The Good, the Bad and the Wellensittich
André Kubiczek legt seinen zweiten Roman vor
Von Torsten Gellner
André Kubiczek debütierte im letzten Jahr mit dem erstaunlich komischen und dabei recht intelligenten DDR-Roman "Junge Talente", in dem sich ein anfangs arg unbedarfter Provinzheini auf Amors Pfaden in die große Stadt Berlin verirrte, dort auf Punks und Prenzel-Berg-Poeten traf, die Liebe fand, sie aus den Augen verlor und schließlich wieder in seinem Heimatnest landete. Dieser unbedingt lesenswerte Ostalgieroman ist im Vergleich zu Kubiczeks neuem Werk recht simpel gestrickt. Es trägt den archaischen Titel "Die Guten und die Bösen" und vereint eine Vielzahl von Figuren, die ein Personenverzeichnis nötig machten. Die Liste verrät bereits das satirische Ansinnen des Buchs, handelt es sich doch vor allem um klingende und bezeichnende Namen wie Börries Freiherr von Stammler, Kolumnist, Raymond Schindler, Privatdetektiv, oder Dr. Roberto Schwarzhaupt, seines Zeichens Assistent am afrikawissenschaftlichen Institut und heinobebrillter Albino, wie sich noch herausstellen wird.
Worum es eigentlich geht in diesem Buch, ist schwer zusammenzufassen, aber versuchen wir es mal so: Der Berliner Frührentner und Hobbydetektiv Raymond Schindler bekommt von seiner Cousine, die mit dem Zeitungsmacher Zampano Dunkel liiert ist und von diesem zum Schreiben eines Berliner Szenebuchs animiert wurde, den Auftrag, an der Entstehung eben dieses Werks als Co-Autor und Szenescout mitzuwirken. Währenddessen zieht es die skrupellose Boulevardjournalistin Bolèmia Hetschel in die Hauptstadt, um dort ein heißes Eisen zu recherchieren, auf das sie vom frustrierten Vorsitzenden des "Kommandos Adolf Hennecke", Sergej Eisenfaust (a.k.a. Leit Wolf a.k.a. Günther P.), unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gebracht wurde. Die neue Story könnte einen enormen Karrieresprung bedeuten, schließlich spielt sie sich im akademischen Milieu ab, das sich freilich nur auf die Mülltonnen der Universitäts-Mensa erstreckt, die in jüngster Zeit von geheimnisvollen afrikanischen Buschmännern mit ihren Speeren durchwühlt werden. Auch ein Hacker mit dem einfallslosen Nickname Zigmund Fraud wühlt gerne in Mülltonnen, bevorzugt von Asia-Restaurants, um dort nach Kreditkartenbelegen zu fingern, die ihm grenzenloses Shopping im Internet ermöglichen und einen in Ho-Chi-Minh-Stadt situierten Server finanzieren, über den allerlei revolutionärer und destruktiver Kram verbreitet wird. Es gäbe noch viel mehr zu berichten - das Personenverzeichnis ist lang -, aber nur noch soviel: am Ende haben alle irgendwas miteinander zu tun. Und wie Kubiczek das bewerkstelligt, verdient Respekt.
Virtuos versteht er es, die einzelnen Handlungsfäden überraschend miteinander zu verflechten. So wird die an sich schon großartige Situationskomik durch die Inanspruchnahme der Erinnerungsleistung der Leser noch gesteigert. Hat man diese oder jene Szene nicht kurz vorher aus ganz anderer Perspektive schon einmal erlebt? Was in einem zuvor erzählten Strang noch als nebensächliches Detail erscheint, fungiert im übernächsten Kapitel als grandiose Zwischenpointe. Da schlägt ein Nachtclubbesucher ganz unspektakulär sein Wasser im Gebüsch ab und viel später erfährt der Leser, dass just zu diesem Zeitpunkt der Erleichterung der besoffene Schnüffler Schindler im gleichen Gesträuch seinen Rausch ausschläft. Das ist zwar unappetitlich, aber durchaus komisch und überdies noch für den Fortgang der Handlung essentiell. Die derart besudelten Klamotten des Amateurdetektivs bilden ein erregendes Moment, bringen die Story weiter in Schwung, sind also ein wichtiges und witziges Zahnrad im gut geölten Getriebe des Romangeschehens. Es ist die Stärke Kubiczeks, dass sein Buch bei genauer Betrachtung sehr schlau komponiert und kalkuliert ist und sich dennoch völlig unangestrengt präsentiert.
Mit sichtlicher Wonne - jedoch nicht der reinen Provokation wegen - lässt der Autor seine Figuren politisch leidlich korrekte Bemerkungen machen und unflätige Handlungen vollziehen, sexuelle zumal. Da gibt es etwa den populären Politiker Kuno Neppes, Typ Jürgen Möllemann ohne Brechreizgarantie, der eine Einmannpartei und -fraktion verkörpert und eine absolut reine Weste zu haben scheint. Ein entflohener Wellensittich, offenbar artverwandt mit Kafkas Akademieprimaten, steht kurz vor dem Selbstmord und berichtet dem Leser, dass sich Neppes' Interpretation von "Tierliebe" in gesellschaftlich nicht tolerablen Bahnen bewegt. Der gefiederte Freund weiß mehr, als die Sensationsreporterin Hetschel, die sich plötzlich auch für den Politiker interessiert, trotz aller Anstrengungen je in Erfahrung bringen wird. Mit Vorliebe stürzt sich die Karrieristin auf die neuesten sexuellen Abarten, um sie für ihr Fernsehmagazin auszuschlachten. Ihre jüngste journalistische Errungenschaft: passiver Bastelsex. Das mutet grotesk an, ist es in der Praxis wohl auch, jedoch: Wer die explosiven TV-Magazine nur sporadisch verfolgt, würde sich nicht wundern, wenn irgendwann ein verwackeltes Exklusivvideo über den Fetisch Kunsthandwerk die Runde machte.
Natürlich betreibt der Autor mit seiner Satire Medienkritik. Auch zeitdiagnostische und gesellschaftskritische Fähigkeiten muss man dem jungen Autor bescheinigen. Bei aller Ironie, mit der André Kubiczek beispielsweise das nicht eben lustige Schicksal eines Sohns "ehemalige[r] Vertragsarbeiter der Ex-DDR", sprich eines jungen Vietnamesen schildert, der den besten Teil seiner Jugend am Fenster eines Marzahner Plattenbaus verbringen muss, weil der modische Trend dieses Stadtteils in Richtung Kurzhaarfrisur und weiße Schnürsenkel geht, steht hinter all dem doch eine ganze Portion Bitternis und Wut. Die Frage, wer denn eigentlich die Guten und die Bösen sind, kann der Roman letztlich auch nicht beantworten, das besorgen derzeit ja andere. Eines der zahlreichen originellen Bonmots des Buchs bringt uns da auch nicht weiter: "Das Ganze lief darauf hinaus, dass der Mensch gut war und das Wetter schlecht."
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