Leserbriefe zur Rezension

Sag mir, wo die Blumenkinder sind. Wo sind sie geblieben?

Klaus Maria Brandauer spielt in Antonin Svobodas Film über Wilhelm Reich endlich den Mann, in den er sich schon in den 1960er Jahren verknallte

Von Bernd Nitzschke


BarbaraSperr schrieb uns am 09.11.2013
Thema: Bernd Nitzschke: Sag mir, wo die Blumenkinder sind. Wo sind sie geblieben?

Sehr geehrter Herr Nitzschke,
ich lese gern was Sie schreiben, als politisch engagierte Kollegin. Aber Ihrer euphorischen Darstellung von Reich muss ich widersprechen. Um es überspitzt zu sagen - Das Gegenteil von etwas ist nicht unbedingt die Wahrheit. Und: Reich ist nicht Snowden, da tun Sie Snowden Unrecht.
Reichs Übergriffe, sein Missbrauch von Patientinnen ist unethisch.
Mit kollegialen Grüßen
Barbara Sperr


Bernd A. Laska schrieb uns am 15.05.2014 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Bernd Nitzschke: Sag mir, wo die Blumenkinder sind. Wo sind sie geblieben?

Missbrauch ist, das liegt im Begriff, unethisch.
"Unethisch" ist aber wohl auch, ohne jeden Beleg öffentlich zu behaupten,
Reich habe sich des Missbrauchs von Patientinnen schuldig gemacht.


Bernd A. Laska schrieb uns am 15.05.2014
Thema: Bernd Nitzschke: Sag mir, wo die Blumenkinder sind. Wo sind sie geblieben?

Bernd Nitzschke skizziert in seiner Filmbesprechung mit etlichen allgemein wenig bekannten Details die politischen Rahmenbedingungen, die Reich zu dem „Fall“ gemacht haben, den Svobodas Film thematisiert. Das ist sinnvoll und nützlich.
N.s Darstellung des zentralen Punktes des Falles Reich (seines Konflikts mit Freud) möchte ich jedoch widersprechen:
N. schreibt, die Zerstörung von Reichs Lebenswerk sei durch die Anordnung eines US-Gerichts geschehen, Reichs Orgon-Gerätschaften und sämtliche in den USA erschienenen Schriften Reichs und seiner Mitarbeiter zu vernichten. Damit legt N. den Schwerpunkt von Reichs Werk auf die Orgonomie, also auf die Arbeiten der Jahre ab 1939.
Reich war zuvor jedoch ein renommierter Vertreter der Psychoanalyse. Und für diese ist er schon vorher ein „Fall“ gewesen. Dies erwähnt N. zwar, aber hier nur am Rande und verkürzt: „Wegen seines [Reichs] - unter Berufung auf Psychoanalyse und Marxismus - öffentlich ausgetragenen Kampfes gegen den Faschismus war er 1933 auf Drängen Freuds aus der DPG und damit [...] aus der IPV ausgeschlossen worden.“ Dass das Drängen Freuds, das nur hinter den Kulissen geschah, nicht primär politische Gründe - appeasement gegenüber der NS-Regime in Deutschland - hatte, erhellt schon daraus, dass der Ausschluss von Reich - der ohnehin längst aus Deutschland emigriert war - so konspirativ wie möglich erfolgte und öffentlich nur durch eine kurze und falsche Notiz („Austritt“) in der Verbandszeitschrift bekannt gegeben wurde. Primär waren für Freud, wie er in einem Brief schrieb, „wissenschaftliche Gründe“. Dieser Konflikt zwischen Freud und Reich schwelte seit Mitte der Zwanziger Jahre, und Freud verweigerte beharrlich eine Stellungnahme. Auf einen Artikel Reichs, in dem dieser Freuds Todestriebtheorie kritisierte, reagierte Freud erneut nicht mit Argumenten, diesmal aber mit dem Entschluss, Reich - als Psychoanalytiker - zu vernichten. Das war laut Eintrag Freuds in seine „Kürzeste Chronik“ am 1. Januar 1932, also kaum als Konzession an den NS zu werten. Nach einigen konspirativen Machenschaften kam es im Oktober 1933 zum Ausschluss aus der DPG, von dem allerdings Reich nichts erfuhr, und schliesslich Ende August 1934 auf einem Kongress - und dennoch eher beiläufig - zur Bestätigung von Reichs Ausschluss aus DPG und IPV, der nun aber als Austritt deklariert wurde. Dies war mMn der entscheidende Coup gegen Reich, auch in Hinblick auf eine Bewertung der Psychoanalyse für die „ideologische“ Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Nitzschke ist ausweislich seiner zahlreichen einschlägigen Publikationen einer der besten Kenner dieser Vorgänge. Das wirft die Frage auf, warum er, wie Freud, die „wissenschaftlichen Gründe“ des Konflikts Freud vs. Reich - hier wie andernorts - nicht näher benennen will.


Bernd Nitzschke schrieb uns am 18.05.2014 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Bernd Nitzschke: Sag mir, wo die Blumenkinder sind. Wo sind sie geblieben?

Bernd A. Laska „wirft“ am Ende seines Leserbriefs „die Frage auf“, warum „ er [Nitzschke], wie Freud, die ‚wissenschaftlichen Gründe’ des Konflikts Freud vs. Reich – hier wie andernorts – nicht näher benennen will“. Außerdem moniert er, ich hätte „nur am Rande und verkürzt“ darauf hingewiesen, „dass Reich auf Drängen Freuds aus der DPG und damit aus der IPV ausgeschlossen wurde“. Schließlich behauptet er, es seien „nicht primär politische Gründe – appeasement gegenüber der NS-Regime in Deutschland“ – gewesen, die zu Wilhelm Reichs Ausschluss aus den psychoanalytischen Organisationen geführt hätten. Das, so Laska, „erhellt schon daraus, dass der Ausschluss […] so konspirativ wie möglich erfolgte und öffentlich nur […] in der Verbandszeitschrift bekannt gegeben wurde. Primär waren für Freud, wie er in einem Brief schrieb, ‚wissenschaftliche Gründe’. Dieser Konflikt zwischen Freud und Reich schwelte seit Mitte der Zwanziger Jahre, und Freud verweigerte beharrlich eine Stellungnahme.“

Die Besprechung eines (Spiel-)Films, der sich mit Reichs letzter Lebensphase beschäftigt, in der er sich gänzlich der Orgonomie verschrieben hatte, ist selbstverständlich nicht der Ort, an dem Reichs Konflikt mit Freud detailliert zu erörtern wäre. Ich bin – anderes als Laska unterstellt – auf diesen Konflikt andernorts mehrfach eingegangen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: (1) Bernd Nitzschke, „Ich muß mich dagegen wehren, still kaltgestellt zu werden“. Voraussetzungen, Umstände und Konsequenzen des Ausschlusses Wilhelm Reichs aus der DPG/IPV in den Jahren 1933/34. In: K. Fallend, B. Nitzschke (Hg.): Der ‚Fall’ Wilhelm Reich. Beiträge zum Verhältnis von Psychoanalyse und Politik. Frankfurt/M. 1997; Neuausgabe: Giessen 2002. (2) Unter besonderer Berücksichtigung der als Begründung für Reichs Ausschluss von Freud angeführten wissenschaftlichen Gründe: Bernd Nitzschke, Wilhelm Reich und der Nationalsozialismus: die Geschichte der Psychoanalyse einmal anders betrachtet. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen 68. Jahrgang, 2014.

Laska behauptet, der „Konflikt zwischen Freud und Reich schwelte seit Mitte der Zwanziger Jahre“. Bis Ende 1930 gab es zwischen Freud und Reich keinen „Konflikt“. Gelegentliche Einwände Freuds im Zusammenhang mit – aus Freuds Sicht – allzu einseitigen Auffassungen Reichs bewegten sich im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses und waren – vergleicht man sie mit den in den Protokollen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) festgehalten kritischen Äußerungen Freuds gegenüber anderen Kollegen – außerordentlich milde, ja geradezu freundschaftlich. Bis Ende 1930 hatte Reich zudem den Posten des Leiters des Technischen Seminars der WPV inne, eine für die Ausbildung der nachwachsenden Psychoanalytiker-Generation außerordentlich wichtige Position. Nachdem er sich vor Reichs Übersiedelung nach Berlin noch einmal mit ihm besprochen hatte, schrieb Freud an Reich am 10. Oktober 1930: „[…] wir haben in unserer Unterhaltung ausgemacht dass Ihre zeitweise Übersiedlung nach Berlin nicht den Verlust Ihrer Stellungen in Wien zur Folge haben soll […].“ Freud war zu diesem Zeitpunkt also noch immer bereit Reich die Leitung des Technischen Seminars erneut anzuvertrauen, sollte Reich eines Tages nach Wien zurückkehren. Als Freud Reich dies zusicherte, war längst bekannt, dass Reich sich als Marxist verstand: 1929 hatte er in der Zeitschrift „Unter dem Banner des Marxismus“ eine Abhandlung über „Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse“ veröffentlicht und im Oktober 1930 hatte er sich für die österreichische Nationalsratswahl in Wien als Kandidat der KPÖ aufstellen lassen.

Laska behauptet: „Primär waren für Freud, wie er in einem Brief schrieb, ‚wissenschaftliche Gründe’“, die zu Freuds Forderung führten, Reich aus der IPV ausschließen zu lassen. Aus einen Brief Anna Freuds vom 27. April 1933 an Ernest Jones, Präsident der IPV, geht deutlich hervor, welche wissenschaftlichen Gründe Freud veranlassten, Reichs Ausschluss zu fordern. In diesem Brief heißt es, Reich habe jetzt in Wien „politische Reden mit psychologischem Anstrich“ gehalten. „Was das in heutigen Zeiten für die analytische Vereinigung bedeuten kann, weiß jeder. […] Reich wünscht eine offizielle wissenschaftliche Stellungnahme zu seinen Arbeiten. Mir scheint, der Wunsch ist berechtigt, und seine Erfüllung könnte nur wohltätig wirken, denn sie müßte unbedingt zur Abgrenzung der wirklichen Psa. von der Reich’schen Psa. führen. Mein Vater […] kann nicht erwarten, Reich als Mitglied loszuwerden. Ihn beleidigt die Vergewaltigung der Psychoanalyse ins Politische, wo sie nicht hingehört.“

Das sollte an dieser Stelle festgehalten werden: Freud warf Reich nicht dessen politisches Engagement vor. Das kannte (und tolerierte) er seit langem. Freud warf Reich jetzt eine Vermischung politischer Gesinnung mit wissenschaftlichen (sprich: psychoanalytischen) Positionen vor. Das geschah – anders als Laska in seinem Leserbrief behauptet – aber nicht, nachdem er einen „Artikel Reichs, in dem dieser Freuds Todestriebtheorie kritisierte“, gelesen hatte, vielmehr nachdem Freud über einen am 19. Dezember 1931 von Reich am Berliner Institut gehaltenen Vortrag („Die sexuelle Ökonomie des masochistischen Charakters“) informiert worden war, den Otto Fenichel, ein mit Reich befreundeter Freudomarxist, der diesen Vortrag in der „Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse“ veröffentlichen wollte (Fenichel war Redakteur der Zeitschrift, wurde aber kurze Zeit später auf Geheiß Freuds von diesem Posten abberufen).

Das war der Ausgangspunkt des Konflikts, der zu Reichs Ausschluss führen sollte Am 1. Januar 1932 notierte Freud erstmal in seinem – „Kürzeste Chronik“ genannten – Tagebuch: „Langer Magenanfall – Schritt gegen Reich.“ Kurz darauf schrieb Freud empört an Max Eitingon, den Vorsitzenden des Berliner Instituts, Reich und Fenichel missbrauchten psychoanalytische „Zeitschriften für bolsch[e]w.[istische] Propaganda“. Und Ferenczi teilt er wenig später mit, Reich vertrete jetzt den „Unsinn […], was man für Todestrieb halte, sei die Tätigkeit des kapitalistischen Systems“.

Nachdem sich die politische Situation in Deutschland nach dem Regierungsantritt Hitlers dramatisch geändert hatte, ließ Eitingon Reich wissen, „er möchte unsere Institutsräume nicht mehr betreten, damit, falls er verhaftet werden würde, dies nicht in unseren Räumen geschehen könne“. So steht es in einem Bericht, den Felix Boehm – ab November 1933 ‚arischer’ Nachfolger Eitingons im Amt des DPG-Vorsitzenden – für den IPV-Präsidenten Ernest Jones verfasst hat. Bereits im April 1933 hatte Boehm Freud in Wien besucht, der ihm beim Abschied diesen Auftrag erteilte: „[…] ‚befreien Sie mich von Reich’“ (Freud – zit. n. Boehms Bericht an Jones). Freud schrieb damals erleichtert an Eitingon, Boehm habe zugesagt, „Reich, der jetzt in Wien stänkert, ausschließen zu lassen. Ich wünsche es aus wissensch. Gründen, habe nichts dagegen, wenn es aus politischen geschieht, gönne ihm jede Märtyrerrolle.“

Die Distanzierung von Reich war unbedingt notwendig, wollte man die psychoanalytischen Institutionen im NS-Staat erhalten. Dazu heißt es im Bericht Boehms an Jones: „Bekanntlich war Reich häufig öffentlich als Kommunist und Psychoanalytiker aufgetreten, wobei er seine Ansichten als Ergebnisse der Psychoanalyse hingestellt hatte. In unzähligen Flugschriften war in Berlin vor Reich gewarnt worden. Gegen dieses Vorurteil hatte ich zu kämpfen“. Wenn Laska schreibt, dass der Ausschluss Reichs aus der DPG/IPV „nicht primär politische Gründe“ hatte, ließe sich dies Äußerung im Lichte der hier kurz skizzierten historischen Ereignisse so kommentieren: Die von Freud angeführten „wissenschaftlichen Gründe“ bezogen sich primär auf einen Vortrag Reichs, der dann doch noch in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse veröffentlicht wurde. Freud hatte darin eine unzulässige Vermischung marxistischer und psychoanalytischer Positionen wahrgenommen. Diese „wissenschaftlichen Gründe“ vermischten sich mit den „politischen Gründen“, die Freud ausdrücklich guthieß und die 1933 den Ausschlag gaben, Reich so rasch wie möglich auszuschließen. Reichs Ausschluss wurden den NS-Machthabern sofort gemeldet. In Boehms Bericht an Jones heißt es dazu: „Bei all meinen Schritten hat mir die Stellungnahme Freud’s vorgeschwebt, es solle durchaus versucht werden, das Werk der Ps.A. in Deutschland aufrecht zu erhalten und keiner Behörde eine Handhabe für ein Verbot unserer Tätigkeit gegeben werden.“