie und die Verhältnisse, aus denen er stammt, seine Wiener Zeit, die Machtergreifung, seine Rhetorik. Und auch die Frage, warum niemand Hitler tötete, beantwortet sie ausgiebig: Zum Grad des Führerkultes zitiert Sigmund Joseph Goebbels, der nach dem Attentat des Schreiners Johann Georg Elser in sein Tagebuch schrieb: "[...] Er [Hitler] steht doch unter dem Schutz des Allmächtigen. Er wird erst sterben, wenn seine Mission erfüllt ist." Sigmund räumt mit gängigen Hitler-Mythen auf, etwa dass dieser jüdische Vorfahren hatte oder eine Zeit lang in einem Wiener Obdachlosenheim gelebt habe. Besonderes Augenmerk legt die Autorin - in jeder der einzelnen Fragestellungen - auf die Ambivalenz zwischen hitlerschen Aussagen z. B. aus "Mein Kampf" und der tatsächlichen Geschichte, obwohl das ein Faktum ist, auf das schon viele Autoren vor ihr hingewiesen haben.
Dennoch muss man ihr gerade das zugutehalten. Denn das Buch ist zwar hochinformativ, versammelt etwa Analysen der ersten Stunde wie auch allerneueste Erkenntnisse. Noch im Vorwort betont sie, dass "jede isolierte Betrachtung des Dritten Reiches falsch" sei, "jedes Herausheben aus der Sphäre des Banalen und Alltäglichen nicht zielführend". Doch gerade diese ihre Forderung setzt sie nicht in letzter Konsequenz durch, weil sie das Alltägliche und Banale an Hitler nicht zeigt. Sie setzt dem Monströsen, Dämonischen und Unmenschlichen nichts entgegen. Im Untertitel heißt es zwar "Fragen und Antworten zu Adolf Hitler", und dem wird die Autorin gerecht. Aber die Frage muss gestattet sein, ob in der Beantwortung nicht ein Element fehlt. Nämlich die Frage, ob man überhaupt über Hitler schreiben darf, ohne aufzuzeigen, dass er nicht der Dämon gewesen ist, zu dem er postum wurde. So viel ist klar - das Marktplatz-Phänomen wird erst dann das Zeitliche segnen, wenn in der Auseinandersetzung mit Hitler dieser nicht mehr überhöht, sondern banalisiert wird. Ein Dämon lebt ewig. Ein Mensch nicht.