Die besten Projekte entstehen, wenn man gar nicht lange nachdenkt, sondern einfach macht. Genauso gründete Michael Zöllner den heute in Stuttgart ansässigen Tropen Verlag: Er meldete für 40 DM ein Gewerbe an, fertig. Eine Erfolgsgeschichte.
Eigentlich fängt die Geschichte des Tropen Verlags auf der Haschischplantage eines US-Amerikaners bei Kaiserslautern an. Dorthin verzog sich Michael Zöllner Mitte der Neunziger, um an der Übersetzung des ersten Büchleins, das er in seinem frisch gegründeten Tropen Verlag herausgeben wollte, zu arbeiten. Kleine New Yorker Oden lautet der Titel. Dabei handelt es sich um ausgewählte Gedichte von keinem anderen als Jim Carroll, Underground-Koryphäe der New Yorker Künstler- und Punkszene. Und wie lässt sich das besser übersetzen als mit einem Joint in der Hand?
Keine erratischen Bücher
Die Oden sind zwar das erste Buch, das im Tropen Verlag erscheinen wird, 1996 ist das, Verleger und Tropen-Gründer Michael Zöllner hatte zuvor aber bereits eine weitere Ode herausgegeben: Die Ode an die Typographie von Pablo Neruda. Zu diesem Zeitpunkt studierte er Typographie an der Düsseldorfer Kunstakademie. Die Klasse betrieb ein kleines Imprint, bei dem Zöllner besagtes Buch veröffentlichte. Um alles richtig zu machen, so erzählt er, fragte er brav die Rechte für Nerudas Gedicht an – und musste 300 DM dafür blechen, trotz Non-Profit-Projekts. Erst Jahre später erfuhr er, dass er das Geld nicht hätte zahlen müssen, hätte er geschwiegen und einfach gemacht. Michael Zöllner setzte sein Buch selbst, bat einen befreundeten Drucker um Hilfe und vertrieb schließlich Nerudas Ode im Alleingang. Deswegen ärgerte es ihn auch, dass der Name des Imprints der Kunstakademie im Impressum stand. „Das Imprint hieß Errata Presse. Ich fand mein Buch aber nicht erratisch, außerdem hatte ich alles ohne Hilfe gemacht!“
Daraus konnte nur ein einziger Schluss gezogen werden: „Ich habe mir gesagt, ach, ich gründe selbst einen Verlag. Also meldete ich für 40 DM ein Gewerbe an und kaufte für 100 oder 200 DM ISBN-Nummern.“ So naiv wie sturköpfig Zöllner an die Verlagsgründung ging, so realistisch war er doch bei der Namensfindung. „Mein eigener Name hat kein Wachstumspotential“, beschloss er und nannte seinen Verlag Tropen – „das ist doch ein lustiger Name“. Und doppeldeutig: Literaturwissenschaftler kennen die Bedeutung des Worts „Trope“, das nichts mit Dschungelromantik zu tun hat.
Erste Erfolge
Zurück zur Dschungelromantik der Marihuanaplantage. Zwei Wochen lang übersetzte Zöllner die Gedichte seines Helden Jim Carroll und diskutierte abends mit dem Plantagenbesitzer über diese Texte. Auf den Lyriker aufmerksam war er in einer Buchhandlung in New York geworden. „Ich stand kurz vor meinem Rückflug nach Deutschland und war auf der Suche nach einer Lektüre. Ich schwankte zwischen Jim Carroll und Unterwegs. Die Entscheidung hat mein Leben verändert.“ Und so erschien das erste Buch des Tropen Verlags.
Zum Erfolg gehört immer ein Quäntchen Glück: Eine Bekannte von Michael Zöllner arbeitete beim Jetzt-Magazin und veröffentlichte einen langen Artikel über die Kleinen New Yorker Oden. Erneut kümmerte sich Zöllner in Eigenregie um die zahlreichen Bestellungen, die daraufhin bei ihm eintrafen; er verpackte die Bücher einzeln und brachte sie selbst zur Post. Die erste Auflage von 1.000 war schnell verkauft, eine zweite wurde gedruckt. Zöllner resümiert: „Für mich war das eine sehr freundliche Einführung in diese Welt.“
Dank dieser Aufmerksamkeit und den Einnahmen der New Yorker Oden hatte Zöllner genug Geld, um weitere Bücher zu verlegen. Es folgten unter Poesie und Wirklichkeit Gedichte des Argentiniers Roberto Juarroz und mehrere Skateboard-Bücher, die Tropen in dieser Szene sehr populär machten. Auf sie kam Michael Zöllner durch einen Zufall, als er Raymond Pettibon über die Kunstszene, in der Zöllner verkehrte, kennenlernte. Pettibon, bekannt durch die von ihm entworfenen Plattencover, allen voran das legendäre Bild der Sonic-Youth-LP Goo, versprach dem jungen Verleger, ihn mit Mark Gonzales zusammenzubringen. „You must meet Mark Gonzales!“, insistierte Raymond Pettibon. Gonzales, der zu den berühmtesten Skatern der 1980er- und 1990er-Jahre gehört, hatte in einigen Magazinen in den USA bereits Kurzgeschichten veröffentlicht.
Ein halbes Jahr lang rief Michael Zöllner regelmäßig bei Raymond Pettibon in Los Angeles an, der freundlich mit ihm plauderte, jedes Mal versprach, Gonzales‘ Adresse zu suchen – und sie wieder nicht zur Hand hatte, wenn Zöllner erneut zum Telefonhörer griff. Als dieser bereits aufgeben wollte, kam der Rückruf: Mark Gonzales stand bei Pettibon im Hausflur. Endlich, der Kontakt war hergestellt! In New York kam es zu einem ersten Treffen zwischen dem Deutschen und dem Amerikaner. Es stellte sich als produktiv heraus: Gonzales‘ zweisprachiger Gedichtband Broken Dreams erschien bald darauf bei Tropen. Besonders stolz macht Michael Zöllner noch heute, dass sein Tropen Verlag Mark Gonzales‘ Lyrik auch in den USA vertrieb. Durch Broken Dreams wurde kein Geringerer als Titus Dittmann, quasi der Vater der deutschen Skateboard-Szene, auf den Verlag aufmerksam. Titus wiederum kannte Tony Hawk, dessen Biographie sowie weitere Skateboard-Bücher veröffentlicht wurden. Plötzlich hatte Tropen ein festes Standbein und wurde in Skate- und Headshops vertrieben.
Ein Underground-Verlag wird bekannt
Eine noch größere Erfolgsgeschichte kann Zöllner mit dem profilierten Schriftsteller Jonathan Lethem vorweisen, der zusammen mit Franzen und Safran Foer zu den wichtigen „Jonathans“ der USA zählt. „Es gab drei bedeutende amerikanische Autoren, die damals noch nicht übersetzt waren: David Forster Wallace, William T. Vollmann und Jonathan Lethem.“ Also blätterte sich der Verleger durch die wichtigsten Werke dieser Schriftsteller. Der Pragmatismus siegte: „Die Bücher von Lethem waren die dünnsten.“ Trotzdem galt Motherless Brooklyn, Lethems Durchbruch und einer der bekanntesten Romane, die je bei Tropen verlegt wurden, als unübersetzbar: Der Protagonist leidet an Tourette und redet entsprechend. Zöllner fackelte nicht lange. „Ich mach das mal.“ Mit der Übersetzung von Jim Carroll hatte er schließlich erste Erfahrungen gesammelt. Ihm kam die Idee, die Kaskaden des Ich-Erzählers als eine Art Reimlexikon zu verstehen. „Ich hatte ein rückläufiges Wörterbuch aus der DDR, also eins, das nach den letzten, nicht den Anfangsbuchstaben sortiert ist. Das war Gold wert!“ Ein Geniestreich, der Jonathan Lethem an Michael Zöllner band: Seit beinahe zwanzig Jahren ist Lethem nun Tropen-Autor. Und nicht zuletzt durch Motherless Brooklyn wurde der Tropen Verlag endgültig in der hiesigen Literaturszene bekannt.
„Der Verlag hatte Dimensionen angenommen, dass es mir mulmig wurde“, so Zöllner. Um das Jahr 2000 lernte er auf der Frankfurter Buchmesse Tom Kraushaar kennen, den Herausgeber der Zeitschrift Edit. Kraushaar erhielt zwei Angebote gleichzeitig: Der legendäre Verleger und deutsche Entdecker Jonathan Franzens, Alexander Fest, bot ihm eine Stelle beim Rowohlt Verlag an, parallel fragte ihn Michael Zöllner, ob er bei Tropen mitmachen wolle. Gemeinsam entschieden Zöllner und Kraushaar, dass Letzterer das Zweijahresangebot von Rowohlt annehmen würde, um die Verlagserfahrung zu sammeln, an der es Selfmademan Michael Zöllner noch mangelte.
Nach Ablauf dieser zwei Jahre wollte Alexander Fest Tom Kraushaar eigentlich im Rowohlt Verlag halten. Als Fest jedoch Wind davon bekam, dass Kraushaar bei Tropen einsteigen könnte, riet er ihm: „Tom, du musst das machen!“ Kein Wunder, betrieb Fest doch, bevor er zu Rowohlt kam, seinen eigenen Verlag, und hat somit ein großes Herz für Indie-Verlage.
Aufbruchsstimmung: Köln, Berlin und dann Stuttgart
Tropen wuchs immer schneller. Als 2004 die Verlagsräume in Köln gekündigt wurden, entschieden sich Zöllner und Kraushaar dazu, nach Berlin auf den Prenzlauer Berg zu ziehen. Kein anderer als der Verleger von Matthes & Seitz half ihnen bei der Bürofindung – der Tropen Verlag kam in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Mitarbeiters von Heiner Müller unter. In der Berlin-Ära wurden auch politische Bücher ins Verlagsprogramm aufgenommen, wie zum Beispiel der Bestseller Die Mutanten des Kreml von Elena Tregubova.
„Und dann kam der ominöse Anruf von Philipp Haußmann.“ Haußmann, Enkel des Klett-Firmengründers und seit 2009 Vorstandsvorsitzender der Klett Gruppe, bot Michael Zöllner und Tom Kraushaar an, die Leitung des Klett-Cotta Verlags zu übernehmen. Schnell wurde man sich einig – unter einer Bedingung: „Klett-Cotta und Tropen fusionierten. Wir haben den Tropen Verlag nicht verkauft und dadurch die Unabhängigkeit gewahrt.“ Klett-Cotta, so Zöllner, sehe er als eine Art Versprechen an Schriftsteller wie Jonathan Lethem, die ihm immer die Treue gehalten haben: „Wir können unseren Tropen-Autoren ihr Vertrauen zurückzahlen, indem wir ihnen sichereres Fahrwasser bieten.“
Also hieß es erneut Koffer packen, diesmal von Berlin in den Stuttgarter Westen. Und was hat sich für Michael Zöllner und seinen Tropen Verlag geändert, seit er vor zehn Jahren gemeinsam mit Tom Kraushaar als Verleger bei Klett-Cotta einstieg? „Nun, vor Klett-Cotta war unser Programm sehr disparat, wir hatten nur wenige Bücher, die sich inhaltlich unterschieden. Und jedes dieser Bücher musste funktionieren.“ Vor allem im popkulturellen Bereich war der Tropen Verlag ganz vorne mit dabei. Das hat sich im Lauf der Zeit ein wenig geändert. „Wir sind ein bisschen erwachsener geworden, zusammen mit unserer Zielgruppe.“ Stolz ist Zöllner darauf, dass Tropen für viele weitere Indie-Verlage den Weg ebnete. „Nach uns kamen viele neue Verlage.“
Am Ende, so weiß Michael Zöllner, hat er neben dem Glück und den Zufällen, die Tropen zum Erfolg führten, alles richtig gemacht. „An die Verlagsgründung bin ich mit einer grenzenlosen Naivität gegangen. Diese Naivität war aber die Kraft, die ich benötigte, um mich meiner Leidenschaft auszuliefern.“
Dieser Text wurde bereits in der achten Ausgabe von ]trash[pool – Zeitschrift für Literatur & Kunst veröffentlicht.
Es spricht Bände über Michael Zöllner, dass Michael Zöllner nur über sich spricht, so als ob nicht Christian Ruzicska mit ihm zusammen Tropen gegründet, aufgebaut und zum erfolgreichen Verlag gemacht hätte. Keine Rede auch von der von Ruzicska entdeckten und übersetzten Christine Angot, der weiteren Erfolgsautorin der ersten Jahre. Zöllners Geschichtsklitterung in eigener Sache ist die Fortsetzung des Verkaufs (ja was denn sonst???) an Klett-Cott unter Ausschluss von Ruzicska. Wer wissen will, wie der Verlag wirklich gegründet und aufgebaut wurde, findet hier etwa einen Bericht aus dem Spiegel – vor der kalten Enteignung Ruzicskas: http://www.spiegel.de/spiegel/kulturspiegel/d-25810585.html
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