Ich mag kein Fast-Food. Das war schon immer so. Es ist nicht sehr gesund, schmeckt nicht und macht – dauerhaft und in Mengen genossen – fett. Deshalb hat es mich ganz besonders schockiert aber auch zutiefst berührt, wie Edie Middlestein Kapitel für Kapitel dieses schmalen Romans immer dicker wird. Kilo für Kilo. Denn ihre Leidenschaft ist das Essen. Sie löffelt und stopft alles in sich rein: Junk Food, Zuckerkekse, Eis.
Ihr Mann Richard verlässt Edie wegen ihrer Fettleibigkeit, für ihn sind ihre mittlerweile 135 Kilo unerträglich. Das ist nicht mehr die Edie, die er einst geliebt und geheiratet hat. Die erwachsenen Kinder sind sauer. Wie kann er diese todkranke Frau, ihre Mutter, wie kann er sie jetzt verlassen?! Empörung! Das ist deshalb so absurd, weil Robin (sie trinkt ganz gern mal ein „Weinchen“) und Benny (er raucht oft einen Joint zur Entspannung) keine intensive liebevolle Beziehung zu ihrer Mutter haben. Beide sind lange aus dem Haus ihrer Kindheit ausgezogen. Die elterliche Wohnung verbreitet für sie einen traurig morbiden Charme mit dem Plüschteppich und dem ausgebleichten Linoleum. Selten sind sie mit den Kindern Josh und Emily zu Besuch.
Große Aufregung herrscht nun, weil die 13-jährigen Teenager demnächst ihre Bar-Mizwa feiern. Turbulenzen ungeahnten Ausmaßes bahnen sich an, denn Richard hat eine Geliebte! Auch an Edies Seite ist ein geheimnisvoller Begleiter zu erwarten. Ein sehr geheimnisvoller Begleiter, der noch dazu Chinese ist –
Hätte ich das geahnt, als ich völlig ahnungslos angefangen habe zu lesen? Zugegeben, das Cover hat mich ziemlich neugierig gemacht. Es verspricht eine kluge, witzige und charmant erzählte Geschichte. Schon die ersten Sätzen wecken Assoziationen zu Filmen wie Royal Tenenbaums oder zu der morbid schrägen Kultserie Six Feet Under in mir. Auch an den Roman Middlesex fühle ich mich erinnert. Und dann ist es all dies zusammen und noch viel mehr. Schnell bin ich total verliebt in die Middlesteins! Weil sie so normal und gleichzeitig herrlich schrullig sind. Der Großvater war ein jüdischer Einwanderer aus Osteuropa und ein bißchen von dieser russischen Robustheit hat auch Edie noch im Blut. Behauptet sie jedenfalls. Extrem liebenswert sind sie – alle zusammen. Eine grandiose Leistung, wie es Jami Attenberg gelingt, dass man wirklich jede Figur auf ihre Art einfach mag! Jüdischer Esprit, ein bißchen Melancholie und Tragik vermischen sich in diesem Roman, dem ich ganz viele Leser wünsche. Masel tov!
Jami Attenberg. Die Middlesteins. Aus dem Amerikanischen von Barbara Christ. Verlag Schöffling & Co. Frankfurt am Main 2015. Seiten. 21,95 € Das Buch könnt Ihr sofort und portofrei bei ocelot.de bestellen.
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Am liebsten würde ich gleich los und das Buch holen, aber etwas wird mich der Schreibtisch noch fesseln. Aber dann … Großartige Rezension. Ich bin sehr gespannt auf das Buch.
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Danke!
Wenn dich dein Schreibtisch weiterhin fesselt, hast du ja immerhin schon mal die Vorfreude auf einen wirklich ganz besonderen Roman.
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Buch ist schon bei meiner Buchhändlerin bestellt. Freue mich schon sehr auf die Lektüre. Nach dieser tollen Rezension um so mehr.
LG
lesesilly
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Ja, ich bin sicher, dass die „Middlesteins“ genau deinen Geschmack treffen werden.
Schreib mir dann gern mal, ob es dir auch wirklich gefallen hat.
Schöne Grüße, Masuko
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habe da vor kurzem eine Besprechung im Radio gehört, nun Deine Rezension, ich glaube, das Buch werde ich wohl lesen müssen.
Vielen Dank fürs Mund wässrig machen und liebe Grüsse
Kai
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Hey Kai, ich denke, dann solltest du das wirklich tun. Und ich hoffe sehr, du wirst Edie, Richard und die anderen Middlesteins ebenso lieben. Schöne Grüße, Masuko
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Nun habe ich das Buch gelesen und es ist herrlich. Oft war ich sogar fasziniert von den genauen Eindrücken in die Familie. Absolut echt, schonungslos, so flink und alle irgendwie schnell in meinem Herzen. Masuko, danke für diesen Tipp. 🙂
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Ja, Attenberg hat es irgendwie drauf, jeden in dieser Familie liebenswert erscheinen zu lassen. Alle haben ihre kleinen Macken und doch schließt man sie schnell ins Herz.
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