A Clean House

Auch wenn ich wusste, dass viele im Viertel mich nicht richtig verstehen würden, ließ ich meiner Wut letztendlich freien Lauf: Ich wollte nie mehr den blöden Spucki sehen müssen, auf dem eine rosige Fünfzigerjahrehausfrau begeistert eine Badewanne schrubbt, versehen mit dem Spruch A Clean House is a Sign of a Wasted Life. Ein Spucki ist kein Spucktuch für Babys; ein Spucki ist die Bezeichnung für einen Aufkleber, über den politische Einstellungen und wichtige Informationen weitergegeben werden, vermutlich ein Erbstück aus der westdeutschen Hausbesetzer_innenszene, also ursprünglich subversiv oder zumindest alternativ, anzutreffen an Laternenmasten, Schaufensterscheiben, öffentlichen Toiletten.
Meine Wut auf diesen Clean House-Spucki baute sich wellenartig auf. Zunächst regte sie sich in Widersprüchen und richtete sich gegen nichts Konkretes – vielleicht eine rein affektive Reaktion auf diese mit Vehemenz sicher zu verurteilende Darstellung des Hausfrauentums. Diese Frau durfte niemand gut finden. Allein die Farben machten mürbe, dieses Weiß der Badewanne, dieser Rosastich der Haut, die gelben Kacheln und das Polizeigrün der Schrift. Aber dann: Diese Pin-up-light-Ästhetik. Wie sonst ließe sich die dezente Anzüglichkeit der Pose, der subtil laszive Blick erklären? Der ist zum Objektbilden gedacht. Das ist gar kein Mensch, sollte mir das sagen. Diese Hausfrau, die lebt nicht, die putzt nur jeden Tag diese Badewanne, weil es ihr einen riesigen Spaß macht.
Und dann setzten bei mir durch diese Pathosschicht, durch diese unerträglichen Farbtöne die anderen, etwas rationaleren Reaktionen ein. Spürte ich, wie ich begann, mich in dieser Dame, die ich nicht gut finden durfte, heimlich wiederzuerkennen: war doch, immer eindeutiger, wohl ich gemeint. Aber nicht als ich-ich, sondern mein Ich als putzende Hausfrau. An meiner heimlichen Einswerdung mit der Putzenden konnte ich zu allem Frust auch noch kaum etwas Verkehrtes entdecken, schließlich verwandelte ich mich unverhohlen mehrmals am Tag, jeden Tag in diese Frau. Zwar sah ich dabei nicht so aus wie die sie; aber ganz anders eben auch nicht.
Daraufhin wurde die Wut in mir noch größer und klarer. Was hieß denn hier: Ein sauberes Haus ist ein Zeichen eines verschwendeten Lebens? Als würde die Frau wirklich aus reinem Verlangen das Bad wienern. Als wäre es meine innerste Berufung, den Schmutz und Dreck und damit auch die Viren und die Bazillen und die Mikroben und Durchfälle und Grippen und Gerstenkörner und Pickel und Entzündungen und rote Stellen und alles Wunde und Krumme und Schiefe und das Versehrte und das wirklich Nervige, das man aussitzen muss und nicht anders kurieren kann, und das alles entfernen und wieder richten und ganz machen, heilen, verbinden und nähen, ich, davor die F_rauen in den Generationen vor mir, jeden Tag für mich und für andere, vor allem für all die Kinder, aber genauso für die Älteren und Gebrechlicheren und Kaputten, und andere müssen nicht nur die zum eigenen inneren Kreis gehörenden Leute, nein, auch ganz weit weg von denen, ganz fremde Wannen von wiederum Damen, die überhaupt nichts mit ein_er zu tun haben, die ganze Zeit, und dann am Ende kam jemand, wohl kaum eine F_rau, und schrieb da so hin: A Clean House is a Sign of a Wasted Life – also schrieb im Grunde hin: Diese Aufrechterhaltung eines Hygienemindestmaßes zur Wahrung der Zivilisation ist verschwendete Lebenszeit.
Ich wollte nie mehr diesen Spucki sehen müssen. Also riss ich ihn in kleinste Stücke vom Schaufenster der Metzgerei in der Parallelstraße, am helllichten Tage, die andern glotzten, und kratze ihn, Solidarität muss praktisch werden, überall runter, wo ich ihn fand (und das war häufig). Und ich werde ihn runterschaben in Hirnen, in Worten und in Taten, hier und anderswo, und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Vom Schreiben zum Kind und andersherum

Das Schreiben mit einem sehr kleinen Kind war eine hochkonzentrierte Angelegenheit. Damals, als wir den Sommer über zur Zwischenmiete in Zürich wohnten, C. wieder morgens und abends arbeitete und ich unser Kind den Tag über durch diese so reiche und ordentliche Stadt schob, immer irgendein hochkulturelles Hörspiel im Ohr, der Mann ohne Eigenschaften oder die Ästhetik des Widerstands – wahrscheinlich um einen Mangel zu kompensieren, es war aber auch einfach gute Unterhaltung –, wie konzentriert ich dann war, in der einen Stunde Mittagsschlaf und wieder ab halb acht, wenn H. schlief. Er schlief ja immer sehr ruhig, sehr zuverlässig, schlief schnell und ohne großen Kampf ein, oft auf meiner Brust, während ich sehr leise über Kopfhörer diese großartigen Hörspiele weiterhörte, an Ulrichs Seite durch Kakanien schlenderte oder durch die Augen der deutschen Arbeiterschaft den Pergamon-Altar betrachtete. Wenn sich seine Hand, die sich an einen meiner Finger festklammerte, lockerte, wusste ich, dass er eingeschlafen war, und kaum saß ich am Küchentisch, stellte ich eine halbe Stunde lang meinen Kopf vor Youtube komplett aus, trat wirklich in eine Art regenerativen Stumpfsinn ein, aus dem ich dann, als es endlich genug war, hochschrak und so unheimlich konzentriert anfing, zu schreiben. Ich überarbeitete mein Buch über Mohammed, ich schrieb die letzte Erzählung zum „bösen Menschen“. Diese Texte hatten dann nichts mehr mit meinem Kind zu tun, fanden an völlig anderen Orten statt, in Wüstengegenden oder einem Geisterdorf im Muldental. Ich hatte wirklich das Gefühl, mich in Mohammed hineinversetzen zu können, ich schrieb ihm Passagen an innerer Rede, und wusste nicht, ob schon das Blasphemie war. Oder ich ließ meinen Erzähler in der Prignitz aus dem Fenster steigen und mit einem Satz nach Amerika übersetzen. Und wenn H. dann doch einmal aufwachte, aufheulte, sofort irgendetwas wollte, riss es mich zurück, in einer monströsen Sekunde wurde ich wieder der Verantwortliche für ein Kind, mein Kind, für H.; beruhigend säuselte ich ihm ernstgemeinte Elternfloskeln ins Ohr, während er an seinem Fläschchen saugte, mit geschlossenen Augen, und diese winzigen Piepstöne von sich gab, atemberaubende Töne, reinste Zauberei, umwerfend, dieses Kindchen, hin und weg war ich, vom Schreiben zum Kind und andersherum.

„pfeilend“ – Texte zu Celans Gedicht „Für Eric“

Im Nachlass des Dichters Paul Celan, der in diesem November 100 geworden wäre, findet sich das Gedicht „Für Eric“. Dem Sohn gewidmet, lässt Celan darin Bilder der Gewalt gegen Kinder – gegen sich selbst? –  und der Identifikation aufblitzen: „hält die Zeit sich die jähe / rebellische Waage // ganz wie du, mein Sohn, / meine mit dir pfeilende / Hand“. Wer verübt hier was an wem? Wer ist Kind, wer Vater? An der Textreihe, die diesem Gedicht gewidmet ist, beteiligten sich Eva Brunner, Dmitrij Gawrisch, Linn Penelope Micklitz, Selim Özdogan, Barbara Peveling und Sibylla Vricic Hausmann. Es geht in ihren Texten darum, wie sich Eltern in den eigenen Kindern wiedererkennen, wie sie sich selbst und wie sie ihr Kind behandeln (können). Ist es möglich, das Kind auch dort zu unterstützen, wo eigene Verletzungen verborgen sind? (Und nur darauf warten „vererbt“ zu werden?) Oder bleibt, wie Linn Penelope Micklitz schreibt, am Ende doch „alles beim alten“?

halbmond, stürzen von Linn Penelope Micklitz
Ganz wie du von Eva Brunner
Zusätzlicher Förderbedarf von Dmitrij Gawrisch
statu nascendi von Barbara Peveling
Verpass nichts von Selim Özdogan
meine mit dir seiende Hand von Sibylla Vričić Hausmann

halbmond, stürzen

ganz wie du willst mein schatz, ja mein lieber, ganz deiner meinung, mir ganz egal, hauptsache du bist, ja genau, denke ich auch, ja sicher, ganz wie du meinst, alles was du willst, liebster, ich will was du willst mein kleiner, du goldstück, alles was du sagst, mir geht es ja immer, wirklich, mir geht es ganz genau, wie du sagst, wie dir geht es mir auch immer, ganz genauso, ganz genau wie du, macht einfach wie ihr denkt, ich bin einverstanden, was ihr wollt, was auch immer, ich bin halt dabei, lasst euch nicht stören, meine lieben, von meiner abwesenheit, ich habe doch nichts zu wollen, also alles entspannt hier bei mir, ich habe nichts als den blick aus dem fenster, will ja nicht, will ja nichts; doch der halbe mond, der hört einfach nicht auf zu leuchten in dieser atemraubenden dämmerung. ja liebling, ich schwinge mich zum mond, mit meinen müden armen und ja, ja, selbst wenn ich vorbei sause am mond, dann, genau, dann lande ich bei den sternen, danke für diesen, wow, so inspirierend, genau, und ein entspannendes bad nehmen, ja, ganz wie du willst, danke für die kerze, du und deine ideen, ich komme auch gleich, nur noch schnell aus dem wasser, aus dem fenster steigen, mich zum mond stürzen, wenns daneben geht, auch egal, es bleibt eben, wie immer, alles beim alten.

Ganz wie du

Du machst mich oft wütend oder überforderst mich einfach, manchmal mache ich mir Sorgen, dass du nicht genug gemocht wirst, denn du willst immer gehört werden, hast ständig einen Einfall, eine Frage oder einen Witz auf den Lippen, möchtest Reaktionen sehen, redest beim Essen, beim Vorlesen, beim Schuhe anziehen und spazieren gehen. Du weißt, was du magst und nicht magst, machst wenig Kompromisse, bist oft erschüttert über schlechtes menschliches Verhalten, freust dich kurz darauf über ein Easteregg. In vielem war ich ganz wie du, und deute die Reaktionen der Erwachsenen rückblickend neu. Weiß nicht, ob ich das lustig, schön oder traurig finden soll.

Zusätzlicher Förderbedarf

Und du willst später Abitur machen, gar auf die Universität? Setzt dich erstmal richtig hin. Rücken gerade. Ellbogen auf den Tisch. Im Deutsch, ausgerechnet im Deutsch. Wie hält man den Stift richtig? Hast du vergessen, was deine Eltern von Beruf sind? Nein, in der Schule kannst du die Buchstaben nicht mehr auf deine Art schreiben. Im Kunstunterricht, meinetwegen im Kunstunterricht, kannst du es machen, ganz wie du willst. Du blamierst uns. Alles ausradieren und von vorne. Schon besser, bravo. Geht doch, siehst du? Jetzt wisch dir mal diese Tränen weg. Ich habe die Schule als Klassenbester abgeschlossen. Es gibt keinen Grund, warum du das nicht auch schaffen solltest.

statu nascendi

worte, sind nicht so dein ding
du hast die sprache im blick, im lachen auch.
deine neuronen leiten nicht, sie tanzen,
synapsen entzünden feuerwerke in deinem kopf
ich kann ihr leuchten sehen, jeden tag.
lehrer sagen, du kannst nicht lesen, alte schule.
oft will ich jetzt
anhalten
aufgeben
ganz wie du,
das erlaube ich mir nicht,
damit du später
ohne mich
aufstehst
weitergehst
ganz wie ich.

Verpass nichts

Wenn jemand ungeschickt ist in deiner Gegenwart
oder tollpatschig
ist ihm das nicht unangenehm
Niemand fühlt sich von dir beurteilt oder bewertet
Die Menschen sind freier in deiner Gegenwart
und wenn du lachst, lachen sie oft mir dir
Für dich ist Zeit nicht an manchen Tagen ein enger Tunnel
durch den man durch muss
als würde man gehetzt
Für dich sieht der Garten meines Opas wahrscheinlich so groß aus
wie er für ich ausgesehen hat
vor vielen vielen Jahren
Du stampfst mit dem Fuß auf
wenn du etwas Nachdruck verleihen willst
du schlägst nicht mit der Faust auf den Tisch
Du hältst nicht fest an Geschichten
die du dir immer wieder und wieder erzählst
an Geschichten darüber
wer du bist und wer die anderen sind
Du versuchst dich nicht selbst zu überzeugen davon
dass du die richtige Wahl getroffen hast
Du verschiebst dein Glück nicht in eine Zukunft
die nie kommt
Du siehst wie wir leben
aber du machst es einfach anders
Natürlich wünsche ich mir
ganz wie du
zu sein
Aber da das nicht geht
nehme ich dich als Lektion und als Prüfung
und manchmal befürchte ich
dass ich schon zu viele Lektionen verpasst habe

meine mit dir seiende Hand

Du bist ganz. Wie du zum ersten Mal in meinem Arm liegst, mit deinem dichten Rückenflaum, fühle ich es. Du kennst Konzepte nicht wie Arroganz, Videobotschaften, Kaffeetrinken; deine Augen und Haare sind stumpf, das Dasein unterm Taglicht gibt ihnen irgendwann Glanz. Wie dunkel war es wohl unter meinem Magen? (Und auf dem Weg nach draußen? War das wie eine Dämmerung?) Ganz wie du subkutan spieltest und schliefst, ganz wie du mich in Atem hieltst, wiege ich dich jetzt ohne Not, decke dich mit fleischiger Mutterhand zu. (du hast schon eine Stimme, aber noch keinen Schrei.) Dein Vater ist rauchen. Auch er kam mir sehr lieblich und einleuchtend vor, als ich ihn erstmalig sah – glanz wie du.

Rarely Asked Questions: Julia Eichhorn

Wieso beschäftigen sich derzeit so viele Neuerscheinungen mit Mutterschaft? Und wieso kommt Vaterschaft als Thema seltener vor, oder ist das gar nicht so?
Julia Eichhorn: Das ist meines Erachtens ein Nachholen, eine überfällige Entwicklung. Lange haben weniger Frauen geschrieben, lange Jahre Schriftstellerinnen mit Kind ihre Mutterschaft in den Hintergrund gestellt. Nun kommt eine neue Generation, eine neue Offenheit und das Bedürfnis, Muttersein zum Thema zu machen, über Muttersein zu lesen. Für Männer gab es schon immer eine größere Selbstverständlichkeit, beides zu sein, Künstler und Vater, und weniger Zerrissenheit zwischen dem Alltag als Vater und Autor, es gab und gibt weniger Infragestellen der eigenen Position.

Stehen schreibende Väter vor anderen Problemen als schreibende Mütter?
Julia Eichhorn: Ja, das Problem der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie stellt sich ihnen meist viel weniger. Es ist vielleicht vor allem ein Problem jener Väter, bei denen das anders ist, sich Gehör zu verschaffen.

Kann der Literaturbetrieb familienfreundlicher gestaltet werden, und wenn ja wie?
Julia Eichhorn: Ja, unbedingt, vor allem bei der Förderung, vor allem bei Aufenthaltsstipendien, sollte darauf geachtet werden, dass auch Eltern mit Kindern teilnehmen und arbeiten können, zum Beispiel durch eine Betreuungsmöglichkeit der Kinder. Das ist aber nur ein sehr praktisches Beispiel. Die vielen Schranken im Kopf gilt es langfristig aufzubrechen.

Haben Sie sich aufgrund Ihrer Elternschaft im Literaturbetrieb schon einmal diskriminiert gefühlt?
Julia Eichhorn: Ja, jedes Mal, wenn ich mir überlege, ob ich die Kinder überhaupt erwähnen soll. Und bei den mitleidigen Blicken oder Nachfragen, nachdem ich sie erwähnt habe, auf der Messe oder bei Abendveranstaltungen, wie lange ich die Kinder „alleine“ lasse.

Können Sie ein Buch empfehlen, in dem die Herausforderungen der Care-Arbeit literarisch überzeugend dargestellt werden?
Julia Eichhorn: „Schäfchen im Trockenen“ von Anke Stelling.

Julia Eichhorn gründete 2019 die Julia Eichhorn Literaturagentur und lebt in Berlin. Ihre Kinder kamen 2014 und 2018 auf die Welt.