Zahlreiche verschriftlichte Vorträge zum Verhältnis von Medien und Technik für Eingeweihte
Ein neuer Band aus der Schriftenreihe der GFM
Von Martin Richling
Harro Segeberg versammelt in dem vorliegenden Band, der auf der Jahrestagung der GFM (Gesellschaft für Medienwissenschaft) basiert, die 2001 in Hamburg stattgefunden hat, verschiedene verschriftlichte Vorträge von Medienwissenschaftlern zum Verhältnis von Mensch, Medium und (dessen) Technik. Aus dieser Konstellation bezieht das auf den ersten Blick spröde anmutende Thema seine interessanten Aspekte. Denn letztlich werden große gesellschaftliche Probleme verhandelt: Sind Medien und ihre Technik ein bloßes Werkzeug im Dienste der Menschheit oder ein längst über den Menschen triumphierender Selbstzweck geworden? Wie geht man mit dem Problem um, dass zweckentfremdete Technik jederzeit als Waffe missbraucht werden kann? Notwendigerweise durchdringen sich in den Aufsätzen medienwissenschaftliche, soziologische, historische und philosophische Fragestellungen. Dem Leser, der möglichst schon über einen Grundstock an medientheoretischem Wissen verfügen sollte, um den oft gegensätzlichen, abstrakt anmutenden und unkommentiert bleibenden Positionen folgen zu können, bleibt es letztlich überlassen, ob er etwa ästhetische mediale Phänomene eher als historische Entwicklungen oder gesellschaftliches Phänomen ansehen möchte. Leider machen die Vielzahl und Bandbreite der in diesem Band versammelten Aufsätze es unmöglich, auf alle Beiträge in der ihnen gebührenden Ausführlichkeit einzugehen. Auch deshalb soll an dieser Stelle wenigstens kurz erwähnt werden, dass sich das Buch nicht zuletzt durch Untersuchungen zu Medien wie der Telegrafie, dem Telefon oder Rundfunk auszeichnet, auf die im Folgenden aber zugunsten der Bildmedien nicht näher eingegangen wird.
Harro Segeberg gibt zu Beginn einen kurzen Überblick über die Bandbreite der versammelten Beiträge und stellt darüber hinaus drei grundlegende Betrachtungsmöglichkeiten des Problemfeldes einander gegenüber. Die erste besteht in der populären und etwas kulturpessimistischen Sichtweise einer "Killer-Technik", die sich autonom stetig weiterentwickelt und dabei das Althergebrachte vernichtet. Die hierzu antithetische Auffassung des Menschen als Herren einer stets unperfekten, mangelhaften Technik stellt die zweite Argumentationsmöglichkeit dar. Die dritte Betrachtungsweise bildet eine Art Synthese der zwei vorangegangenen Thesen. Der Mensch ist hier zwar Beherrscher der Technik, da er sie zweckentfremdet einzusetzen versteht, doch tut er dies auf eine destruktive Art und Weise - wie bei den Flugzeugentführungen des 11. September. Diese drei Sichtweisen finden sich in allen drei Teilen des Bandes wieder, die aus a) methodischen und theoretischen Fragestellungen, b) der konkreten Betrachtung analoger Medien und c) der konkreten Betrachtung digitaler Medien bestehen.
Wolfgang Ernst eröffnet den ersten Teil des Buches mit dem mottogebenden Aufsatz "Der medienarchäologische Blick", worin er provokativ eine Absage an die altbewährten hermeneutischen Traditionen von Ikonologie und Semantik zugunsten eines auf die schlichte Materialität der Bilder konzentrierten Interesses formuliert. Zumindest fraglich bleibt bei diesem Ansatz, inwieweit es den Bildwissenschaften genügen wird, ein Bild als Ansammlung von Daten rein technisch zu lesen und ob das hierfür notwendige technische Denken vielen nicht als zu verhindernder Sieg der ersten von Segeberg dargelegten Sichtweisen erscheinen würde.
Thomas Meder greift in seinem Aufsatz "Authentizität durch Technik. Eine kleine Typologie des Verschwindens in der zweiten Moderne" den Gedanken vom Tod des Autors durch die technischen Medien auf. Meder streift in seinem Beitrag durch Fotografie, Film und Malerei, um immer wieder den Konflikten zwischen Autor, der Technik seines Gegenstandes, Produktions- und Rezeptionsbedingungen nachzuspüren. Die Immaterialität der in den Bildmedien dargestellten Körper gibt Meder Anlass, das Verschwinden der Künstler scheinbar plastisch werden zu lassen - oder handelt es sich nicht eher doch um eine definitorische Verschiebung des Künstlerbegriffs, wenn man davon ausgeht, dass nicht Lara Croft, sondern ihre menschlichen Erzeuger als die wahren Künstler zu bezeichnen sind? Meders Plädoyer für stets individuelle Methoden und Fragestellungen zur Erschließung eines Einzelwerkes kann man nach seiner Tour de Force durch die verschiedensten Epochen von Kunst, Kultur und Medien, mit ihren differenten Entwicklungen und Ausprägungen nur beipflichten.
Norbert M. Schmitz ist in seinem Aufsatz "Der mediale Austritt aus der Geschichte. Anmerkungen zum Zeitdiskurs der Medientheorie" merklich darum bemüht, die neuen Bilder und Medien sowie deren Deutungsmuster anhand ihres Zeitcharakters historisch einzuordnen und ihnen so die Aura des Neuen und Einmaligen zu nehmen. Diese Bemühungen münden schließlich in der Warnung vor einer Reduzierung des Diskurses um die Digitalisierung von Technik, Medium und Kunst auf eine rein ästhetische Ebene, die gesellschaftliche und politische Realitäten außer Acht lässt.
Im zweiten Teil des Buches macht Karl Prümm anhand seines Aufsatzes "Das schwebende Auge. Zur Genese der bewegten Kamera" auf die einschneidende Bedeutung der mobilen Filmkamera aufmerksam, die durch ihre Beweglichkeit mit der zuvor statischen Subjekt-Objekt-Beziehung von Betrachter und Kunstwerk bricht, den Zuschauer in die inszenierte Welt hineinzieht und auch den Schauspielern einen Teil ihrer Macht über die Inszenierung raubt. Es wird ersichtlich, dass die mobile Kamera schon in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der Lage war, die Phänomene von Beschleunigung und gleichberechtigtem Nebeneinander der Dinge einzufangen, die viele Medientheoretiker erst den digitalen Medien zuschreiben.
Hans Krah stellt in "Technik, Farbe, Wirklichkeit. Der Diskurs um Farbe und die deutschen Farbfilme 1941-45" die Frage nach der Authentizitätswirkung einer technischen Innovation wie der Filmfarbe. Obwohl das damals bahnbrechende Agfacolor-Negativ-Positiv-Verfahren schon kurz nach seiner Entwicklung im "Dritten Reich" offensichtlich den Wunsch der Machthaber nach einer möglichst differenzlosen Wiedergabe von Realität unterstützen sollte, hatte der Neuigkeitswert der Technik den Aspekt der Farbe so ins allgemeine Bewusstsein gerufen, dass die gegenteilige Wirkung einsetzte. Auch ohne das Hinzuziehen von moderner Filmpsychologie gelingt es Krah deutlich zu machen, dass der kognitive Prozess beim Zuschauer nicht nur individuell verläuft, sondern zum großen Teil einem Gewöhnungsprozess unterliegt. Technische Neuerungen, so durchschlagend und überzeugend sie auch sein mögen, hängen in ihrer Wirkung stets vom Urteil des Nutzers ab.
Dagegen zeigt Joachim Paech in "Der andere Film - der Film des (der) Anderen im Film", wie letztlich durch die digitale Camcordertechnologie die zuvor weitestgehend getrennten Bereiche von Amateurfilm und professionellem Film diffundieren und sich zwangsläufig Interdependenzen aus Ökonomie und Ästhetik ergeben.
Im dritten Teil widmet sich Carsten Winter mittels eines "antireduktionistischen" Ansatzes den komplexen Bedingungen des digitalen Fernsehens. Winter fordert unter anderem von Seiten der Medien- und Kommunikationswissenschaft ein stärkeres Interesse für wirtschaftliche und technische Prozesse sowie direktes politisches Engagement bei weitreichenden Entscheidungen für die Zukunft.
Den Band schließt Britta Neitzels Überlegung "Computerspiele(n): Medium oder Kulturtechnik" ab. Neitzel leistet bei der Erörterung der Frage, ob das Computerspiel ein eigenes Medium sei, auch einen umfassenden Definitionsversuch der Begriffe Medium und (Kultur-)Technik. Hierbei wird deutlich, dass neben den zahlreichen Diskursen um Medium und Technik auch die genaue Abgrenzung der beiden Begriffe sowie ihre Schnittstellen nicht so festgelegt sind, wie man gemeinhin annehmen möchte.
Alles in allem bietet das Buch auf hohem Niveau einen spannenden Einblick in die Vielfältigkeit und Verschlungenheit der Medien- und Technikgeschichte und nicht zuletzt auch in ihre verschiedenen Rezeptionsmöglichkeiten.