
Rasha Khayat wurde 1978 in Dortmund geboren und wuchs zunächst in Saudi-Arabien auf, bis sie im Alter von elf Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland zurückkam. Seit 2010 bloggt sie auf West-Östliche Diva über kulturelle, politische und gesellschaftliche Themen rund um die arabischen Länder. „Weil wir längst woanders sind“ ist ihr erster Roman, der im März 2016 bei DuMont veröffentlicht wurde. Rasha Khayat arbeitet als Übersetzerin und Lektorin in Hamburg.
In „Weil wir längst woanders sind“ reist ihr Protagonist Basil nach Saudi-Arabien, um seine Schwester Layla zu besuchen, die dort heiraten wird. Eine Woche verbringt Basil bei seiner Familie, die er seit zwanzig Jahren nicht gesehen hat, und versucht, die saudische Kultur und vor allem die Beweggründe seiner Schwester zu verstehen.
Die Entscheidung von Layla, nach Saudi-Arabien zu gehen und sich dort eine Zukunft aufzubauen, ist in deinem Roman nachvollziehbar erklärt. Trotzdem: Verstehst du deine eigene Protagonistin?
Inzwischen schon. Als ich anfing, die Geschichte zu konzipieren und aufzuschreiben, hatte ich auch noch viele Fragen an sie, so wie Basil, als er zu der Reise aufbricht. Am Ende, als ich mit Schreiben fertig war, hatte sie mir all meine Fragen beantwortet und ich kann sie inzwischen sehr gut verstehen. Auch wenn das nicht bedeutet, dass ich ihre Ansichten teile. Aber darum geht es ja beim Schreiben (und beim Lesen) – um Empathie.
Obwohl Layla in Rückblenden als freiheitsliebender Mensch beschrieben ist, integriert sie sich schnell in die Kultur Saudi-Arabiens. Ihr Bruder Basil hingegen, der weiß, dass er nach einer Woche wieder in Deutschland sein wird, steht viel stärker als sie zwischen den Welten, ist innerlich zerrissen. Warum hast du dich dazu entschlossen, den Roman aus seiner Perspektive zu schildern?
Im Prinzip ist Basil der Vertreter für meine Person in der Geschichte – ich brauchte jemanden, der Layla all die Fragen stellt, der selbst all die Fragen mitbringt, die ich an jemanden hatte, der so eine Entscheidung trifft. Um die Geschichte also glaubhaft erzählen zu können, musste der Erzähler genau so eine Figur sein – jemand, dem diese Antworten noch fehlen.
Saudi-Arabien hat in Deutschland keinen sonderlich guten Ruf. Doch wie ist es umgekehrt, wie ist der saudische Blick auf Deutschland?
Grundsätzlich herrscht in allen arabischen Ländern ein großer Respekt und große Bewunderung für Deutschland – Deutschland gilt als effizient, fleißig, gut funktionierend, ordentlich, es steht für gute Ausbildung, gute Wirtschaft. Aber zugleich belächeln die arabischen Länder die Deutschen auch ein wenig – um nicht zu sagen bemitleiden – weil den Deutschen die Lebensfreude fehlt und sie nicht wirklich in der Lage sind, mal Fünfe gerade sein zu lassen und das Leben zu genießen. Bei aller Bewunderung gelten die Deutschen also auch als sehr verklemmt, verstockt und humor- und genussbefreit.
Wie baust du deine Geschichten auf? Entwickelst du den Plot in allen Details bereits vorher oder schreibst du „einfach drauf los“?
Meist fängt es mit einem einzelnen Bild, einer einzelnen Szene an, die ich im Kopf habe, die mir irgendwo begegnet ist, die ich irgendwo aufgeschnappt habe. Oft sind es stille, kleine Bilder, die viel mit Sinneswahrnehmungen zu tun haben. Bei „Längst woanders“ war es das Bild des toten Vogels, der beerdigt werden muss. Damit fing alles an. Und von diesen Bildern aus spinne ich dann Geschichten – was bedeutet dieses Bild, wofür steht es, welche Gefühle sind darin versteckt, wie kann ich diese Gefühle zu einer größeren Geschichte ausbauen. So wächst dann zunächst einmal ein Thema heran, und dann schreibe ich drauf los, zu dem Zeitpunkt gibt es dann auch schon Figuren. Und wenn ich ca 40-50 Seiten geschrieben habe, baue ich einen Plot. Der verändert sich aber auch noch sehr stark und über einen langen Zeitraum. Ich nehme mir also möglichst lang viel Freiheit, schreibe auch viel Überschuss, ehe es wirklich eine Geschichte mit fester Struktur wird.
Wie, mit was und wo schreibst du am liebsten?
Es gibt bei mir zwei Arten des Schreibens. Zum einen habe ich immer, wirklich immer, ein Notizbuch dabei, damit ich jederzeit aufschreiben kann, wenn mir etwas begegnet. Mit dem Notizbuch bin ich bei gutem Wetter auch sehr gern draußen, beobachte, höre zu, schreibe auf. In Hamburg gibt es einen wunderbaren Park, Planten un Blomen, da sitze ich sehr oft.
Aber wenn ich „richtig“ schreibe, also Figuren, Plots und so weiter, dann ausschließlich zu Hause am Schreibtisch mit dem Laptop. In heißen Schreibphasen muss ich sehr viel Musik hören. Musik spielt für mein Schreiben eine sehr große Rolle, ich überarbeite meine Sätze sehr oft, bis sie den Rhythmus, das Tempo, den Klang, die Musikalität haben, die ich mir vorstelle. Ich lese die Texte immer und immer wieder laut. Sie müssen gut klingen, das ist mir wahnsinnig wichtig.
Oft fotografiere ich Dinge oder Menschen, oder mache unauffällig Tonaufnahmen mit dem iPhone von Gesprächen die ich aufschnappe, in Zügen beispielsweise, weil mir ein Dialekt gefällt, oder ich witzig finde, wie eine Stimme klingt. Das verarbeite ich dann.
Ein Blick in die Zukunft: Magst du verraten, ob du bereits an einem weiteren Roman arbeitest und wenn ja, wovon er handelt?
Seit mein Buch im März erschienen ist, bin ich fast ununterbrochen auf Lesetour, was zwar sehr schön, aber auch sehr anstrengend ist. Und deshalb komme ich zur Zeit ganz wenig zum „richtigen“ Schreiben, aber meine Notizbücher füllen sich, es gibt bereits eine Idee, ein oder zwei Figuren und auch schon (wie oben erwähnt) das zündende Bild … Worum es gehen wird, kann ich aber noch nicht verraten – nur so viel: diesmal geht es sicher nicht um Arabistan :-)