In Labors und Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt wird nach chemischen Verbindungen gesucht, die dem Coronavirus zusetzen oder es sogar vernichten können – ohne dabei die Gesundheit der Menschen anzugreifen. Eines der größten Probleme dabei: Die Zahl der möglichen Wirkstoffe bzw. Moleküle geht in die Milliarden. Würden Forscher eine Verbindung nach der anderen sozusagen „händisch“ überprüfen, wäre die Wartezeit auf ein wirksames Mittel sehr lang.

Biologische Effekte kleiner Moleküle
Hier kommt einer der Vorteile Künstlicher Intelligenz (KI) ins Spiel. Forscher des Instituts für Machine Learning an der Linzer Johannes Kepler Universität (JKU) haben eine KI geschaffen und für die Suche nach den chemischen Verbindungen trainiert. Dazu seien die bisher bekannten Eigenschaften von Molekülen verwendet worden, erklärt der Wissenschafter Günther Klambauer im Interview mit dem ORF Oberösterreich: „Es geht dabei um die biologischen Effekte kleiner Moleküle. Koffein z.B. wirkt aktivierend, Zucker schmeckt süß usw.“ Im Internet gebe es große Datenbanken, in denen die biologischen Effekte von mehreren hundert Millionen Molekülen gespeichert sind.
KI lernt Eigenschaften von Molekülen vorherzusagen
Mit diesen Informationen wurde die KI gefüttert, um daraus lernen zu können, welche Moleküle welche Effekte auslösen und vor allem auch, welche Menschen schaden könnten. Klambauer berichtet von Toxikologen, die über Jahrzehnte gelernt haben, schon beim Anblick von Molekülstrukturen zu wissen, welche für den Menschen wahrscheinlich giftig sind: „Unsere KI schaut aber viel mehr durch, die schaut Milliarden von Datenpunkte durch. Die KI lernt ganz spezielle Eigenschaften und dadurch auch, die Eigenschaften von Molekülen vorherzusagen.“

Die KI wurde von den Linzer auch mit Daten zum Coronavirus gefüttert und „kann daher auch etwas über die Effekte von small molecules (kleinen Molekülen, Anm.) vorhersagen“, erklärt Klambauer. Insgesamt könne die KI aber ca. 6.000 verschiedene biologische Effekte vorhersagen. Zwei dieser Effekte seien sehr relevant für das Coronavirus, weil sie bestimmte Proteine blockieren können, die für die Vermehrung des Virus notwendig sind. Mit diesem Wissen kann das Programm überprüfen, ob eine Verbindung diese Proteine behindern kann.
30.000 aus einer Milliarde Verbindungen gefiltert
Die KI wurde dann auf eine Datenbank, in der mehr als eine Milliarde Verbindungen gesammelt sind, sozusagen losgelassen. „In den letzten Tagen sind die Hochleistungsrechner bei uns auf Hochtouren gelaufen“, berichtet der Forscher. Aus der Milliarde wurden etwa 30.000 Verbindungen ausgefiltert, die die für das Virus wichtigen Proteine behindern können. Mit der Hilfe von Computern wurde also innerhalb weniger Tage etwas zustande gebracht, was für Menschen unmöglich gewesen wäre. Die Liste sei aber noch dazu nach Wirksamkeit durchsortiert: „Das heißt, ganz oben in dieser Liste ist unser ‚best guess‘, also das Molekül, das am ehesten funktioniert, an zweiter Stelle, das mit etwas geringeren Chancen usw.“
Liste steht weltweit zur Verfügung
Die Liste mit den laut KI wirksamsten Verbindungen steht jetzt allen Forschern weltweit zur Verfügung: „Jedes Labor auf der ganzen Welt könnte jetzt diese Moleküle bestellen, weil alle Moleküle in der Datenbank bei Verkäufern verfügbar sind. Jedes Labor auf der Welt kann jetzt sagen, ich glaub an das, was die Linzer produziert haben und ich teste die ersten hundert.“

Möglicherweise haben damit Linzer Wissenschafter entscheidend zum Finden eines Wirkstoffes gegen das Coronavirus beigetragen.