New York, der Traum. Eine Frau folgt ihrem Freund, der in der Metropole Fuß gefasst hat. Sie versucht, sich mit dem Gedanken an ein Leben hier anzufreunden – und scheitert nicht zuletzt an sich selbst.
Es sollte die Zeit ihres Lebens sein: Ein Paar Mitte dreißig beschließt, gemeinsam nach New York auszuwandern. Er, Gregor, ist schon da, seitdem er die ersehnte Greencard gewann. Sie, die namenlose Ich-Erzählerin, besucht ihren Freund nach monatelanger Trennung, um die Stadt besser kennenzulernen und einen Job zu finden. Doch schon bei ihrer Ankunft verrutscht der Begrüßungskuss, den sie sich zuvor so leidenschaftlich ausgemalt hatte – und danach geht es nur noch bergab. Gregors Gesicht entgleist, als sie ihm eröffnet, dass sie ganze drei Wochen bleiben will. Gregor hat keine Zeit, muss arbeiten, und so läuft die junge Frau alleine mit ihren Gedanken durch die Stadt.
Es ist wahrlich keine optimistische Ausgangssituation, die Britta Boerdner in ihrem Debütroman „Was verborgen bleibt“ kreiert. Verborgen bleibt bei dem entfremdeten Paar fast alles. Sie reden nicht mehr miteinander, die einstige Liebe ist kaum noch greifbar. Tagelang schleicht die Erzählerin orientierungslos durch ein eiskaltes New York und versucht, sich unsichtbar zu machen. Straßen, Cafés und Wahrzeichen werden namentlich genannt, doch New York heißt immer nur „die Stadt“, eine Stadt, die ihr fremd bleibt. Obwohl der Roman von New York erzählt, ist er dadurch eher ein Anti-Stadtroman. Das urbane Erlebnis als Offenbarung bleibt aus.
Die Protagonistin vergleicht ihre Erfahrung mit dem ersten gemeinsamen Urlaub vor fünf Jahren, als die Beziehung noch frisch war und das Paar New York im Sommer erlebte. „Das Viertel hat nichts mit dem zu tun, was ich als Touristin fünf Jahre zuvor von dieser Stadt kennenlernte“, resümiert sie ernüchtert. New York ist zu einer namenlosen Stadt geworden, das Wetter ist feindlich, vom ersten Kapitel an sind ihre Füße kalt und sie fehl am Platz. Auch ihre unzureichenden Sprachkenntnisse hindern die Protagonistin daran, Kontakt zu den Einheimischen aufzunehmen. Ihre Bemühungen, sich in den städtischen Trubel zu integrieren und ihren Aufenthalt zu genießen, bleiben halbherzig. Während sich Gregor der US-amerikanischen Mentalität angepasst hat und nur noch vorne blickt, schaut sie zurück und fühlt sich in den USA europäischer denn je. Nach einigen Tagen gibt die Protagonistin auf. Sie entdeckt Seinfeld im Fernsehen und zieht die „Second Hand“-Erfahrung New Yorks im Fernsehen der echten Erfahrung vor. „Ich bin in einer der aufregendsten Städte der Welt, ich werde nachher Seinfeld im TV sehen.“
Aber „Was verborgen bleibt“ erzählt nicht nur von einer kalten, fremden Stadt, sondern vor allem von zwei Menschen, die sich nichts mehr zu sagen haben. Die Ich-Erzählerin erinnert sich an verschiedene Stationen ihrer Beziehung, erinnert sich daran, wie sinnlich diese früher war, erfüllt von Liebe, Sex und Essen. Ein Mittagsessen ist symptomatisch für die verschwundenen Leidenschaften: Das einstige Vergnügen ist dem Zweck gewichen, Gregor und die Protagonistin schaufeln in Windeseile das Essen in sich hinein, es bleibt keine Zeit für Genuss und schon gar keine für echte Gespräche. Gregor scheint das nicht zu stören, er ist „schmaler und härter als früher“ geworden. Mit den einsamen Tagen zerbricht nicht nur die Liebe, sondern auch die Illusion einer gemeinsamen Zukunft. „Kann man seine Heimat auch in einem Menschen finden?“, fragt sich die Erzählerin. Sie bleibt eine Antwort schuldig, weiß sie selbst nicht. Sicher ist nur: Gregor wird in der Fremde nicht zu ihrer Heimat werden.
Für das Ende der Beziehung kann aber nicht allein Gregors Umzug nach New York verantwortlich gemacht werden. Die Distanz baute sich schon viel früher auf: Fünf Jahre zuvor, kurz nach dem Urlaub in New York, nimmt Gregor seinen ersten Job an, das „Studentische“ an ihm verschwindet, bereits damals hat er immer weniger Zeit und das Schweigen zwischen dem Paar wächst, bis der vermeintliche Beziehungsretter, der gemeinsame Plan auszuwandern, die Stille temporär unterbricht. Britta Boerdner tappt dabei nicht in die Falle, Gregor zu einseitig als durch und durch hart gewordenen Mann darzustellen. Vom ersten Moment des Aufenthalts an beobachtet seine Partnerin, wie er jeden Morgen, während er sie schlafend wähnt, eine Katze vor seinem Fenster füttert. Das Mitleid mit der Katze macht Gregor zu einem komplexeren, weicheren Charakter, ist aber auch ein weiteres unausgesprochenes Geheimnis, das die beiden ehemals Liebenden voneinander trennt. Die Katze wird zur Metapher einer entfremdeten Beziehung und stellt zugleich für beide die einzige Konstante, die einzige tägliche Routine dar.
„Was verborgen bleibt“ ist ein leise erzählter Roman, der von vergessenen großen Gefühlen und dem Scheitern einer Beziehung berichtet. Es ist ein wahres Kunststück, dass Britta Boerdner dies auf nur 158 Seiten gelingt. Am Ende bleibt die Erkenntnis, was dem Paar wirklich fehlt, was beide selbst nicht auszubügeln vermögen: „Aber nie sprachen wir über die Einsamkeit.“
Den Roman „Was verborgen bleibt“ von Britta Boerdner verschenke ich dieses Jahr übrigens im Rahmen von Blogger schenken Lesefreude am 23. April!
Britta Boerdner – Was verborgen bleibt
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt
September 2012, 158 Seiten
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