Komplizierte Familienbande

Jonas Hassen Khemiri erweist sich in seinem Roman „Die Vaterklausel“ als scharfsinniger Beobachter menschlicher Beziehungen

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obwohl er in Schweden preisgekrönt ist und dort zu den meistgelesenen Autoren gehört, ist Jonas Hassen Khemiri hierzulande noch nicht sonderlich bekannt. Das ändert sich vielleicht mit seinem neuen Roman Die Vaterklausel, in dem er erneut unter Beweis stellt, dass er ein meisterlicher Beobachter menschlicher Beziehungen, insbesondere derer in Familien, ist.

In Die Vaterklausel dreht sich alles um eine Familie mit Migrationshintergrund. Der Vater, inzwischen mehrfacher Großvater, hat vor vielen Jahren die Familie zurückgelassen, um wieder in der Heimat zu leben. Warum, weiß man nicht genau, vermutlich aber, um dort dank regelmäßiger Aufenthalte in Schweden seine dubiosen Import-Export-Geschäfte unter günstigeren Steuerbedingungen fortzuführen. So zumindest lautet die nüchterne Analyse seiner Tochter, die sich keine Illusionen mehr in Bezug auf ihn und die Gründe für seine Besuche macht. Oft genug hat er unter Beweis gestellt, dass in seinem Leben nur eine Person von Bedeutung ist – er selbst. Dennoch bemüht sie sich stets, ebenso wie ihr Bruder, es ihm recht zu machen. Stundenlang kochen sie Abendessen, zu denen er nicht erscheint, holen ihn zu Unzeiten am Flughafen ab, weil er nicht Bus fahren will – und der Bruder räumt jedes Mal sein Steuerberater-Büro, damit der Vater dort während seines Aufenthaltes wohnen kann. Schließlich gehörte das, ebenso wie die Verwaltung der väterlichen Finanzen, zur „Vaterklausel“, die der Sohn einging, um nach dem Wegzug des Vaters dessen Einzimmerwohnung übernehmen zu dürfen.

Doch diesmal ist alles anders: Der Sohn, inzwischen selbst zweifacher überforderter Vater in Elternzeit, ist es leid, seine Pflicht zu erfüllen, während die Tochter u. a. wegen einer ungewollten Schwangerschaft mit eigenen Problemen zu kämpfen hat. Auch die vielbeschäftigte, erfolgreiche Ex-Ehefrau will dem Filou von früherem Ehemann durchaus nicht mehr unter die Arme greifen. Allerdings scheint die verstorbene Tochter aus erster Ehe dem Vater die verpfuschte Kindheit und ihren Drogentod nicht länger übelzunehmen. Sie sucht aus dem Jenseits heraus dessen Nähe – und auch die beiden kleinen Enkelkinder begegnen dem so plötzlich auftauchenden Opa mit Neugier und Unbefangenheit.

Humorvoll und wunderbar ironisch zeichnet Khemiri das komplizierte Gefühlsleben seiner Protagonisten nach, denen allesamt die Fähigkeit fehlt, sich tatsächlich mit anderen auszutauschen und sich aufeinander einzulassen. So hadern sie mit den Fehlern der anderen, verfolgen Sehnsüchte, die im Alltag untergehen, und unterliegen letztendlich diffusen Mechanismen ihres Beziehungsgeflechts, ohne sich einzugestehen, dass ihre Unzufriedenheit zu großen Teilen an ihnen selbst liegt. Mit psychologischem Scharfblick und einer sprachlich pointierten, ironischen Erzählweise vermag es Khemiri – auch mittels geschickten Perspektivwechseln, wodurch häufig dieselbe Szene aus mehreren unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet wird – das Interesse des Lesers an der Familiengeschichte lebendig zu halten. Begierig und gespannt strebt man so dem Ende zu und hofft, dass die Protagonisten trotz allem einen Weg zueinander finden. 

Titelbild

Jonas Hassen Khemiri: Die Vaterklausel.
Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020.
256 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783498035839

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