Authentisch oder inszeniert?

Christopher F. Laferl und Anja Tippners Sammelband zu Künstlerinszenierungen im 20. und 21. Jahrhundert

Von Silke SchwaigerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Silke Schwaiger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen breiten Bogen spannen die beiden HerausgeberInnen Christopher F. Laferl und Anja Tippner in ihrer im Transcript Verlag erschienenen Publikation „Künstlerinszenierungen. Performatives Selbst und biographische Narration im 20. und 21. Jahrhundert“. Ausgangspunkt ist die These, dass seit dem 20. Jahrhundert Biographik und öffentliche (Selbst-)Darstellung von KünstlerInnen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Damit einher gehen (neue) Formen und Praktiken der künstlerischen Selbst- und Fremddarstellung, die hier im Fokus der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen stehen.

Laferl und Tippner versammeln in ihrem Band, der auf eine interdisziplinäre Tagung 2012 in Salzburg zurückgeht, eine Fülle von spannenden Studien, die anhand von ausgewählten Fallbeispielen aus vor allem kulturwissenschaftlicher Perspektive Praktiken der künstlerischen Selbst- und Fremddarstellung ins Auge fassen. Die AutorInnen der zehn im Band enthaltenen Beiträge kommen aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen und diskutieren Künstlerexistenzen, die von der klassischen Moderne, über die Avantgarde und die Nachkriegszeit bis in die Gegenwart reichen: Karin Hoffs (Skandinavistik) Beitrag widmet sich etwa dem schwedischen Autor August Strindberg (1849-1912), Oksana Bulgakowa (Filmwissenschaft) nimmt den sowjetischen Regisseur Sergej Eisenstein (1898-1948) in den Blick, Agustίn Corti (Hispanistik) bezieht seine Ausführungen auf den uruguayischen Schriftsteller Felisberto Hernández (1902-1964), und die Slawistin und Literaturwissenschaftlerin Artwińska analysiert widersprüchliche Positionen der Selbst- und Fremdwahrnehmung des polnischen Gegenwartsautors Jacek Dehnel (geb. 1980).

Eingeleitet werden die exemplarischen Fallstudien durch einen programmatischen Aufsatz der beiden HerausgeberInnen, der künstlerische Selbstdarstellung im Spannungsfeld von Authentizität und Inszenierung verortet. Der Begriff der „Inszenierung“, der ursprünglich aus dem Bereich des Theaters kommt, beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Wirklichkeit und Repräsentation. „Authentizität“ hingegen ist als Begriff „dynamischer“ und schwieriger zu fassen. Das Phänomen der Authentizität wird „performativ“ hervorgebracht, „so dass veränderte kulturelle Konstellationen und Verschiebungen in der ästhetischen Axiologie des Feldes der Kunst zu veränderten Vorstellungen von Authentizität führen“. Die beiden Begriffe stehen meist in Opposition zueinander. Der Gegensatz von Authentizität und Inszenierung sei aber „kein Novum der Moderne. Schon der Streit zwischen Platon und den Sophisten weist auf die Dichotomie zwischen der (authentischen) Sache, die um ihrer selbst willen betrieben oder kommuniziert wird, und ihrer für ein Publikum adaptierten Präsentation hin“. In der Postmoderne scheinen diese beiden Begriffe keinen Gegensatz mehr zu bilden; Authentizität weicht ganz der künstlerischen Inszenierung. 

Die nachfolgenden Aufsätze, die oft mit Abbildungen, Illustrationen und Fotos ergänzt sind, nehmen Bezug auf die einleitenden Ausführungen von Laferl und Tippner und erweitern diese. In vielen der exemplarischen Studien wird eine enge Verschränkung von Werk und (inszeniertem) Leben der KünstlerInnen nur allzu deutlich, siehe dazu etwa Birgit Wagners oder Christopher F. Laferls Beiträge. Laferls sehr lesenswerte Studie beschäftigt sich mit zwei lateinamerikanischen KünstlerInnen, mit der Schauspielerin Marίa Félix (1914-2002) und dem Komponisten und Sänger Agustίn Lara (1897-1970). Ausgehend von Elisabeth Bronfens Definition des Begriffs „Diva“ – eine Figuration, die beide Künstlerexistenzen prägt – spürt er deren öffentlicher Inszenierung nach. Der Fokus jedoch liegt auf der sogenannten Gender-Transgression, die „einen wichtigen Bestandteil des Diva-Status bildet“. Die Analyse der Gender-Transgressionen, das heißt der „herrischen“ Frauen-Diven und den „weiblichen“ Männer-Diven,  fällt bei Laferl jedoch leider eher knapp aus – was wohl auch mit dem limitierten Platz in einem Sammelband zusammenhängen mag.

Mit neueren Strategien der künstlerischen Selbstinszenierung, die in diesem Band sonst weniger Beachtung finden, beschäftigt sich Gernot Howanitz. Anhand des runet (so der Name des russischsprachigen Teils des Internets) analysiert der Slawist konkrete Repräsentationsstrategien der (Selbst)Inszenierung russischer AutorInnen und verweist dabei exemplarisch auf den „russischen Star-Autor“ Vladimir Sorokin sowie auf die „Netzliteratin“ Linor Goralik.

„Künstlerinszenierungen“ ist ein sehr lesenswerter Sammelband, der nicht nur visuell von seiner Buchcover-Gestaltung, sondern auch thematisch wunderbar an Lafers und Tippners Publikation „Leben als Kunstwerk. Künstlerbiografien im 20. Jahrhundert“ (2011) anschließt.

Titelbild

Christopher Laferl / Anja Tippner (Hg.): Künstlerinszenierungen. Performatives Selbst und biographische Narration im 20. und 21. Jahrhundert.
Transcript Verlag, Bielefeld 2014.
278 Seiten, 29,99 EUR.
ISBN-13: 9783837622157

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