Jean Mattern – September

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Oh nein, ein Platzhalterbild!

Bei den Olympischen Spielen in München lernen sich zwei Journalisten kennen. Es entwickelt sich eine zarte Liebesbeziehung zwischen ihnen – bis die Geiselnahme elf israelischer Spieler alles verändert.

München, 1972. Es sind die ersten Olympischen Spiele seit 1936, die auf deutschem Boden stattfinden. Vor den Augen der internationalen Presse gibt sich Deutschland betont locker und fröhlich, will die Nazi-Vergangenheit vergessen machen. Es ist eine „biedere Fröhlichkeit des neuen Deutschlands“, die da demonstrativ zur Schau gestellt wird. Der britische Journalist Sebastian arbeitet für die BBC eigentlich im Kulturressort. Da er der deutschen Sprache aber mächtig ist, wird er nach München geschickt, um ausführlich über das Sportereignis zu berichten. Nebenbei plant er, in Kolumnen die deutsche Gesellschaft samt Spießbürgertum unter die Lupe zu nehmen.

Gleich am ersten Abend lernt Sebastian den New Yorker Sam kennen, der für eine jüdische Zeitung über das israelische Team schreibt. Sebastian, dessen Frau in London zurückgeblieben ist, ist vom ersten Moment an fasziniert von dem attraktiven Amerikaner. In ihren zahlreichen Begegnungen lässt Sam Sebastian an sich heran, nur um ihn wieder wegzustoßen und tagelang zu ignorieren. So erlebt Sam zwischen Stabhochsprung, Marathonlauf und Schwimmwettkämpen eine emotionale Achterbahnfahrt, die er sich selbst kaum erklären kann. Als das israelische Team von der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September in Geiselhaft genommen wird, beeinflusst dieses Ereignis auch die Beziehung der beiden Männer nachhaltig.

Sebastian ist während der vielen Stunden, die er mit Sam die Geiselnahme verfolgt, hin- und hergerissen: „Vor Anspannung zog sich mir der Magen zusammen, doch ich fühlte noch etwas anderes: das unglaubliche Glück, wieder mit Sam zusammen zu sein…“ Beklemmung, Schuldgefühle und Verliebtheit wechseln sich rasant ab. Doch auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene erweisen sich die Olympischen Spiele 1972 als hochbrisant. Sam, der jüdische Amerikaner, ist von der Situation weitaus mehr mitgenommen als Sebastian und sein britisches Fernsehteam. Das wird Sebastian, der wie Sam 30 Jahre alt ist und somit den Holocaust nicht bewusst erlebte, schlagartig klar. „…was uns immer als ein unbedeutendes Detail erschienen war, erhielt plötzlich seine volle Bedeutung: Man war Jude oder nicht.“ Die Zäsur in der Gesellschaft ist wieder da.

„September“ fasst nur 154 Seiten und doch wird in dem dünnen Buch eine ganze Welt erzählt. Der in Deutschland aufgewachsene Franzose Jean Matter schildert in seinem erstklassig recherchierten Roman ein Stück deutsche Geschichte und vor allem deutsches Versagen. Dank der intensiven wie widersprüchlichen Beziehung der beiden Protagonisten verknüpft er historische Fakten mit Fiktion auf eine einnehmende Weise, deren Eindruck auch nach der Lektüre lange nachwirkt.

Jean Mattern – September
Aus dem Französischen übersetzt von Holger Fock und Sabine Müller
Berlin Verlag, Berlin
März 2016, 154 Seiten

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