
Wenn etablierte Autoren gefragt werden, was für Tipps sie dem Nachwuchs geben würden, sagen die meisten: Lesen, lesen, lesen. Nur was? In der neuen Rubrik „Was ich las“ verraten Schriftsteller auf novellieren, welche Bücher sie besonders beeinflusst und inspiriert haben.
Den Auftakt bildet Sven Heuchert, dessen Noirkrimi „Dunkels Gesetz“ im Juli bei Ullstein erschienen ist. Auch wenn „Dunkels Gesetz“ sein Debütroman ist, blickt Heuchert auf eine ganze Reihe von Veröffentlichungen zurück: Bereits vor zwei Jahren wurde sein Kurzgeschichtenband „Asche“ im Bernstein Verlag verlegt, 2016 folgte das Hörbuch „Punchdrunk“, außerdem erschienen von ihm Stories in Magazinen wie ]trash[pool, mosaik, 54stories und Fettliebe.
Mein Lieblingsbuch, bevor ich zwanzig wurde
Herbert Huncke – Bickfords Cafeteria
Huncke war der „original beat“, ein dandyesker Junkie, der sich auf dem Times Square und der 42nd Street in New York herumgetrieben hat. Seine Stories klingen wie etwas, das dir jemand in einer schummrigen, verranzten Dive-Bar nach dem fünften Old Fashioned erzählt – sehr oral, mit einem eigenen Rhythmus, einer eigenen Stimme, unverfälscht, echt und immer nah am Leben. Huncke zeigt uns in seinen Texten die Kehrseite des amerikanischen Traums, den Albtraum nämlich. Es ist die Welt der Verlierer und von der Gesellschaft Verstoßenen; Prostituierte, Stricher, Süchtige, Licht- und Arbeitsscheue. Oft sind es sind nur Collagen, kurze Vignetten, Fragmente. Huncke verfällt nie in den Ton des Voyeurs, immer wahrt er eine generöse Haltung, bleibt auf Augenhöhe.
Mein Lieblingsbuch heute
Beth Nugent – City of Boys
Beth Nugent hat eine Sammlung mit zehn Stories und einen kurzen Roman veröffentlicht. Ich denke: nur. Warum nicht mehr, verdammt? Aber das ist nicht wahr, denn natürlich weiß ich, Quantität heißt eben noch lange nicht Qualität. Die Stories aus „City of Boys“ gehören für mich zum Besten, was ich je gelesen habe. Beth Nugent schreibt in einem an den Dirty Realism der frühen Achtziger (GRANTA 8) angelehnten Stil – reduziert, verknappt, aber sie fügt dem Ganzen eine eigene Komponente, eine eigene Note hinzu, die für mich schwer zu beschreiben ist. In ihren Stories geschieht scheinbar nie viel, sie sind nicht das, was man plot-driven nennen könnte – aber im Hintergrund, zwischen den Zeilen, in den Leerstellen, da oszilliert es, da passiert die ganze Welt. Und das so subtil, auf eine so sensible Art und Weise, dass es einem unheimlich ist. Manchmal hält nur jemand eine Avocado in der Hand oder überreicht eine klebrige Tüte mit Bonbons, doch in diesen kurzen, wie für die Ewigkeit eingefrorenen Momenten steckt alles: Hoffnung, die Möglichkeit einer Liebe, das pure sexuelle Begehren. Ich lese immer wieder Stories aus diesem Band, und jedes Mal erschüttern und bewegen sie mich aufs Neue. Zeitlose Texte, die nichts von ihrer Wirkung und Tiefe verlieren.
Die größte Inspiration für mein eigenes Schreiben
Das Leben.
Nelson Algren sagte: „I mean, a writer doesn’t really live, he observes.” Ich beobachte, höre zu, nehme auf. Geschichten liegen zu Tausenden auf den Straßen. Natürlich braucht man auch ein autobiographisches Fundament, ich zumindest: Oft ist die Basis für einen neuen Text etwas, das ich selbst erlebt habe, das dann weiter gärt, bis sich schließlich eine andere, vollkommen neue Geschichte entwickelt. Und wie willst du über Rausch schreiben, wenn du selbst noch nie besoffen warst? Wie willst du über körperliche Arbeit schreiben, wenn du selbst nie eine Schippe in die Hand genommen hast?
Von diesem Roman ist auch die Verfilmung sehenswert
Fat City. Buch Leonard Gardner, Film John Huston.
Leonard Gardner hat nur diesen einen Roman geschrieben, aber es ist in meinen Augen ein Meisterwerk. Es ist ein kurzer, stilistisch dichter Roman über zwei Boxer, die an ganz unterschiedlichen Punkten ihrer Karriere stehen, über ihren Weg dorthin und ihre ganz eigenen Tragödien. Im Film werden die beiden Protagonisten von Stacy Keach und dem jungen Jeff Brigdes dargestellt. Der Film endet mit einer Meditation über Alter, Verlust und verpassten Chancen; Keach und Bridges sitzen in einem schäbigen Diner nebeneinander, trinken schweigend ihren Kaffee, beobachten alte Männer (eigentlich sehen sie in ihre eigene Zukunft) und hängen eigenen Gedanken nach. Ein unversöhnliches Ende, wie man es heute so sicher nicht mehr zu sehen bekäme – zu negativ, zu beklemmend. Aber dafür ist es umso wahrhaftiger: Das Leben besteht eben zu großen Teilen aus Niederlagen, und es kommt nur darauf an, wie man danach wieder aufsteht und weitermacht.