
„Du gewöhnst dich nicht daran, dass jemand tot ist. Du gewöhnst dich nur daran, wie sehr dir jemand fehlen kann.“
Jan ist tot und irgendwie muss das Leben jetzt weitergehen, für Milla, seine beste Freundin, Kristina, die zum Zeitpunkt seines Todes mit ihm zusammen war, und für die kleine Emma. Doch warum genau starb Jan überhaupt? Und vor allem: Wie soll man mit dem Tod eines geliebten Menschen umgehen, wenn der Alltag unerträglich scheint? Diese Fragen stellt Sina Pousset in ihrem Debütroman „Schwimmen“, kürzlich bei Ullstein fünf veröffentlicht. Die Wahl-Berlinerin schreibt unter anderem für die Süddeutsche und jetzt.de, im vergangenen Jahr erschien bei Goldmann außerdem Poussets Buch „Keine Ahnung, wo wir hier gerade sind“ über das Reisen im Fernbus.
Dein Roman hat nicht nur Jans Tod als zentrales Thema, außer ihm werden acht weitere Verstorbene genannt, zudem wirken Milla, Kristina und Max ein wenig wie lebende Tote. Was fasziniert dich so sehr am Tod?
Acht? Ohje! Mir käme es unvollständig vor, Leben ohne Tod darzustellen. Die einschneidendsten Erlebnisse sind neues Leben oder der Tod – beides kommt in „Schwimmen“ zusammen. „Schwimmen“ ist vor allem ein Buch über die, die zurückbleiben. Mich interessiert also der Tod am meisten in seiner Auswirkung auf das Leben. Auch Jan ist jemand, dessen Leben von einem Verlust gezeichnet ist. Im Buch geht es darum, sich vom Tod und dem Dasein des „lebenden Toten“, wie du es nennst, zu befreien, und Verlust auf eine gesunde Weise ins Leben zu integrieren – etwas, das jeder früher oder später tun muss. Ich glaube, der Tod fasziniert mich deshalb besonders im Kontrast zur Lebensphase, in der sich meine Figuren befinden: Sie stehen eigentlich am Anfang des Lebens. Ich finde es spannend, was passiert, wenn diese Schwebephase Anfang 20, in der fast alles möglich scheint, so abrupt beendet wird. Was bleibt dann von den eigenen Wünschen übrig? Was ist wirklich wichtig? Ich selbst habe mit 19 einen Verlust in meiner Familie erlebt. Das Leben, das man sich ausmalt, ist da noch sehr träumerisch. Der Tod ist aber absolut und realistisch. Weil er eben so radikal ist, führt er einem sehr deutlich vor Augen, dass das Leben nicht planbar oder zähmbar ist.
Max und Kristina, die sich vielleicht einst etwas zu sagen hatten – wir wissen es nicht – sind durch Jans Tod zu Fremden geworden. Max‘ angedeutete Geschichte klingt spannend. Wo war er während der Beerdigung? Warum ist es auch ihm unmöglich, vier Jahre nach dem Tod seines Freundes damit umzugehen?
Gute Frage. Ich lasse das eigentlich gerne für den Leser offen. In meiner Vorstellung hat Max Jans Tod nicht akzeptiert und war deswegen auch nicht bei der Beerdigung. Viele meiner Figuren leben ja ein bisschen am Leben vorbei, das sie eigentlich führen wollen. Dabei halten sie sich auch aneinander fest. Milla und Jan planen ihr Künstlerleben zusammen, als aber einer abspringt, traut sich Milla nicht mehr. So ähnlich ist es auch bei Max. Max ist jemand, der zum Zeitpunkt von Jans Tod noch gar nicht wusste, was er für sich selbst will, vielleicht eher ein Mitläufer. Durch den Wegbruch seines besten Freundes ist er in der Kindheit stecken geblieben: Er hat die Mutter durch seine Freundin ersetzt, die seine Wäsche wäscht und bewegt sich nicht vorwärts, denn das hieße, Jans Tod und das Ende der Kindheit zu akzeptieren. Milla ist die einzige, die Verantwortung übernimmt, vor allem, weil sie es durch Emma muss. Ihr hilft das, ein nach außen hin stabiles Leben aufzubauen. Max, Milla und Kristina stehen auch für unterschiedliche Wege, mit Verlust umzugehen: sich verkriechen, stagnieren oder fast blind funktionieren. Jeder Weg ist für sich problematisch. Ich hoffe, dass Max die drei mal im Haus besuchen kommt, so eine Art Boot Camp fürs Leben.
Ein Detail, das viele vielleicht wenige Leute beachten, interessiert mich als gebürtige Frankfurterin: Jan kehrt zurück nach Frankfurt, gleichbedeutend mit dem Rückschritt in seine Vergangenheit und einem seelenzerfressenden Job. Warum Frankfurt? Was ist deine Beziehung zu dieser Stadt?
Die Familie meines Vaters hat eine Zeitlang in Frankfurt gelebt. Immer, wenn der Zug in den Bahnhof eingefahren ist und ich diese glänzenden Türme gesehen habe, habe ich mich gefragt, wer dort sitzt und was das für ein Leben ist. Außerdem ist Frankfurt das perfekte Setting für Jans Familiengeschichte: Eine reiche Stadt der Gegensätze, die sehr auf Effizienz und Erfolg getrimmt ist. Man sieht Banker auf dem Bahnsteig und nebenan Junkies auf der Treppe, die sich eine Nadel in den Arm stechen. Scheitern ist immer nur einen Schritt entfernt. Genau mit diesem Druck ist Jan aufgewachsen.
Wie baust du deine Geschichten auf? Entwickelst du den Plot bereits vorher oder schreibst du „einfach drauf los“?
Es kommt ganz auf die Schreibphase an. Anfangs habe ich eine Grundahnung und versuche hauptsächlich, der näherzukommen. Da brauche ich schon einen groben Plot oder zumindest ein Grundgefühl für die Figuren. Meistens beginnt die Szene mit einer Beobachtung, einem Gefühl oder Grundkonflikt. Dann schreibe ich auch einfach mal drauflos, um zu sehen, wohin die Geschichte geht. Meistens merke ich schnell: Jetzt schreibe ich gerade eine Szene für das Buch. So war es auch bei „Schwimmen“. Auf einmal kam die Montagmorgenszene. Als ich ein paar Absätze geschrieben hatte, wusste ich, dass das der Anfang des Buches ist. Darauf lässt sich dann aufbauen. Sobald es soweit ist, ist eine Kapitelübersicht wichtig, um nicht den roten Faden aus den Augen zu verlieren. Danach schreibe ich relativ linear. Und je mehr man schreibt, desto mehr fügt sich. Für mich ist das total faszinierend, oft sprudelt man dann nur so vor Ideen und die Möglichkeiten überschlagen sich. Es kommt vor, dass ich meinen besten Freund anrufe und ihm wirre Sprachnachrichten hinterlasse. Er ist da zum Glück sehr verständnisvoll.
Ein Blick in die Zukunft: Magst du verraten, ob du bereits an einem weiteren Roman arbeitest?
Ja, ich arbeite an einer Geschichte, aber es ist noch früh. Mittlerweile muss ich den Roman nicht mehr in einen vollen Arbeitsalltag stopfen, sondern kann mir meine Zeit frei einteilen. Das ist auch ein gefährlicher Luxus: Nebenbei Schreiben kann sehr befreiend sein, weil man gar nicht den Anspruch hat, einen Roman in einem Rutsch zu schreiben.