Judit
(Judit I-III) Als Nebukadnezar, der in Niniwe über Assur herrschte, den Krieg mit König Arfaxad von Medien begann, forderte er die Perser und alle Völker des Westens zur Heeresfolge auf; diese aber wiesen seine Gesandten schimpflich ab. Nebukadnezar schwur ihnen Rache. Als er nun im fünften Kriegsjahr Ekbatana, die stark befestigte Hauptstadt Mediens, erobert, Arfaxad getötet und in Niniwe ein hundertzwanzigtägiges Siegesfest gefeiert hatte, befahl er seinem Feldherrn Holofernes, mit einem Heere von hundertzwanzigtausend Mann zu Fuß und zwölftausend Reitern die widerspenstigen Völker zu züchtigen. Niemand vermochte dieser Übermacht zu widerstehn. Nach der Verwüstung des Gebietes von Damaskus ergaben sich die Bewohner des Küstenlandes auf Gnade und Ungnade. Holofernes ließ ihre Haine umhauen; denn er war entschlossen, alle Götter der Erde auszurotten, damit alle Völker Nebukadnezar allein anbeteten und alle Zungen und Stämme ihn als ihren Gott anriefen.
(IV 1) Als die Israeliten in Juda das hörten, (2) befürchteten sie das Schlimmste für Jerusalem und den Tempel ihres Gottes. (3) Sie waren noch nicht lange aus der Gefangenschaft zurückgekehrt; und erst kürzlich waren die heiligen Geräte, der Altar und der Tempel nach ihrer Entweihung wieder geweiht worden. (5) Daher besetzten sie die Gipfel der höheren Berge, befestigten die dort liegenden Dörfer und versorgten sie mit Lebensmitteln; denn gerade war die Ernte eingebracht. (6) Jojakim aber, der damalige Hohepriester zu Jerusalem, schrieb an die Bewohner von Betulia, das bei Dotan südlich von der Ebene Jesreel liegt, (7) sie sollten die Übergänge über das Gebirge besetzen[2]; denn durch sie führte der Weg nach Juda, und es war leicht den Durchmarsch der Feinde zu hindern, weil in dem engen Passe nicht mehr als zwei Mann nebeneinander Platz hatten. (8) Die Bewohner von Betulia taten was ihnen der Hohepriester befohlen hatte. (11) Alle Israeliten aber, Männer Frauen und Kinder, warfen sich vor dem Tempel nieder, streuten sich Asche aufs Haupt, bereiteten ihre härenen Schurze vor dem Herrn aus, (12) bedeckten auch den Altar mit einem solchen und schrien zum Gotte Israels, er möge nicht zulassen daß ihre Kinder geraubt, ihre Frauen verschleppt, ihre Städte zerstört und ihr Heiligtum entweiht und geschändet würde zum Spott der Heiden. (13) Und sie fasteten viele Tage lang vor dem Allmächtigen; der aber erhörte sie und hatte Einsehen mit ihrer Not.
(V 1) Als Holofernes erfuhr daß die Israeliten sich zum Widerstand rüsteten, (2) ergrimmte er, berief die Fürsten Moabs und Ammons und die Satrapen des Küstenlandes (3) und fragte sie: „Was ist das für ein Volk da im Gebirge, was für Städte bewohnen sie, wie stark ist ihr Heer, worauf beruht ihre Stärke, wer ist ihr Führer (4) und warum weigern sie sich als einzige von allen Bewohnern des Westens, sich mir zu unterwerfen?“ (5) Da antwortete Achior, der Führer der Ammoniten: „Ich will dir die Wahrheit sagen über dieses Volk. (6-16) Ihre Stammväter wurden aus Chaldäa vertrieben, weil sie von der Religion ihres Volkes abgefallen waren, um den Himmelsgott zu verehren. In Ägypten wurden sie zu einem große Volke. Als dann der König Ägyptens versuchte sie zu unterdrücken, zwang ihr Gott den König, sie ziehen zu lassen, und geleitete sie durch das Rote Meer zum Sinai und nach Kanaan, dessen Bewohner sie vertrieben. (17) Und solange sie sich nicht gegen ihren Gott, der das Unrecht haßt, versündigten, war das Glück mit ihnen. (18) Als sie aber von dem Wege abwichen, den er ihnen vorgeschrieben hatte, wurden sie durch viele Kriege zu Grunde gerichtet und in ein fremdes Land verschleppt. (19) Nun aber haben sie sich wieder ihrem Gott zugewandt, sind aus der Zerstreuung zurückgekehrt, haben Jerusalem besetzt, wo ihr Heiligtum ist, und haben sich auf dem Gebirge angesiedelt, weil dieses unbewohnt war. (20) So laß uns denn, wenn wir hören daß dies Volk gegen seinen Gott sündigt, es angreifen! denn die Stünde bedeutet für sie den Untergang. (21) Lassen sie sich aber keine Ungesetzlichkeit zu Schulden kommen, so zieh ab, damit wir nicht zum Gespött der ganzen Welt werden!“ (22-24) Über diese Worte Achiors waren alle Versammelten so empört, daß sie ihn niederschlagen wollten. (VI) Holofernes aber befahl, ihn an die Bewohner von Betulia auszuliefern, damit er bei der Einnahme dieser Stadt zusammen mit den Israeliten seinen Tod fände. So wurde er nach Betulia geschafft und dort freundlich aufgenommen.
(VII 1) Am nächsten Tage befahl Holofernes seinem ganzen Heere und den Truppen seiner Verbündeten, gegen Betulia aufzubrechen und die Übergänge über das Gebirge zu besetzen. (4) Die Israeliten erschraken beim Anblick der feindlichen Übermacht und sprachen zu einander: „Sie werden das ganze Land auffressen, und die Berge und Schluchten werden ihre Last nicht tragen können.“ (5) Doch griffen sie zu den Waffen, zündeten Feuer auf ihren Türmen an und hielten die ganze Nacht durch Wache. (8) Da traten die Führer der Edomiten und Moabiten und die Obersten des Küstenlandes an Holofernes heran und sagten: (9) „Unser Herr möge einen Rat anhören, damit das Heer vor Verlusten bewahrt bleibt! (10) Israel setzt sein Vertrauen nicht auf seine Waffen, sondern auf die Höhe seiner Berge, weil es nicht leicht ist sie zu ersteigen. (11) Greif deshalb nicht an! (12) halt vielmehr deine Männer im Lager zurück; nur laß sie die Quelle am Fuß des Berges besetzen, (13) wo die Bewohner von Betulia ihr Wasser holen! Dann wird der Durst sie zwingen ihre Stadt zu übergeben, und du wirst keinen einzigen Mann verlieren.“ (16) Dieser Rat gefiel Holofernes; und auf seinen Befehl (17) besetzten die Ammoniten, verstärkt durch fünftausend Assyrer, die Quelle, (18) während die Masse des assyrischen Heeres in der Ebene lagerte.
(20) Nach vierunddreißig Tagen ging den Bewohnern von Betulia das Wasser aus; (21) auch die Zisternen waren leer, und sie hatten nicht einmal mehr für einen Tag genug zu trinken. (22) Ihre Kinder verschmachteten, Frauen und Männer wurden ohnmächtig und fielen auf der Straße um. (23) Da strömte das ganze Volk bei dem Bürgermeister Ozias und den Ratsherrn zusammen, und sie schrien: (24) „Gott strafe euch! Ihr habt euch schwer an uns vergangen, weil ihr keine Friedensverhandlungen mit den Assyrern geführt habt. (25) Jetzt kann uns niemand mehr retten; Gott hat uns in ihre Hand gegeben. (26) Drum ruft sie herbei und liefert die Stadt dem Heere des Holofernes zur Plünderung aus! (27) Wir werden dann zwar Sklaven werden, aber wenigstens am Leben bleiben und nicht mit anzusehn brauchen wie unsre Frauen und Kinder verschmachten.“ (28) Und lautes Wehklagen erhob sich in der Versammlung. (30) Ozias erwiderte: „Seid mutig, Brüder! Laßt uns noch fünf Tage aushalten! Gott wird sich erbarmen und uns nicht ganz verlassen. (31) Wenn uns bis dahin keine Hilfe kommt, werde ich tun was ihr verlangt.“ (32) Und er hieß die Menge auseinander gehen. Da kehrten die Männer auf die Mauern und Türme zurück und schickten ihre Frauen und Kinder nach Hause. Es herrschte aber eine sehr gedrückte Stimmung in der Stadt.
(VIII 1) Dies alles hörte eine Witwe namens Judit. (2.3) Ihr Mann war in der Gerstenernte beim Garbenbinden am Hitzschlag gestorben (7) und hatte ihr Gold und Silber, Knechte und Mägde, Vieh und Äcker hinterlassen. Sie sah schön und blühend aus; (8) aber niemand konnte ihr etwas Böses nachsagen, denn sie war sehr gottesfürchtig. (4) Schon dreieinhalb Jahre lebte sie als Witwe zurückgezogen in ihrem Hause, (5) trug einen härenen Schurz um ihre Hüfte (6) und fastete alle Tage außer an den Sabbat- und Feiertagen.
(9) Als sie nun die schlimmen Reden des Volkes hörte und den Schwur des Bürgermeisters, die Stadt den Assyrern nach fünf Tagen zu übergeben, (10) ließ sie ihn und zwei Ratsherrn zu sich rufen (11) und sprach zu ihnen: „Es war nicht recht von euch, so zu dem Volke zu reden, wie ihr getan habt, und euch durch einen Eid zu verpflichten, die Stadt zu übergeben, wenn der Herr uns keine Hilfe sendet. (16) Glaubt nicht daß ihr unsern Gott zu einem Entschluß zwingen könnt! Er lässt sich nicht drohen wie ein Mensch. (17) Laßt und vielmehr auf seine Hilfe harren und ihn anrufen zu unsrer Rettung! so wird er uns erhören, wenn es ihm gefällt. (21) Bedenkt auch: Wenn unsre Stadt genommen wird, so fällt ganz Juda in Feindes Hand und wird unser Heiligtum geplündert. Der Herr aber wird seine Entweihung, (22) die Ermordung unsrer Brüder, die Verschleppung der Bewohner und die Verwüstung des Landes an uns rächen: wir werden Knechte der Heiden sein, und diese unsre Herren werden uns hassen und verachten.“ (28) Ozias erwiderte: (30) „Das Volk litt großen Durst; so zwangen sie uns, einen Eid auf uns zu laden den wir nicht brechen werden. (31) Aber du bist ja eine fromme Frau; darum bitte für uns! so wird der Herr Regen senden und unsre Zisternen füllen und werden wir nicht länger Mangel leiden.“ (32) Aber Judit sprach: „Hört, ich will eine Tat tun, deren sich auch die künftigen Geschlechter unsres Volkes noch erinnern werden. (33) Wenn ihr heut nacht auf dem Tore Wache haltet, werde ich mit meiner Magd hinausgehn; und eh die Tage um sind, nach denen ihr die Stadt den Feinden zu übergeben geschworen habt, wird der Herr Israel durch meine Hand erretten.“ (35) Ozias und die Ratsherrn antworteten: „Möge es dir wohlgehn und Gott der Herr dir helfen, Rache zu nehmen an unsern Feinden!“
(IX) Nachdem Judit Gott, den Beistand der Schwachen, den Retter der Verzweifelten, gebeten hatte, ihr Kraft zu ihrem Vorhaben zu geben, (X 3) legte sie den härenen Schurz und ihre Witwenkleider ab, badete und salbte sich mit kostbarer Salbe, ordnete kunstvoll ihr Haar, tat ein Kopftuch um, zog ihr schönstes Kleid (4) und ihre Sandalen an und schmückte sich mit Schrittkettchen Armbändern Ringen und Ohrgehängen. (5) Dann holte sie einen Schlauch Wein und einen Krug Öl, füllte einen Sack mit Brot und Feigenkuchen und lud alles der Magd auf. (6-10) Als sie an das Stadttor kam, staunten alle über ihre Schönheit und ließen sie mit guten Wünschen für ihr Vorhaben hinaus. Sie stieg den Berg hinunter, (11) bis sie auf die assyrischen Vorposten traf. (12) Die hielten sie an und fragten: „Wer bist du, woher kommst du und wohin willst du?“ Sie antwortete: „Ich bin eine Hebräerin und von meinen Landsleuten geflohen, weil sie euch zum Fraß gegeben werden. (13) Ich will zu Holofernes und ihm sagen wie er sich des ganzen Gebirges bemächtigen kann ohne einen einzigen Mann zu verlieren.“ (17) Als sie nun ins Lager geführt wurde, (18) lief da alles zusammen; denn die Kunde von ihrer Ankunft war schon bis in die Zelte vorgedrungen. (19) Jeder bewunderte ihre Schönheit und sagte: „Wer kann dies Volk verachten das solche Weiber hat?“ (20) Die Leibwache des Holofernes führte sie dann in sein Zelt.
(21) Holofernes ruhte auf seinem Lager unter einem Mückenschleier, der aus Purpur- und Goldfäden gewebt und mit Edelsteinen geschmückt war. (22) Man meldete ihm Judit. Da ging er ins Vorzelt; (23) als er sie erblickte, staunte er über ihre Schönheit. Sie fiel vor ihm nieder auf ihr Gesicht; aber seine Diener hoben sie auf. (XI 1) Holofernes sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, Frau! Ich tue niemand etwas zuleide, der sich Nebukadnezar, dem Herrn der ganzen Erde, unterwirft; (2) und ich würde meinen Speer nicht gegen dein Volk erhoben haben, wenn sie mich nicht verachtet hätten. (3) Doch nun sag mir: Warum bist du von ihnen weggelaufen und zu uns gekommen?“ (5) Judit antwortete: (8) „Wir haben von deiner Klugheit gehört, und alle wissen daß du der tüchtigste Mann im Reiche bist und ein bewundernswerter Feldherr. (10) Doch beachte wohl was Achior dir gesagt hat! denn es ist wahr: Das Schwert vermag nichts gegen unser Volk, solange es sich nicht gegen seinen Gott versündigt. (11) Nun haben sie sich aber zu einer Sünde entschlossen, durch die sie ihren Gott erzürnen werden, wenn sie sie tun. (12) Nachdem ihnen nämlich die Lebensmittel ausgegangen sind und das Wasser knapp geworden ist, haben sie beschlossen alle Tiere zu verzehren, die ihnen Gott durch sein Gesetz verboten hat, (13) und die Erstlinge des Getreides und den Zehnten von Wein und Öl zu verbrauchen, die sie für die Priester in Jerusalem aufbewahrt hatten und die niemand aus dem Volke auch nur mit den Händen berühren darf. (14) Schon haben sie Männer nach Jerusalem gesandt, um die Erlaubnis des Hohen Rates dazu einzuholen. (15) Sobald ihnen diese erteilt ist und sie davon Gebrauch machen, werden sie dir preisgegeben sein. (16) Deshalb bin ich, deine Magd, von ihnen entflohen; (17) denn ich bin gottesfürchtig und diene Tag und Nacht dem Gott des Himmels. Für jetzt möchte ich bei dir bleiben, nachts aber hinausgehn in die Schlucht, um Gott zu bitten mirs zu sagen, wenn sie diese Sünde begehn. (18) Ich werde es dir melden. Wenn du dann mit deinem ganzen Heere ausziehst, wird keiner von ihnen dir wiederstehen können. (19) Dann werde ich dich durch ganz Juda führen bis vor Jerusalem, und du wirst deinen Thron mitten in der Stadt aufstellen und sie wegführen wie Schafe die keinen Hirten haben. Dies ist mir durch Offenbarung kund geworden; und ich bin gesandt es dir zu sagen.“ (20) Ihre Worte gefielen Holofernes und seinen Dienern; sie dachten: (21) „Eine so schöne und kluge Frau gibt es in der ganzen Welt nicht.“ (22) Holofernes aber sagte: „Gott hat wohlgetan daß er dich gesandt hat, damit uns der Sieg, denen aber die meinen Herrn verachtet haben der Untergang zuteilt wird. (23) Wenn du tust wie du gesagt hast, wird dein Gott mein Gott sein und wirst du im Palast des Königs Nebukadnezar wohnen und berühmt werden in der ganzen Welt.“ (XII 1) Darauf befahl er, ihr eine Mahlzeit vorzusetzen an seiner eignen Tafel von seinen Leckerbissen und seinem Wein. (2) Doch Judit sagte: „Ich werde nicht davon genießen, um mich nicht zu versündigen; man gebe mir von dem was ich mitgebracht habe!“ (3) Holofernes fragte: „Was aber, wenn du das aufgezehrt hast?“ (4) Judit erwiderte: „Bei deinem Leben, Herr! ich werde mit meinen Vorräten nicht zu Ende sein, eh Gott vollbracht was er beschlossen.“ (5) Da führten die Diener sie zu dem Zelt das Holofernes für sie bestimmt hatte. Als sie eintrat, bat sie um die Erlaubnis, während der Nacht zum Gebet hinausgehn zu dürfen. (6) Holofernes war damit einverstanden. (7) So blieb sie drei Tage im Lager; jede Nacht aber ging sie in die Schlucht, um an der Quelle ihre Waschungen vorzunehmen (8) und den Herrn zu bitten, ihr den Weg zur Rettung ihres Volkes zu bahnen.
(10) Am vierten Tage lud Holofernes seine Offiziere zu einem Gelage ein. (11) Und er sagte zu seinem Kammerherrn: „Geh hin und überrede die Hebräerin die bei dir ist, mit uns zu essen und zu trinken! (12) Es wäre ja eine Schande für uns, wenn wir eine solche Frau gehen ließen, ohne mit ihr verkehrt zu haben; und sie selbst würde uns nur auslachen.“ (13) Da ging der Kammerherr zu ihr und sagte: „Das schöne Fräulein verschmähe es nicht, zu meinem Herrn zu kommen, sich von ihm ehren zu lassen und mit uns in Fröhlichkeit einen Becher Wein zu trinken!“ (14) Judit erwiderte: „Wie könnte ich meines Herren Wunsch zurückweisen? Es wird mir eine Freude sein bis an mein Ende, alles zu tun was ihm gefällt.“ (15) Sofort kleidete sie sich in ihr schönstes Gewand und legte all ihren Schmuck an. Ihre Magd ging voraus und breitete auf dem Boden, Holofernes gegenüber, die Vliese aus, die ihr der Kammerherr gegeben hatte, um sich bei den Mahlzeiten daraufzulegen. (16) Dann trat Judit ein. Holofernes war ganz entzückt bei ihrem Anblick (17) und forderte sie auf: „Komm, trink mit uns und sei lustig!“ (18) Judit antwortete: „Ja, das will ich; denn in meinem ganzen Leben ist mir noch keine so große Ehre wiederfahren.“ (19) Und sie aß und trank vor ihm was ihre Magd bereitet hatte. (20) Holofernes aber war hoch erfreut über ihre Antwort und trank viel Wein, mehr als er je in seinem Leben getrunken hatte.
(XIII 1) Als es Nacht geworden, brachen die Gäste auf. (2) Nur Judit blieb im Zelte bei Holofernes zurück, der vom Wein überwältigt vornüber auf sein Lager gesunken war. (3) Sie hatte aber ihrer Magd befohlen, vor ihrem Zelt auf sie zu warten, da sie noch zum Gebet hinausgehn würde. Das hatte sie auch dem Kammerherrn gesagt. (4) Als nun alle fortgegangen und niemand im Gemach zurückgeblieben war, trat Judit an Holofernes´ Lager, betete: „Allmächtiger Gott, schau in diesem Augenblick auf das was meine Hände tun zur Ehre Jerusalems!“ (6) nahm sein Schwert, (7) faßte ihn bei den Haaren (8) und schlug ihm mit dem Rufe: „Stärke mich, Gott Israels!“ zweimal mit aller Kraft das Schwert ins Genick. Dann trennte sie ihm das Haupt von den Schultern, wickelte es in den Mückenschleier, (9) eilte hinaus und gab das Haupt ihrer Magd; (10) die steckte es in ihren Sack. Dann durchschritten sie nach ihrer Gewohnheit das Lager, stiegen die ganze Schlucht hinauf und gelangtem zum Stadttor von Betulia. (11) Schon von ferne rief Judit den Wächtern zu: „Öffnet schnell das Tor! Gott ist mit uns.“ (12) Die Männer eilten hinab, (13) öffneten und machten Licht. (15) Da zog Judit das Haupt aus dem Sack und rief: „Hier ist das Haupt des Feldherrn der Assyrer. Der Herr hat ihn erschlagen durch die Hand einer Frau.“ (17) Da staunten alle, knieten nieder und beteten: „Gepriesen seist du unser Gott, der du heute die Feinde deines Volkes vernichtet hast!“
(XIV 1) Jetzt sprach Judit: „Hört mich an, Brüder! Nehmt das Haupt und hängt es an den Wehrgang! (2) Und wenn die Sonne aufgeht, so greift zu den Waffen und eilt hinaus, als ob ihr die Vorposten der Assyrer überfallen wolltet! (3) Dann werden auch sie zu den Waffen greifen, ihre Führer wecken und Holofernes suchen. Wenn sie aber seinen Rumpf im Blute schwimmen sehen, werden sie erschrecken und vor euch fliehen. (4) Dann setzt ihnen nach und macht sie nieder wo ihr sie findet!“ (9) Alle jubelten laut; (11) und bei Tagesanbruch hängten sie das Haupt des Holofernes an die Mauer, griffen zu den Waffen und zogen hinaus. (12) Als die Assyrer sie erblickten, meldeten sie es ihren Führern. (13) Die eilten zum Zelt des Holofernes und riefen seinem Kammerherrn zu: „Weck unsern Herrn! Dies Gesindel wagt es, uns anzugreifen; das soll ihnen übel bekommen!“ (14) Der Kammerherr ging hinein und klopfte an; denn er dachte daß sein Herr noch schliefe. (15) Als aber niemand antwortete, zog er den Vorhang zurück. Da sah er ihn tot ohne Kopf auf der Schwelle liegen. (16) Er schrie laut auf, zerriß seine Kleider (17) und eilte in Judits Zelt, fand sie aber nicht. Jetzt sprang er unter die Menge und rief: (18) „Dies Gesindel hat uns betrogen! Ein einziges hebräisches Weib hat Schande gebracht über das Reich unsers Königs Nebukadnezar: Holofernes liegt tot ohne Kopf am Boden.“ (XV 1) Da erschraken die Assyrer, (2) stoben auseinander und flohen nach allen Seiten durch Ebene und Gebirge. (5) Nun fielen alle wehrfähigen Israeliten über sie her, auch die Männer aus Jerusalem, die vom Gebirge und die aus Gilead und Galiläa und brachten ihnen schwere Verluste bei. (6) Was aber in Betulia von Bewohnern zurückgeblieben war fiel über das assyrische Lager her und machte reiche Beute.
(8) Darauf kam der Hohepriester Jojakim mit dem Hohen Rat von Jerusalem, um zu sehen was der Herr Gutes an Israel getan und um Judit zu beglückwünschen. (9) Sie sprachen zu ihr: „Du Stolz Jerusalems, du Ruhm Israels, du Zierde unsres Volks, (10) du hast dies alles mit eigner Hand vollbracht und Israel Gutes getan; Gott der Allmächtige segne dich immerdar!“ Und das ganze Volk rief: „So sei es!“ (11) Auch gab man Judit aus der Beute das Zelt des Holofernes samt seinem silbernen Geschirr, seinen Betten und sonstigem Gerät. (12) Die Frauen aber führten ihr zu Ehren Reigentänze auf. (13) Dann bekränzten sich Judit und die Frauen mit Ölzweigen und zogen im Reigen vor den Männern her, die ihnen bekränzt und Loblieder singend in ihrer Waffenrüstung folgten. (XVI 18) So kamen sie nach Jerusalem; und nachdem sie sich gereinigt hatten[3], brachten sie ihre Opfer und Geschenke dar. (19) Judit aber gab alle Sachen des Holofernes, die man ihr geschenkt hatte, als Weihgeschenk hin, auch den Mückenschleier den sie aus seinem Schlafgemach mitgenommen hatte. (21) Dann kehrte jeder in seine Heimat zurück.
(22) Viele begehrten jetzt Judit zur Frau, aber sie blieb unvermählt. (23) Als sie im Alter von hundertfünf Jahren starb, bestattete man sie in der Grabhöhle ihres Mannes; (24) und ganz Israel betrauerte sie sieben Tage.
Erklärungen
[1] Die Judit-Novelle dürfte um 150 v. Chr. entstanden sein, zu einer Zeit, als das Judentum um seine völkisch-religiöse Existenz kämpfte. Es sollte die Juden zu höchstem Mut und unbedingter Gesetzestreue entflammen. Assyrien ist als das Seleukidenreich, Nebukadnezar als einer der Könige, Holofernes als einer der Feldherrn dieses Reiches zu verstehen.
[2] Der Hohepriester bekam solche Gewalt erst, als der Makkabäer Jonatan i. J. 153 Hoherpriester wurde.
[3] Das Blutvergießen hatte sie kultisch verunreinigt.
Israel und Juda. Sage und Geschichte, Weisheit und Hoffnung eines Volkes in Selbstzeugnissen. Hg. u. kommentiert von August Möhle (seit 2017 auch als E-Book)