Wetterleuchten: Saskia de Coster (Tropen)

Die Abschlussveranstaltung des Wetterleuchten-Sommermarkts im Literaturhaus Stuttgart gebührt Saskia de Coster, deren Roman „Wir & ich“ im März bei Tropen veröffentlicht wurde. Es ist das erste Werk der flämischen Autorin, die auch als Journalistin, Videokünstlerin und Kolumnistin arbeitet, das ins Deutsche übersetzt ist. „Wir & ich“ erzählt von einer Familie, die in einer weißen Oberschichtsgegend in Flandern lebt. „Ich kenne diese Art von Gegend“, verrät Saskia de Coster dem Moderator Tilman Rau.

Ihre Protagonisten heißen Stefaan und Mielke, ein gutsituiertes Ehepaar, das standesgemäß auf dem „Berg“, einem wohlhabenden Viertel, wohnt. Zu Beginn des Romans ist de Costers Blick  auf die Welt der Reichen ironisch, doch nach und nach schleicht sich Melancholie in die Szenerie. Stefaan hat sich zwar verbissen aus der Unterschicht nach oben gearbeitet, ist dadurch aber kein Deut zufriedener geworden. Seine Frau Mielke stammt aus reichem Hause, doch auch sie ist nicht glücklich. De Coster beschreibt sie als „intelligent, neurotisch und gleichzeitig zu stolz“, um zuzugeben, dass sie gerne mehr als nur Hausfrau wäre. Mielke beschäftigt sich tagein, tagaus damit, Teppichfransen zu kämmen. Eigentlich habe sie diese Tätigkeit als absurdes, ja surrealistisches Detail einfließen lassen, sagt die Autorin. Doch dann bekam sie Rückmeldungen von Lesern: „Viele erzählten mir, dass ihre Mütter ebenfalls Teppiche kämmen würden.“

Stefaan und Mielkes Kontrapunkt ist ihre rebellische Tochter Sarah, die versucht, sich als Musikerin durchzuschlagen und sich von ihrem Umfeld und dem Reichtum der Eltern zu lösen. Im letzten Kapitel, das übrigens das erste war, das Saskia de Coster verfasste, lebt sie in New York und glaubt, sich von Europa befreit zu haben. „Sarah will ihren Wurzeln entfliehen, aber sie wird nie frei sein. Es gibt etwas Größeres als das Individuum, und das ist die Herkunft.“ Aber nicht nur Sarah bleibt mit der Familie verbunden: Mielke trifft aus Liebe zu ihrer Tochter Entscheidungen, die gegen ihre Prinzipien gehen – entwickelt sich dadurch aber weiter.

Mehrfach in dem Gespräch hakt Tilman Rau nach, ob Roman und Familie denn typisch flämisch seien. De Coster verneint: In den zwischenmenschlichen Beziehungen ihrer Figuren bleibe vieles unausgesprochen, „das ist doch eher europäisch, allen ist die Fassade wichtig.“ Auf Vergleiche mit den Buddenbrooks oder Franzen lässt sie sich ebenfalls nur zögerlich ein: „Ich wollte etwas anderes schreiben, einen weniger traditionellen Familienroman.“ Und die Familie, die ist wirklich nicht flämisch? De Costers trockene Antwort: „Ist es nicht in allen Familien so, dass etwas nicht stimmt?“


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