Nie war ein Krieg sinnloser als in dem Roman „Flüchtiger Glanz“ von Joan Sales, der die Dichotomie zwischen den Guten und den Bösen aufbricht – munter werden bei Faschisten und Republikanern die Seiten getauscht.
Der deutsche Buchmarkt konzentriert sich zumeist auf Romane aus dem englischsprachigen Raum und vergisst dabei die europäischen Nachbarn. So geschehen zum Beispiel bei Karl Ove Knausgård, dessen Romanreihe erst nach dem Erfolg in den USA auf Deutsch erschien. Auch Joan Sales‘ großer Roman „Flüchtiger Glanz“ über den Spanischen Bürgerkrieg, der in einer ersten Version 1956 und in der finalen 1971 veröffentlicht wurde, musste die Übersetzung auf Englisch im Jahre 2014 abwarten, um schließlich im Herbst 2015 im Hanser Literaturverlag auch auf Deutsch zu erscheinen.
Der Bürgerkrieg, die Religion, die Wankelmütigkeit: „Manchmal stießen die unseren auf die Männer der Gegenseite und teilten ihre Funde brüderlich mit ihnen. Warum sollten sie einander umbringen, wo die Operationen doch gestoppt worden waren?“, heißt es an einer Stelle in „Flüchtiger Glanz“. Immer wieder betont der katalanische Autor Joan Sales (1912-1983) in seinem Werk, wie fließend die Grenzen zwischen Republikanern und Faschisten sind. „An der Front vergeht kein Tag, ohne dass dieser oder jener überläuft“, ja, zwischen beiden Seiten geht es mitunter sogar harmonisch zu: „Manchmal stießen die unseren auf die Männer der Gegenseite und teilten ihre Funde brüderlich mit ihnen“. Auch gemeinsame Fußballspiele sind keine Seltenheit.
Drei Teile umfasst der Roman über den Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939), der zunächst die Geschichte von Lluís an der zumeist toten Front, im Mittelteil die von Trini, die in einem durch den Krieg erschütterten Barcelona lebt, und zuletzt die Version von Kriegssanitäter Cruells mit der zeitlichen Distanz zweier Jahrzehnte erzählt. Heimlicher Held des Romans aber ist der mit allen drei Figuren verbundene Juli Soleràs, der lange und kryptische Reden schwingt und mitunter spurlos verschwindet. Er ist für Trini, Lluís und Cruells die zentrale Person, an der sie ihr eigenes Leben messen. Was alle vier komplex dargestellten Protagonisten vereint ist die Agonie, die der Krieg mit sich bringt. Sie sehnen sich nach Glanz, nach einem erfüllten Leben und nach ein wenig Ruhm, ein wenig Erleuchtung, ein wenig Leidenschaft, ein wenig Abwechslung im tristen Leben – so flüchtig dieser Glanz auch sein mag.
„Flüchtiger Glanz“ ist trotz des Themas kein Kriegsroman, er ist vielmehr das Gegenteil dessen. Lluís verbringt seine Zeit damit, einer älteren Dame nachzustellen und verschwendet nur dann ernsthafte Gedanken an den Krieg, wenn er zu einem Gefecht gerufen wird. Und während die Anarchisten in Barcelona kirchliche Oberhäupter abmetzeln und in Massengräbern verscharren, wendet sich die progressive Trini, die in einem liberalen und anarchistisch geprägten Haushalt aufwuchs, von ihren Werten ab und der Kirche zu. Sich taufen zu lassen gleicht in diesen schwierigen Zeiten einem rebellischen Akt und nahezu einem Suizidversuch – und doch stellt die Religion für die zerrissenen Figuren in „Flüchtiger Glanz“ die einzige Konstante dar.
Obwohl der Bürgerkrieg und seine Auswirkungen im Hintergrund fast durchgehend die Handlung des Romans bestimmen, so ist „Flüchtiger Glanz“ dennoch ein Buch ausufernder Gedanken und Diskurse. Besonders Soleràs durchschaut von Anfang an die Sinnlosigkeit ihrer Taten. Keiner der Soldaten, die im katalanischen Niemandsland ausharren, ist sonderlich mutig oder willig zu kämpfen. Auch die oberen Kommandeure frönen lieber dem Alkohol, anstatt von einer Schlacht in die nächste zu ziehen. Joan Sales tappt nicht in die Falle, starke republikanische Krieger zu zeigen, sondern bleibt der Wahrheit treu und erzählt von wankelmütigen Männern, die durchaus mit der faschistischen Seite liebäugeln. Mehr als einmal stellen sich die Republikaner die Frage, warum sie diesen Krieg überhaupt kämpfen. Sie scheinen mehr durch den Zufall als dem eigenen Willen in den Krieg geraten zu sein.
In „Flüchtiger Glanz“ gibt es keine großen Helden, die Protagonisten sind zum Scheitern verurteilt. Was ihnen bleibt, ist der Glaube an Gott. Wer den Kämpfern in den eigenen Reihen nicht vertrauen kann, nicht einmal seinen eigenen Überzeugungen vertrauen kann, der begibt sich auf Sinnsuche. Joan Sales, der 1943 zum Christentum konvertierte, will seine Leser aber nicht missionieren. Juli Soleràs selbst, der Gott für sich entdeckte und zutiefst religiös ist, betrachtet den Glauben aus einem distanzierten, ironischen Blickwinkel. Trotz des Glaubens überwiegt in „Flüchtiger Glanz“ die Hoffnungslosigkeit, die der sinnlose Krieg mit sich bringt. Dass in dem Roman keine großen, glorreichen Sieger zu erwarten sind, sondern vielmehr Enttäuschung und Ernüchterung dominieren, verrät das dem ersten Teil vorangestellte Zitat von Gracián: „Was seht Ihr? Ich sehe, sagte Andrenio, dass die gleichen Bürgerkriege wie vor nunmehr zweihundert Jahren…“
Dies ist eine bearbeitete Fassung der bereits auf Glanz & Elend veröffentlichten Rezension.
Joan Sales – Flüchtiger Glanz
Aus dem Katalanischen von Kerstin Brandt
Hanser Literaturverlage, München
474 Seiten, September 2015
Auch besprochen bei
glasperlenspiel13
Zeichen & Zeiten
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