Leserbriefe zur Rezension

Exzentrische Irrtümer

Kersten Schüßler verfolgt Helmuth Plessners intellektuelle Biographie

Von Jan Müller


Kersten Schüßler schrieb uns am 16.05.2001
Thema: Jan Müller: Exzentrische Irrtümer

Lieber Jan Müller,
ich freue mich über Ihre Rezension meines Buches unter dem schönen Titel
"Exzentrische Irrtümer". Sie haben Recht, die Passagen über Plessners
"Einheit der Sinne" sind kurz und möglicherweise zu kurz geraten
gegebenüber den politischen Aspekten. Doch das philosophische Themen hat Kai Hauke
in einer fast zeitgleich erschienen Einführung in den Vordergrund gerückt, mich
interessierten mehr die Zeitumstände und die weniger besichtigten Einflüsse von
Weber, Troeltsch und Co. Der biographische Aspekt führte mich auch dahin,
Plessners "Macht und menschliche Natur" gerade als diplomatischen und
"exzentrischen" Vermittlungsversuch zwischen Carl Schmitt und Heidegger zu
lesen.
Politik und Philosophie schließen sich bei Plessner, wie ich glaube,
gerade nicht totalitär kurz. Heidegger und dessen Auffassung von einem
eigentlichen Sein, war der Schatten, aus dem Plessner heraus wollte. So
hat er jede als absolut "wahr" behauptete Position mit dem Vorbehalt begegnet,
doch letztlich zufällig zustande gekommen zu sein. Wenn eine politische
oder philosophische Position sich ernst nimmt, muss sie andere Wirklichkeiten
als gleich zufällige neben sich akzeptieren. Damit ist sie aber nicht mehr
absolut. Plessner will 1931 aus der deutschen Innerlichkeit ausbrechen.
Und er schreibt da - wie ich wiederholt zitiere - sehr wohl von der
universalen Gleichheit "all dessen, was Menschenantlitz" trägt. Das ist ein
philosophischer und politischer Aspekt, den ich - anders als Ihre
Rezension es in diesem Punkt betont - doch gerade nicht unterschlage, oder? Sie
sprechen ja selbst von der essenziellen Verschränkung von Politik und
Philosophie in Plessners Werk. Plessner distanziert sich auch später - so
weit ich weiss  - nicht von "Macht und menschliche Natur". Warum auch?
Eine kleine Exzentrik zum Schluß: Kersten ist tatsächlich eigentlich ein
und auch mein Männername (nord. Abwandlung von Christian). Aber dieser kleine
exzentrische Irrtum passt nicht schlecht: Die Geschlechter-Differenz ist - das
kann man wohl kritisch anmerken - bei Helmine Plessner kein ordentlich
reflektiertes Thema.
Freundliche Grüße, Kersten Sebastian Schüßler