Die Wochen vor dem Weltenbrand

Hauke Friederichs zeigt in „Funkenflug. August 1939: Der Sommer, bevor der Krieg begann“ das letzte Ringen um Frieden kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs

Von Jonas HeßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Heß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Etwas mehr als 80 Jahre ist es nun her, dass Hitler und seine Gefolgschaft Deutschland, Europa und die ganze Welt in einen Krieg zogen, an dessen Ende Abermillionen Tote und Verwundete und der größte Genozid der Menschheitsgeschichte standen. Ausgangspunkt war bekanntlich Danzig, welches Hitler wie zuvor schon das Sudetenland und Österreich, wenn nötig auch gewaltsam und gegen den Willen Polens, dem Deutschen Reich einverleiben wollte. Die westlichen Nachbargroßmächte Frankreich und England hatten die Absicht, einen gewaltsamen Konflikt zwischen Polen und Deutschland in jedem Fall zu verhindern, Hitler aber doch nicht tatenlos gewähren zu lassen.

Soweit die Ausgangslage im Sommer 1939, der schließlich am 1. September des Jahres in den Zweiten Weltkrieg münden würde. Hauke Friederichs zeichnet nun in seinem Band Funkenflug. August 1939: Der Sommer, bevor der Krieg begann diesen Weg Europas und der Welt in Richtung Abgrund Tag für Tag und Schritt für Schritt nach.

Chronologisch führt er uns dabei einzeln durch die Tage des Augusts 1939. Jeder Tag bildet ein eigenes Kapitel und wird von zeitgenössischen Zeitungszitaten eingeleitet. Dies eine Struktur, die bereits in seiner Publikation von 2018 – Die Totengräber. Der letzte Winter der Weimarer Demokratie – zur Anwendung kam, welche er gemeinsam mit Rüdiger Barth veröffentlichte. In jedem Kapitel erfahren wir die Ereignisse des jeweiligen Tages in je eigenen Abschnitten aus der Sicht einer involvierten Persönlichkeit. Nicht immer sind dies Diplomaten und Politiker wie beispielsweise Carl Jacob Burckhardt, Hoher Kommissar für die Freie Stadt Danzig, Außenminister Joachim von Ribbentrop oder Stalin. Auch der August der Familie Thomas Manns etwa kommt in den Blick, und erweitert die Perspektive von der europäischen Staatspolitik auf den Sommerurlaub und die Vortragsreisen einer kulturellen Persönlichkeit.

So entsteht ein abwechslungsreiches kaleidoskopartiges Bild dieses Sommers aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Tatsache, dass Friederichs dabei – auf Basis einer beachtlichen Bibliographie – häufig in erlebter Rede, aus der Innenperspektive der Protagonisten berichtet und zudem auf lange Hypotaxen verzichtet, macht den Band trotz allem gut lesbar und sorgt für Spannung und eine gewisse Anschaulichkeit.

Das Geschilderte ist dabei vielleicht nicht ganz neu für jene, die sich bereits mit der Zeit oder den Umständen des Kriegsausbruchs beschäftigt haben, für alle anderen aber ein in jedem Fall interessanter und unterhaltsamer Einblick nicht nur in das diplomatische Getriebe und seine Funktionsweise in diesem entscheidenden Monat. Auch zu lesen, wie energisch und ausdauernd auf mancher Seite bis zuletzt um den Frieden gerungen wurde, während für Hitler und die seinen der Krieg längst beschlossene Sache war, fesselt in seiner tragischen Tiefe. So verfolgt man mit Spannung beispielsweise die unermüdlichen Reisen von Birger Dahlerus, dem schwedischen Industriellen und diplomatischen Vermittler, zwischen England und Deutschland, um den Frieden zu erhalten, die letzten Endes trotz allem nicht die aggressive Politik Deutschlands zu ändern vermögen.

Die Tatsache, dass sich zu einem einzigen Tag stets unterschiedliche Ereignisse im Leben verschiedener Protagonisten dargestellt finden, verdeutlicht dabei nicht nur die Komplexität der politischen Gemengelage in dieser Zeit, sondern auch die schwer zu greifende Gleichzeitigkeit des Weltgeschehens überhaupt. Am selben Tag etwa, an dem Ribbentrop in Moskau den Hitler-Stalin-Pakt verhandelt und feiert, schauen Hitler und Goebbels gemeinsam einen Film, fliegt Dahlerus nach Berlin, um weiter an einem Friedensabkommen zu arbeiten, macht Polen mobil und appelliert Papst Pius XII. an die Mächtigen, politische Probleme nicht mit Waffengewalt zu lösen. Hauke Friederichs parataktischer Stil unterstreicht diese Simultaneität und evoziert damit eine Dynamik, welche die politische Talfahrt Europas gut illustriert.

Kleine Fehler wie der, dass Hitler am Ende des Buches bereits am 30. August den Kriegsbeginn „[m]orgen, am Freitag, dem 1. September“ befiehlt, obwohl ja erst Mittwoch und nicht Donnerstag (der 31.8.) ist, fällt da – wenn auch an zentraler Stelle – weniger ins Gewicht. Denn insgesamt ist Funkenflug eine stets spannungs- und facettenreiche Skizze zu einem Monat, dessen Folgen unsere Gegenwart wesentlich geprägt haben.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Hauke Friederichs: Funkenflug. August 1939: Der Sommer, bevor der Krieg begann.
Aufbau Verlag, Berlin 2019.
376 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783351034870

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