Zwischen Stasi und Ché

Michael Saurs Roman "Der Nilpferdreiter" fehlt jegliches Leben

Von André HilleRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Hille

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer den Umschlagtext zu Saurs Roman "Der Nilpferdreiter" verfasst und den Text als "stimmungsvollen Roman über Einsamkeit und Liebe, Täuschung und Verrat" bezeichnet hat, muss ein anderes Buch gelesen haben, als der Rezensent, denn Saurs Roman ist ungefähr so stimmungsvoll wie ein Krankenhausbesuch: steril, kalt und unsinnlich. Der Roman spielt zwar in Havanna, doch von der exotischen Atmosphäre dieser karibischen Stadt teilt sich in Saurs Roman nichts mit. Der für "Stern", "Mare" und die "Süddeutsche" arbeitende Journalist hat eine Sprache wie ein Soldat: Knapp und zackig reiht sich Hauptsatz an Hauptsatz, es fehlen jegliche Anschlüsse, die Bilder sind einfallslos.

Das ließe sich noch ertragen, wenn die Sprache zumindest präzise wäre. Doch man wird das Gefühl nicht los, Saur (oder der Lektorat) haben ein mit Klischees überfrachtetes Stück Text gnadenlos zusammengestrichen und nur noch das Gerippe übrig gelassen, wobei sie die eine oder andere Phrase vergessen haben: "Augen wie Haselnüsse", "Frauen mit tausendjährigen Gesichtern" oder "mit aufregenden Geheimnissen in sich". Manchmal gleicht das Buch in seinem Stil einem Schulaufsatz: "Plötzlich liegt die Zukunft wie eine dunkle Öffnung vor ihr." Ist die Zukunft eine dunkle eckige oder runde Öffnung? Oder gar ein schwarzes Loch? Man wird es wohl nie erfahren und es interessiert auch nicht, denn die Figuren in diesem Roman sind belanglos. Ihre Biografien und ihr Handeln werden lediglich behauptet, nicht erzählt. Sie sind bloße Konstrukte ohne Leben: Nach zehn Jahren Stasihaft besucht ein Vater seinen in Havanna lebenden Sohn. Die beiden haben sich nichts, aber auch gar nichts zu sagen. Sie treffen auf zwei Prostituierte, die sich ebenfalls nichts zu sagen haben, von denen der Vater eine mit zurück nach Deutschland nimmt, obwohl sie sich nicht verständigen können. Die Figuren "erleben" Gefühlswandlungen, die mitnichten nachvollziehbar und völlig willkürlich sind: "Rudolf steht auf. Seine anfängliche Betroffenheit weicht jetzt der Wut. Er möchte weg." Der Nilpferdreiter ist ein einziges unerträgliches Konstatieren, ein emotionsloses, nichts sagendes Werk, dessen einzige Qualität der Schutzumschlag ist: Auf diesem verspricht nämlich eine junge, leicht bekleidete Frau das, was der Roman nicht hält.

Titelbild

Michael Saur: Der Nilpferdreiter.
Picus Verlag, Wien 2002.
110 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3854524595

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