„Ich bin ein literarischer Komplize des Autors“

Ein Gespräch über die Norwegische Literatur mit dem Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Das Übersetzen ist eine schwere, fordernde Kunst, die höchstes Sprachgefühl und nicht zuletzt auch viel literarisches Feingespür verlangt. Vor allem das Übersetzen aus sogenannten kleineren Literaturen verlangt nach einer besonderen Mittlerrolle, sind die übersetzten Autorinnen und Autoren doch einem fachfremden Publikum meist unbekannt. Erst durch die Übersetzungen gewinnen Leserinnen und Leser Zutritt zu neuen Welten, welche ihnen aufgrund der Sprachbarriere bisher verschlossen waren. Dass die norwegische Literatur auch schon vor dem Gastland-Auftritt bei der Frankfurter Buchmesse 2019 ihren Weg in die internationalen Buchhandlungen gefunden hat, liegt nicht zuletzt an einer sehr professionellen Förderstruktur, in der auch die mittlerweile zahlreichen Übersetzer ins Deutsche eine wichtige Rolle spielen. Wir sprachen mit Hinrich Schmidt-Henkel, der unter vielen anderen Werke von Tomas Espedal, Lars Mytting und Jon Fosse übersetzt hat, über die Rolle des Übersetzers und die Besonderheiten der Norwegischen Literatur.

 

Wie sind Sie denn zum Übersetzen gekommen?

Ich habe immer gerne übersetzt. Den Reflex, etwas Fremdsprachiges, das mich wirklich anspricht, übersetzen zu wollen, den ich jetzt auch suche, den kenne ich schon aus Schulzeiten. Der Fremdsprachenunterricht bestand ja zu meiner Schulzeit noch viel aus Übersetzen in beide Richtungen, und deshalb war das keine ganz unbekannte Übung. Schon mit 15 oder 16 Jahren hatte ich diesen Impuls. Erst später bin ich dann auf die Idee gekommen, dass das ja auch ein Beruf ist. Meine Eltern waren gut befreundet mit Eugen Helmé, dem Französisch-Übersetzer, der hat mich auch viel informiert, gefördert und mir Tipps gegeben.

Wie sind Sie dann zum Norwegischen gekommen?

Ich bin aufgewachsen mit Pommerschem Platt im Ohr. Was sprachlich ja auf der halben Strecke zu den skandinavischen Sprachen ist oder teilweise vielleicht sogar näher am Skandinavischen als am Hochdeutschen. Ich habe als Kind angefangen, Dänisch aufzuschnappen, habe an der Uni Schwedisch gelernt und dann alles auf Norwegisch umgebastelt, als ich lange Zeit einen norwegischen Partner hatte und dann auch viel in Norwegen war. Also sozusagen ganz organisch – wie immer sind es bei Literaturübersetzern die Lebenswege, die zu einer Sprache, in eine Sprache führen.

Wie sehen Sie denn Ihre Rolle als Übersetzer? Ein Übersetzer ist ja auch immer ein Vermittler. Wie würden Sie Ihre Rolle beschreiben?

Ich bin ein literarischer Komplize des Autors. Im Idealfall will ich dasselbe wie er. Literaturübersetzen ist ja sowieso, wenn es gelingt, Schreiben wie der Autor, mit den Mitteln, die er wählt, mit der Wirkung, die es hat und so weiter, aber eben mit den Mitteln der neuen Sprache. In dem Sinne, dass ich z.B. nicht die Satzstrukturen der Ausgangssprache abkupfere, zumal nicht, wenn die Ausgangssprache so bequem nahe am Deutschen scheint. Dass ich also keine norwegischen Relativsatzketten mache, sondern schaue, wie ein solcher Satz im Deutschen aufzulösen ist. Nicht: „Auf der Straße gingen Leute, die schlecht angezogen waren und ihre Einkäufe nach Hause trugen“, sondern: „Auf der Straße trugen schlecht angezogene Leute ihre Einkäufe nach Hause.“

Das wäre dann also ein Spezifikum der norwegischen Sprache?

Das ist schon ein relativ spezifisches Beispiel, aber es zeigt, was es bedeutet, mit den Mitteln der Zielsprache zu arbeiten. Dass ich den literarischen Text der Ausgangssprache in einen literarischen Text der neuen Sprache bringe, der keine Abschrift ist oder eine Kopie. Kopie nur in der Weise, dass es ein ebenso konziser, autonomer Text ist wie in der Ausgangssprache.

Arbeiten Sie dabei immer eng mit den Autoren zusammen oder gibt es da Unterschiede? Sind einige dabei vielleicht nicht so zugänglich?

Also für Fragen sind eigentlich alle zugänglich. Was den persönlichen Kontakt angeht, da ist es eben wie es bei Menschen so ist, mal enger, mal weniger eng. Bei Jean Echenoz z.B. bin ich schon aus lauter Verehrung zu schüchtern, um ihn anzurufen, wenn ich in Paris bin, und zu sagen, lass uns mal einen Kaffee trinken gehen. Mit anderen gibt es sehr freundschaftliche Verhältnisse, eigentlich eher dann, wenn man gerade an einem Buch arbeitet oder miteinander auf Lesereise ist. Den Kontakt suche ich immer, um Hallo zu sagen und etwas zu dem Buch zu sagen, warum es mir gefällt, warum ich mich damit beschäftige. Das anonyme Arbeiten liegt mir nicht, aber es ist jetzt auch nicht so, dass ich ein Teil des Lebens der Autoren werden wollte.

Haben Sie eigentlich das Gefühl, dass mit dem Erfolg von Knausgård in den letzten Jahren die Türen für die norwegische Literatur ein Stück weit geöffnet wurden? Merken Sie das als Übersetzer?

Die Türen waren schon vorher offen. Die Anzahl der aus Norwegen übersetzten Bücher hat sich in dem Zeitraum, den ich überblicke, ca. 32 Jahre, kontinuierlich gesteigert. Auch die Anzahl der Leute, die damit beschäftigt sind, auch die Anzahl von norwegisch sprechenden Lektoren in den Verlagen. Als ich angefangen habe, gab es bei NORLA eine Liste von Leuten, die aus dem Norwegischen übersetzen, das waren 20. Heute ist es ein Mehrfaches. Der Boom des skandinavischen Krimis ist das eine, außerdem wird der Export intensiver, proaktiver betrieben – Knausgård hatte wegen diesen Entwicklungen schon gute Startchancen. Aber nach seinem riesigen Erfolg schauen die Verlage natürlich noch aufmerksamer, was es denn Interessantes aus Norwegen gibt.

Gibt es in Ihren Augen eine Besonderheit in der norwegischen Gegenwartsliteratur, jetzt mal von den Krimis abgesehen? Man bekommt ja schon den Eindruck, dass viele der Texte, die jetzt für die Buchmesse übersetzt worden sind, geprägt sind von persönlichen Bekenntnissen, sehr subjektiv geschrieben. Oder ist das viel variantenreicher?

Also Harstad zum Beispiel mit Max, Mischa und die Tet-Offensive ist keine Bekenntnisliteratur. Das ‚Knausgård-Espedal-Projekt‘ einer „Ich-Literatur“ hat allerdings natürlich viele Nachahmer gefunden. Ich denke, dass der starke Realismusbezug der norwegischen Literatur seit der Nachkriegszeit oder auch schon vorher immer noch seine Auswirkungen hat. Aber unter den Lebenden, die ich jetzt jüngst übersetzt habe, Myttings Die Birken wissen’s noch oder Die Glocke im See, das hat mit Bekenntnisliteratur und eigenen Küchenproblemen nicht viel zu tun. Das eine ist eine Geschichtsrecherche eines jungen Mannes, der seine Familiengeschichte verfolgt, um Tabuisiertes und Verschwiegenes aufzudecken und das greift dann die gesamte europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts auf, bis zum 1. Weltkrieg zurück. Das andere spielt in den 1870er/80er Jahren und erzählt Zeitgeschichte, Alltagskultur und Kunstgeschichte. Espedal hingegen steht für sein ‚Ich-Projekt‘. Erstmals ‚Ich‘ zu sagen und nicht ‚Wir‘, was die sozialdemokratischen Norweger eben sonst eher tun. Fosnes Hansens Ein Hummerleben wiederum ist eine klassische, süffige Erzählung, spielt in den 80er Jahren und zeigt den Niedergang eines Hotels, handelt an den wirtschaftlichen Umständen und an der Verdrängung dieses Niedergangs diese Familiengeschichte ab. Das kann man auch als Folie für heute sehen, wie wir drohende Anzeichen von Verfall nicht sehen, z.B. den des Planeten, also das ist auch gar nicht so persönlich bekenntnishaft. Tarjei Vesaas habe ich übersetzt, Sachen aus den 1940er bis 1960er Jahren, da ist sogar das, was als autobiographische Skizze geschrieben ist, in eine allgemeingültige Perspektive geweitet.

Ich denke also, einerseits stimmt die Beobachtung, es gibt sehr viel über Scheidungen, Familiengeschichten usw., aber bei weitem nicht nur. Für mich sind die Norweger sehr stark in ihrem Land und auch in der Natur verwurzelt, die zwangsläufig eben einfach da ist. Die bestimmt den Alltag. Wenn es keine Brücke über den Fjord gibt, muss man drumherum fahren, dann dauert es eine halbe Stunde länger. Die lokale, regionale und nationale Verwurzelung ist stark, aber ich sehe doch einen Blick, der weit darüber hinausgeht bis hin zu dem Beispiel Harstad. Oder auch Vesaas, der in seinen Lehr- und Wanderjahren viel gereist ist in Europa, dann aber in einer Provinz gelebt hat, und dort in seinem kleinen Ort hat er Weltliteratur geschrieben, die zu seiner Zeit – er starb 1970 – auch international sehr stark rezipiert wurde. Es ist eine der schönen Auswirkungen dieses Buchmessenschwerpunkts, dass nochmal Leute auf die Idee kamen, Vesaas neu zu verlegen.

Wie sind Sie zu Espedal gekommen?

Paul Berf hatte das erste Buch von ihm auf Deutsch übersetzt, Gehen, war dann für die weiteren zu sehr durch Knausgård blockiert. So kam ich an ihn.

Ich habe ja Ihre gemeinsame Lesung erlebt und Ihre Arbeit scheint da ja auch sehr harmonisch zu sein. Und trotzdem glaube ich, er ist ja ein sehr sprachbesessener Autor, dass er hohe Ansprüche an die Übersetzung stellt?

Unbedingt. Sein Hauptaugenmerk ist, dass er seit 20 Jahren versucht, dem Roman eine poetische Sprache zuzuführen. Man sieht, wie durchgearbeitet die Sätze sind, das möchte natürlich auch adäquat übersetzt werden, ganz klar.

Gerade das neue Buch Das Jahr war wahrscheinlich dann eine besondere Herausforderung. Ein Gedicht, dass er im Petrarca’schen Rhythmus geschrieben hat. Wie sind Sie denn da herangegangen?

Er hat sich an Petrarca angelehnt oder an ihn erinnert – es gibt kaum Passagen, die wirklich jambisch durchgestaltet wären. Ich bin so da herangegangen, dass ich den Zeilenstil imitiert habe. Wenn Sätze notwendigerweise vom Norwegischen ins Deutsche syntaktisch umgestellt werden mussten, konnte ich die Zeilensprünge natürlich nicht an derselben Stelle machen. Aber ich konnte sehen, ob sich der Zeilensprung nach Satzteilen im Innerein eines Satzteils befindet. Wenn ich den Satz im Deutschen umgebaut habe, dann machte ich die Zeilensprünge sozusagen funktional an äquivalenten Stellen, entweder an der Grenze zum Nebensatz oder mitten im Nebensatz, zwischen Adjektiv und Substantiv beispielsweise, wenn das im Norwegischen auch der Fall ist – selbst wenn ich eine Passage syntaktisch ganz anders fassen musste. Das ist einerseits eine besondere Herausforderung und andererseits gilt, wie immer, dass, wenn etwas gut geschrieben ist, es sich leichter übersetzen lässt – Schwieriges, das gut geschrieben ist, übersetzt sich leichter als etwas Einfaches, das schlecht geschrieben ist. Dann tragen einen die Sätze.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz