Philip Krömer – Ymir

Um Ahnenforschung zu betreiben, steigen drei Männer am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in der Einöde Islands hinab in eine Höhle. Höhle? Oder doch eher in die Innereien des Ur-Riesens Ymir, dem ersten Lebewesen und somit Begründer der Welt? Wie dem auch sei: Ihr Fund beglückt die „braven Bürger“ in Philip Krömers schrägem Debütroman wenig.

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„Wir wollen essen“, verkündet Schnurri und lässt den rechten Arm hochschnellen.
Als braver Bürger tue ich es ihm gleich und verkneife mir gerade noch das Heil Hitler. Er zeigt uns nämlich nur die Tür zum Speisesaal.

„Seht euch die Felsklötze an. Wie sie daliegen, könnten es erschlagene Riesen sein“, sagt Karl. Karl, das ist der Erzähler in Philip Krömers Roman „Ymir“, der zusammen mit seinen temporären Gefährten, die Karl spontan KleinHeinrich und VonUndZu tauft, Ahnenforschung auf Island betreiben soll. Kein anderer als der große Heinrich himself – „vom Himmler hoch, da komm ich her“ – hat den Schriftsteller Karl dazu beauftragt, die beiden SS- beziehungsweise NSDAP-Männer zu begleiten, um über diese Expedition zu berichten. Ihre Suche nach dem Ur-Arier hat die drei Männer nach Island geführt, in die Heimat der Riesen. Und dort steigen sie hinab in eine tiefe Höhle, die gut und gerne ein erschlagener oder gar noch halblebendiger Riese sein könnte. Von dem Mund Ymirs also begeben sie sich in die Speiseröhre und danach in seine Gedärme. KleinHeinrich kommt unterwegs zu Tode, aber Karl und VonUndZu finden die Ur-Arier schließlich, kleine, haarige Wesen, die im Laufe der Jahrhunderte in Ymirs dunklem Dickdarm die Fähigkeit zu sehen verloren haben. Das also sollen die Vorfahren des deutschen Herrengeschlechts sein?

Die Namen, die Karl verteilt, deuten es bereits: In „Ymir“ geht es mehr um Form und Stil als um den konkreten Inhalt. Dank zahlreicher Wortspiele und Andeutungen ist der Roman ironisch und skurril und durch eine direkte Leseransprache („Die sollen sie (Sie) bekommen!“) wird der Rahmen des konventionellen Erzählens wenn schon nicht gesprengt, so zumindest durchbrochen. Zugleich gibt es den intertextuellen Überbau mit deutlichen Anspielungen auf die nordische Mythologie und Romane von Jules Verne oder Herman Melville. Die Intellektualität und der Humor des Lesers sind bei der Lektüre also gefragt. Darunter leiden allein die Protagonisten, die allesamt eher blass bleiben und die Handlung nicht vorantreiben, sondern strikt dem vorgezeichneten Weg folgen.

„Ymir“ ist ein intelligent komponierter Roman, durch den sich Philip Krömer, der Publikumssieger des 2015er open mike, als eine erfrischende neue Stimme in der deutschen Gegenwartsliteratur erweist. Ob der Roman fern seines Witzes lange nachhallt, ist allerdings eher fraglich. Dennoch ist „Ymir“ der perfekte Einstieg, um den 2015 gegründeten homunculus verlag kennenzulernen. Vom Verlag selbst kommt übrigens die ebenso skurrile wie passende Aufmachung: Die Seiten sind mit historischen Zeichnungen aus einem Lehrbuch „der naturgemäßen Lebens- und Heilweise sowie neuzeitlichen Gesundheitsführung“ (1938 von Friedrich Eduard Bilz) illustriert.

Philip Krömer – Ymir oder aus der Hirnschale der Himmel
Homunculus Verlag, Erlangen
März 2016, 211 Seiten

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