Der Wildschweinerbe

Sebastian Janata begibt sich in seinem Romandebüt „Die Ambassadorin“ ins österreichische Hinterland und entdeckt selbst dort brandaktuelle Gender-Diskurse

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manchmal ist es gar nicht so schlecht, wenn ein Verlag dem Rezensenten Monate vor der offiziellen Veröffentlichung ungefragt ein provisorisches Leseexemplar schickt, bei dem jegliche Informationen zu Autor und Text fehlen. Im Fall von Sebastian Janatas Die Ambassadorin sah das so aus: Reiner Text, nur eine Coverabbildung, die ein gruseliges Wildschwein zeigt, und ein Hinweis auf die Sperrfrist. Der Weg zu einer vorurteilsfreien Lektüre war also frei, zumal der einzige Hinweis, das Wildschwein auf dem Titel, sowie die ersten Zeilen des Romans auf Folk-Horror schließen ließen; ein Genre, das ich mit großer Begeisterung lese.

Nun hätte man natürlich ganz einfach das Internet konsultieren können, aber gerade bei einem mysteriösen Roman wie Die Ambassadorin macht das Geheimnisvolle doch umso mehr Spaß: kein voreiliger, auf mehrere Zielgruppen gleichzeitig schielender Klappentext, der zudem noch einen Großteil der Handlung verrät, stört demnach die unvoreingenommene Lektüre. Und tatsächlich: Hätte ich gewusst, dass es sich bei dem Autor um den Schlagzeuger der von mir als sehr unsympathisch empfundenen österreichischen Band Ja, Panik handelt, das Buch wäre auf dem Schreibtisch eingestaubt. Auch die zunächst hanebüchen erscheinende (aber auf den zweiten Blick gar nicht mal unoriginelle) Handlung entfaltet sich erst gegen Ende des Romans in ihrer vollen Pracht, sodass man nicht durch voreilige Verlagswerbung, die gerade dieses Ende verrät, um das Lesevergnügen gebracht wird.

Aber worum geht es? Gar nicht so leicht zu sagen. Ein junger Mann kehrt in das hinterwäldlerische Dorf zurück, in dem er aufgewachsen ist, weil sein Ziehgroßvater jüngst verstorben ist. Jener Beppo war nicht sein richtiger Opa, sondern ein roher, aber herzlicher älterer Mann, der sich um ihn gekümmert hat, wenn seine Eltern arbeiten mussten, und der ihm alles beigebracht hat, was ein richtig maskuliner österreichischer Naturbursche so wissen muss. Das aus ihm genau so einer nie wurde, ist eine andere Geschichte, aber geerbt hat er den Wildschweinkopf (der vom Titelbild), der immer in Beppos Wohnzimmer hing. Als er ihn aus dem Haus holen will, begegnet er einer seltsamen, älteren, allem Anschein nach steinreichen Amerikanerin und ihrer jungen, attraktiven Begleiterin, die ihn zu verfolgen und zu beobachten scheint. Und langsam beginnt der junge Mann an der Identität seines Ziehgroßvaters zu zweifeln und kommt dabei einem unfassbaren Geheimnis auf die Spur…

Wie bereits erwähnt, ist (oder war – die Band liegt ja scheinbar auf Eis) Sebastian Janata Schlagzeuger von Ja, Panik, aber der smarte Großstadt-Verweis-Wave-Pop der Band um Andreas Spechtl hat auf den ersten Blick so gar nichts mit der archaischen Hinterwäldlersaga zu tun, die Janata hier erzählt. Die Verbindung zu den Themen der diskursverliebten Band wird erst auf den zweiten Blick sichtbar, und man kann, ja muss Die Ambassadorin natürlich auch als Roman über Identitätsdiskurse und Gender-Mainstreaming lesen (auch wenn dies fast schon zu viel über das letzte Drittel verrät).

Tatsächlich aber funktioniert der Roman in den ersten zwei Dritteln auch bestens als Folk-Horror, weil es dem Autor gelingt, den Leser ziemlich lang im Dunkeln zu halten – was natürlich auch daran liegt, dass die Auflösung so absurd ist, dass man gar nicht drauf kommen kann. So seltsam der Cocktail, den Janata hier zusammenmischt, nach der ersten, erschöpfenden Lektüre zunächst auch wirkt, das Buch funktioniert ziemlich gut. Auch wenn es blöd klingt und wahrscheinlich gar nichts zur Sache tut: für einen Popmusiker ein erstaunliches Buch.

Titelbild

Sebastian Janata: Die Ambassadorin.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020.
288 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783498092030

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