Rotes Tuch Psychoanalyse

Der holländische Freud Gegner Han Israëls veröffentlicht sein drittes Anti-Freud-Buch

Von André HilleRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Hille

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

War Sigmund Freud nur ein Quacksalber? Gründen seine Theorien auf Lügen und lebt die Psychoanalyse nur von Mythen und Legenden? Dies behauptet der 1951 geborene und in Maastricht lebende Soziologe Han Israëls, der mit seinem dritten Buch erneut zu einer Fundamentalkritik an dem großen Übervater der Psychoanalyse ansetzt. Nach "Schreber: Vater und Sohn" aus dem Jahr 1989 und "Der Fall Freud. Die Geburt der Psychoanalyse aus der Lüge" (1999) folgt nun "Der Wiener Quacksalber" - 19 Beiträge, Essays, Artikel, Polemiken und Buchbesprechungen über, nein besser gegen Sigmund Freud und seine Welt.

Der vorwiegende Tonfall Israëls ist der von Häme und Zynismus, jeden Nachweis einer Verfehlung Freuds feiert Israëls wie einen Triumph über "unsere Freud-Kenner". Dabei setzt sich Israëls jedoch erstens nie mit den wirklich bedeutenden Begriffen der Psychoanalyse auseinander. Und zweitens übersieht der Autor, dass man die historische Gestalt Freud von den Gedanken trennen muss, die er artikuliert hat. Niemand verlangt, dass eine geisteswissenschaftliche Theorie über Jahrhunderte unverändert bestehen bleiben muss - das ist der Unterschied zu den Naturwissenschaften: Freud lässt sich eben nicht mit Newton vergleichen, wie Israëls das tut - sondern es geht um die Bedeutung einer Theorie in ihrer Zeit, darum, dass eine Theorie einen Denkraum aufstößt und dort ihren aufklärerischen Impetus entfaltet. Das heißt nicht, dass diese Theorie nicht im Lauf der Zeit Revisionen erfahren sollte und muss, wie auch die Psychoanalyse im 20. Jahrhundert mannigfache Revisionen erfahren hat. Nur wenige Analytiker wenden Freuds Theorien heute noch eins zu eins an, es fließt das Denken Jungs, Lacans, Winnicotts und anderer Therapieformen mit ein. Das ändert nichts an der Tatsache der singulären Kraft von Freuds Entdeckungen - und hier steht Freud ohne Zweifel in einer Reihe mit Immanuel Kant oder Karl Marx.

Es mag sein, dass Freud in jungen Jahren zu viel von dem neu entdeckten und damals noch allgemein zugänglichen Medikament Kokain konsumiert hat, es mag sein, dass die eine oder andere Geschichte der Psychoanalyse ein Mythos ist oder im Nachhinein abgeändert wurde - Größen der Geistesgeschichte haben immer auch an dem Bild, das sie ihrer Nachwelt hinterlassen würden, kräftig mitgearbeitet. Das ändert nichts an der Tatsache, dass Freud eine neue Nomenklatur in die Welt einführte. Für Han Israëls ist die Psychoanalyse ein rotes Tuch, gegen das er beständig anrennt. Gerecht wird er damit keinem, weder der Psychoanalyse noch der sicher auch berechtigten Kritik an ihr.


Titelbild

Han Israels: Der Wiener Quacksalber. Kritische Betrachtungen über Sigmund Freud und die Psychoanalyse.
Herausgegeben und übersetzt aus dem Niederländischen von Gerd Busse.
Verlag Dr. Bussert und Stadeler, Jena 2006.
180 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3932906691

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