Albtraum Mittelschicht: Die US-amerikanische Gesellschaft ist beliebtes Sujet vieler Romane, wie gerne werden Doppelmoral, Leere und der sterbende Amerikanische Traum thematisiert. Kaum einer ist darin aber so konsequent und satirisch wie John Cheever, in dessen „Die Lichter von Bullet Park“ die Suburbs die Pforte zur Hölle sind.
„Verflucht sei ihre Scheinheiligkeit, verflucht ihre Heuchelei, verflucht ihre Kreditkarten, verflucht ihre Geringschätzung der Wildnis des menschlichen Geistes, verflucht ihre Makellosigkeit, verflucht ihre Lüsternheit. Doch vor allem seien sie verflucht, weil sie dem Leben jene Kraft und Würze jene Farbe und Inbrunst geraubt haben, die ihm Bedeutung verleihen.“
Nein, John Cheever hatte beim Schreiben wahrlich keine Samthandschuhe an. In seinem Roman „Die Lichter von Bullet Park“, auf Englisch erstmals 1969 veröffentlicht und vor wenigen Jahren erstklassig von Thomas Gunkel neu übersetzt, knöpft sich Cheever eine Kleinstadt in Upstate New York vor. Die Bewohner von Bullet Park eint genau zwei Dinge: die gut verborgene Schwermut und der offen zelebrierte Alkoholismus.
John Cheever schert sich nicht um Subtilitäten und verleiht seinen beiden Protagonisten und späteren Widersachern ganz dreist die Namen Hammer und Nailles – Hammer und Nagel. Der Roman hat wenig übergreifende Rahmenhandlung, sondern liefert vielmehr in lose zusammenhängenden Storys, Kurzgeschichten ähnlich, Einblicke in die verschiedenen (und doch erschreckend ähnlichen) Leben der Nachbarn. Nailles ist der größte Teil von „Bullet Park“ gewidmet. Zu Beginn des Romans wartet er wie jeden Tag auf den Pendlerzug, um zur Arbeit nach Manhattan zu fahren. Diese Routine wird von ihm kaum als solche wahrgenommen, bis ein entfernter Bekannter, der ebenfalls am Bahngleis steht, plötzlich, nachdem ein Schnellzug durch den Bahnhof raste, verschwunden ist. Nailles begreift, dass sein Nachbar offensichtlich von dem Zug erfasst und getötet wurde. Er ist einfach gestorben, ohne dass dies jemand mitbekommen hätte. Obwohl Nailles die Geschichte beeindruckt, denkt er nicht lange über seinen Bekannten nach, dessen Existenz so irrelevant war, dass er sogleich wieder vergessen ist. Und doch stellt der Tod seines Bekannten eine Zäsur in Nailles‘ Alltag dar, der sich ganz offenbar dadurch der Vergänglichkeit und Bedeutungslosigkeit seiner eigenen Existenz bewusst wird, der Tatsache, wie austauschbar sie in ihren tristen, kleinen Leben alle sind. Er leidet im Zug unter Panikattacken und beginnt, täglich Tabletten zu nehmen, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Nailles‘ Sohn Tony ergeht es nicht besser. Eines Tages legt er sich in sein Bett und steht über Wochen hinweg nicht mehr auf. Die Eltern, die seine Krankheit in der Öffentlichkeit beharrlich als „Drüsenfieber“ bezeichnen, bemühen verschiedene Experten, die teure Rechnungen stellen und wenig helfen, bis ein Swami auftaucht. Keiner aber fragt, wo Tonys Depressionen, wo die innere Leere, die er und die meisten anderen Bewohner von Bullet Park spüren, wohl herkommt. Und Hammer, der erst kürzlich mit seiner Frau in die Vorstadt zog, wird bei einem großen Nachbarschaftsdinner von dieser runtergeputzt. Auch er greift wie alle in dieser Gemeinde zu häufig zur Flasche. Seine einzige Linderung ist das beruhigende Gefühl, das er in bestimmten gelben Zimmern bekommt, von denen er auf der Welt nur drei findet – eins davon in einem Haus in Bullet Park –, und die ihm die Lust am Trinken nehmen.
Alkohol, Gurus, Zimmer mit sedativer Wirkung oder verschreibungspflichtige Medikamente – ohne Hilfsmittel schafft es keiner im Bullet Park aus dem Bett. Mit satirischem, fast schon bösartigem Blick beschreibt John Cheever seine Figuren, für die es keinen Ausweg gibt. Leere, Heuchelei, Melancholie und Zynismus haben längst gewonnen, sind die treuesten Bewohner von Cheevers Suburbs geworden. Auf den letzten Seiten kommt es unerwartet zu einem Showdown, den der bis dato ruhig erzählte Roman nicht unbedingt gebraucht hätte. Denn die falsche Idylle, das verlogene Leben voller Kirchengänge und oberflächlicher Partys, ist so schon erschreckend genug. Bei all dem Sarkasmus verliert Cheever aber nie seinen Witz: „Die Lichter von Bullet Park“ ist durchaus amüsant, wenn man schwarzen Humor mag. Das beweist nicht zuletzt der schließende Satz, der einem in seiner aufgesetzten Munterkeit das Blut in den Adern gefrieren lässt: „… und alles war so herrlich, herrlich, herrlich, herrlich wie früher.“
Zum Weiterlesen: Richard Yates – Zeiten des Aufruhrs
John Cheever – Die Lichter von Bullet Park
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
DuMont, Köln
August 2011, 255 Seiten
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