Shortlist-Lesung im Literaturhaus Frankfurt: Franzobel und Poschmann

Der Shortlist-Abend im Literaturhaus Frankfurt wird von Hauke Hückstädt, dem Leiter des Literaturhauses, Ina Hartwig, der Kulturdezernentin Frankfurts, und dem Vorsitzenden des Deutschen Börsenvereins, Alexander Skipis, eingeleitet. Neben Danksagungen und der verwunderten Bemerkung, dass in diesem Jahr die Juryentscheidung kaum kritisiert wurde, gehen die drei Redner vor allem auf den wenige Tage zuvor veröffentlichten FAZ-Artikel von Sandra Kegel ein, in dem Kegel der Buchbranche eine düstere Zukunft prognostiziert. „Der Buchmarkt ist stabil!“, entgegnet Skipis.

Sandra Kegel ist es auch, die die erste von fünf Lesungen (Gerhard Falkner war verhindert) moderiert und sie lässt es sich natürlich nicht nehmen, die Kritik ihrer Vorredner aufzugreifen. „Ich habe nicht nur Gespräche mit Vertretern geführt“, so Kegel, „sondern auch ein langes Telefonat mit einer Mitarbeiterin vom Börsenverein gehabt, Herr Skipis. Und die sagte mir, die Zahlen seien in echt noch viel schlimmer!“

Da an diesem Abend die Literatur aber gefeiert statt pessimistisch beäugt werden soll, wendet sich Kegel dem ersten Gast zu: Franzobel und sein „Floß der Medusa“. Bevor der Autor, der im breitesten oberösterreichischen Dialekt redet, eine Stelle vorliest, kommt Kegel zunächst auf sein Pseudonym zu sprechen: Stimmt es, dass der Name dem Fußball entlehnt sei? Franzobel schmunzelt: „Genau, das geht auf ein Länderspiel zurück, in dem Frankreich Belgien schlug – also FRAN 2:0 BEL.“ Dabei handle es sich natürlich um einen Witz, stellt er klar, als das Gelächter im Saal verebbt. Und verschweigt dezent die wahre Geschichte hinter seinem Nom de Plume.

„Mich fasziniert, was in den Menschen steckt“, antwortet Franzobel auf Sandra Kegels Frage, wie er zu dem Stoff kam. Durch die Nebenbemerkung eines Theaterregisseurs sei er darauf aufmerksam geworden und habe sich den Originalbericht der Ereignisse von 1816 geschnappt. „Nach der Lektüre wusste ich: Das ist mein Thema.“ Die Figuren hätten bis auf den Schiffsjungen Viktor nachweisbar gelebt, wenn auch nur wenige Eckdaten überliefert sind. „Ich habe versucht, möglichst eng an der Wahrheit zu bleiben. Dafür habe ich viel recherchiert, vor allem zu Alltagsdingen, also wie die Toiletten auf dem Floß waren, wie man schlief und was es zu essen gab.“

Bei einigen besonders grausigen Szenen, gibt Franzobel zu, wisse er gar nicht mehr, ob er sie erfunden habe oder ob sie historisch belegt seien. „Ich denke mir: Das hast du dir mit deiner kranken Fantasie bestimmt ausgedacht! Und dann blättere ich im Originalbericht und sehe, nein, das war wirklich so.“ Nach mehreren Jahren, in denen sich der Autor intensiv mit der Geschichte auseinandersetzte, war es für ihn nicht leicht, Abstand dazu zu gewinnen. „Natürlich habe ich nicht daran gedacht, meinen Sohn zu verspeisen“, scherzt er, wird dann aber wieder ernst. „Man muss halt versuchen, diese Parallelwelt kleiner und die Familie größer zu machen.“

Die zweite Kurzlesung des Abends bestreiten Marion Poschmann mit „Die Kieferninseln“ und ein wie gewohnt sehr gut aufgelegter Alf Mentzer als Moderator. Japan, so beginnt Mentzer, entwickle sich ja immer mehr zum Sehnsuchtsort des deutschen Literaturbetriebs. Poschmann antwortet, sie interessiere sich schon seit langem für Japan. „Ich habe mich viel mit der japanischen Ästhetik beschäftigt, in der die Leere und nicht das Objekt eine Rolle spielt.“ Über das Goethe-Institut bekam sie die Möglichkeit, einige Monate in Kyoto zu verbringen. „Dort fühlte ich mich sofort am richtigen Platz.“

Ihr Protagonist Gilbert Silvester, ein Bartforscher („Ich habe nach einem Beruf gesucht, der alltäglich, abwegig und weltweit anwendbar zugleich ist“), fliegt nach einem Traum spontan nach Japan, wo er mit Reisebeschreibungen des Dichters Basho aus dem 17. Jahrhundert durch die Gegend zieht. Poschmann verrät: Das Buch Bashos basiert wiederum auf Texten aus dem 12. Jahrhundert. Die Verschachtelung von 21., 17. und 12. Jahrhundert habe sie besonders gereizt. „Diese Art von Reise hat in Japan Tradition. Schöne Landschaften und historische Orte werden von der Literatur überschrieben und dadurch neu gesehen.“

Gilberts Reisebegleiter heißt Yosa Tamagotchi. Mentzer hakt nach: Warum hat sich Poschmann ausgerechnet für diesen Nachnamen entschieden? Poschmann schmunzelt leicht. „Möglicherweise hat Gilbert den Namen auch falsch gehört. Eine gewisse Ähnlichkeit gibt es trotzdem, immerhin ist er in einer Betreuungsfunktion.“ Yosa ist mit dem „Complete Manual of Suicide“ unterwegs, einem Buch, das in Japan eine Millionenauflage hat. „Mir ist erst in Japan klargeworden, wie tief verwurzelt der Selbstmord in der japanischen Kultur ist“, sagt Poschmann. Und so schickte sie ihre Figuren los: Mit unterschiedlichen Reiseführern, die beide mit großer Bedeutung aufgeladen sind.

Hier geht’s zu Teil II mit Robert Menasse, Sasha Marianna Salzmann und Thomas Lehr.


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