Heute Morgen warf ich einen Blick unter die Dielen der Medienlandschaft, in gewisser Weise also unter die Bretter, der oft fälschlich als Welt interpretierten Welt. Genau dorthin eben, wo der zweite Boden liegt – und huch! – habe ich wirklich derart zahlreichen WM-Fußballspielen beigewohnt in den letzten Tagen und Wochen? Was da unten alles herumschwimmt! Man ist ja fast wieder einmal versucht zu denken, diese ganze WM wird als Unterhaltungskulisse mit hohem Ablenkungspotential vor relevanten Themen installiert.
Im Roten Meer vor Ägypten treibt ein Ölteppich, der einer defekten Förderplattform entstammen soll, und keiner der dort tätigen Ölfirmen will die Verantwortung dafür übernehmen. Die Briten verabschieden eines der härtesten Sparpakete weltweit – aber Steuerzahler mit kleinen und mittleren Einkommen solle es nicht treffen – denn jetzt! knöpft man sich die Reichen vor. Und, was die ekelhafteste von all diesen Meldungen ist: Arigona Zogaj soll, samt Familie, Österreich nun unverzüglich verlassen. Vielleicht ist es ja wirklich nur ein Zufall, aber passen tut es schon richtig gut, eine derart hässliche – also wenn das nicht der Zynismus ist! – Angelegenheit mit WM-Fieber zu verdünnen.
Noch ist nicht einmal klar, ob die Kinder der Familie das heurige Schuljahr geordnet beenden können, sprich bis zur Zeugnisverteilung in wenigen Wochen bleiben dürfen. Ein Exempel ist zu statuieren – Österreichs Justiz greift hart durch – aber warum ausgerechnet bei einer derart vorbildlich integrierten Familie? Was könnte diese mediale Fixierung auf Arigona Zogaj noch bedeuten? Irgendetwas will man offensichtlich signalisieren. Und ich wage nicht mir vollends auszumalen, es sei der Fakt, dass man solche Leute in Österreich einfach nicht haben will. Als Abschreckung für jeden, der auf die Idee kommen könnte hier um Asyl anzusuchen, setzt man die Latte der Toleranz so geschmacklos tief – man vergräbt sie regelrecht.
Wissen Sie, ich finde Österreich auch sehr schön – landschaftlich ist es ein auffallend schöner Flecken Erde – aber die vollends fehlende Vision zu einer bedachten und kultivierten Politik ist schlicht zum Kotzen. Natürlich, ein Land, sein System, benötigt einen gewissen Schutz vor übertriebenem Missbrauch, aber schützen wir es anders! So, dass man bei einer Durchsetzung von Gesetzen nicht auf die Idee kommen kann, sie wäre mit grimmiger Härte von verhärteten Menschen vollzogen.
Allen an dieser Entwurzelung mitwirkenden Personen möchte ich den Titel des (ANTI)Welt-Meisters in Sachen Humanität, Kultur und Integration verleihen. Und – wo sie ja nach getaner Arbeit nun wieder Zeit haben – kümmern sie sich doch bitte um diese 55 Tonnen Heroin, die alljährlich ihren Weg durch Österreich in Richtung Deutschland, Großbritannien und in die Niederlande finden.
Danke für eine weitere tolle Kolumne, Michael :)
Für alle Nicht-Österreicher mal vielleicht eine kleine Erklärung zum Fall Arigona Zogaj.
http://kurier.at/nachrichten/2008797.php
2007 flüchtete die damals äh – 13jährige? (oder wars 15?) – Arigona Zogaj vor ihrer Abschiebung, da sie nun einmal in Österreich aufgewachsen war und keine Möglichkeit sah, in den Kosovo zurückzukehren. Das wurde alles sehr medienwirksam und seitdem wurde immer wieder neu diskutiert über die Abschiebung der Familie. Jetzt steht halt fest: Nach fast zehn Jahren Leben in Österreich muss die Familie inklusive Arigona zurück in den Kosovo und das innerhalb von 2 Wochen.