Deborah Levy: Heim schwimmen

„Das Leben ist nur lebenswert, weil wir hoffen, dass es irgendwann besser wird und dass wir am Ende alle wohlbehalten heimkehren.“

9783803132475Deborah Levy wurde 1959 in Südafrika geboren und lebt heutzutage in London als freie Autorin. Neben Prosatexten schreibt sie vor allem Drehbücher und Theaterstücke. Ihr Roman „Heim schwimmen“, der im Original „Swimming Home“ heißt, war unter den Finalisten für den Man Booker Prize 2012.

„Heim schwimmen“, der Roman von Deborah Levy, spielt im Juli 1994. Das Ehepaar Jacobs macht Urlaub in Frankreich, in einer Villa bei Nizza. Isabel Jacobs ist Kriegsberichterstatterin und häufiger unterwegs, als zu Hause.

Um das zu tun, was sie sich in diesem Leben vorgenommen hatte, riskierte sie es, ihren Platz als Ehefrau und Mutter zu verwirken – ein verwirrender Platz, an dem ihr all die Erwartungen im Nacken saßen, die an einen gestellt wurden, wenn man sich für ihn entschied.

Ihr Mann Jozef ist Dichter und kümmert sich um die gemeinsame vierzehnjährige Tochter Nina. Jozef und Isabel haben kaum noch etwas gemeinsam, außer Nina, die sie beide verbindet. Begleitet werden sie von ihren Freunden Laura und Mitchell. Mittlerweile beruht die Freundschaft zwischen ihnen lediglich noch auf der gemeinsam verbrachten Zeit, ansonsten hat man sich kaum etwas zu sagen.

Es gab Zeiten, da hatte er das Gefühl, dass sie ihm kaum in die Augen schauen könne, ohne ihr Gesicht in den Haaren zu vergraben. Und er konnte ihr ebenso wenig in die Augen schauen, weil er sie schon so oft betrogen hatte.

Trotz des traumhaften Ferienorts, ist die Stimmung düster. Laura und Mitchell müssen ihr Geschäft schließen, da sie mittlerweile nicht einmal mehr die Raten für die Hypothek bezahlen können. Doch auch im Urlaub hört Mitchell nicht damit auf, auf großem Fuß zu leben und weiter Schuldenberge anzuhäufen. Die Stimmung unter den vier Freunden ist angespannt und geprägt von unausgesprochenen Spannungen und Konflikten. Es ist kein Zufall, dass Mitchell Jozef, der von allen nur Joe genannt wird, insgeheim als „Dichterarsch“ bezeichnet. Auch das Verhältnis zwischen Isabel, Joe und Nina ist angespannt und von ständig wechselnden Bündnissen und Zerwürfnissen begleitet.

Ihre Mutter verschwand nach Nordirland, in den Libanon oder nach Kuwait, und dann kam sie zurück, als wäre sie nur mal eben Milch holen gewesen.

Plötzlich taucht auch noch ein nackter Frauenkörper im Swimmingpool auf. Doch die zunächst für tot gehaltene Frau ist quicklebendig: Kitty Finch entpuppt sich nicht nur als leidenschaftlicher Fan von Joe, sondern gleichzeitig auch als ein Mensch, der starken Schwankungen unterworfen ist. Mal verletzlich, mal vorwurfsvoll, mal rabiat – Kitty scheut kein Extrem und schnell wird offensichtlich, dass die junge Frau an psychischen Problemen leidet. Kitty Finch, die selbst ernannte Botanikerin, zieht für eine Woche in die Villa ein und bringt den Urlaub der beiden Familien gehörig durcheinander. Für die anderen ist sie eine Fremde, doch sie selbst glaubt, mit Joe, dem Dichter, eine ganz besondere Verbindung zu haben und ihr größter Wunsch ist, dass dieser ihr Gedicht „Heim schwimmen“ liest. Die Verbindung zwischen den beiden, beruht nicht nur auf einer poetischen Ebene, sondern auch auf der Tatsache, dass beide schwere Psychopharmaka nehmen mussten, um ihre Vergangenheit zu überwinden. Joe, der früher noch Jozef Nowogrodzki hieß, wurde 1937 im westlichen Polen geboren und hat, um fliehen zu können, seine Eltern zurücklassen müssen.

Deborah Levy unterteilt ihre nur 160 Seiten schmale Erzählung in sieben Tage. Am Ende des Romans wird ein Satz wiederholt, der bereits zu Beginn des Romans aufgetaucht ist und dadurch schon fast zu einem Leitmotiv von „Heim schwimmen“ wird: „Das Leben ist nur lebenswert, weil wir hoffen, dass es irgendwann besser wird und dass wir am Ende alle wohlbehalten heimkehren.“ Es geht um das abstrakte Konstrukt Heimat, um die Metapher der Heimkehr, um das Nachhausekommen. An einer Stelle im Roman denkt Joe über einen Bären nach, der betäubt und dann in den Bergen ausgesetzt wurde:

Joe Jacobs hatte laut darüber nachgedacht, wie es sich anfühlen mochte, wenn man betäubt wurde und dann heimstolpern musste. Hatte das Tier jemals nach Hause gefunden?

Joe wurde nicht betäubt, doch nach Hause gefunden hat er auch nie wieder, da es nach der Flucht für ihn keine Heimat mehr gegeben hat. Auch für Kitty, die rastlos ist, scheint es kein Zuhause zu geben, während sich Isabel wie ein Geist im eigenen Heim fühlt. Eine zentrale Rolle in dem Roman spielt auch Nina, die der Leser bis in das Jahr 2011 hinein begleitet. Nina ist die jüngste Bewohnerin des Ferienhauses und allen Stimmungen und Strömungen hilflos ausgeliefert.

Ich habe nie so richtig begriffen, wann die Vergangenheit anfängt und wo sie aufhört, und auch wenn Städte die Vergangenheit in Form von Statuen festschreiben, die für immer in einer einzigen, würdevollen Pose erstarrt sind – so sehr ich mich anstrenge, die Vergangenheit dazu zu bewegen, stillzuhalten und sich anständig zu benehmen: Sie regt sich doch und begleitet mich durch jeden einzelnen Tag.

Deborah Levy ist mit „Heim schwimmen“ ein 160 Seiten schmales psychologisches Meisterwerk gelungen. Ein kraftvoller und verstörender Roman, der sich auf beeindruckende Art und Weise mit dem Thema Heimat beschäftigt, aber auch den Umgang mit psychischen Erkrankungen thematisiert. „Heim schwimmen“ überzeugt durch eine beinahe schon magische Sprache, die eine betörende und gleichzeitig erschreckende Szenerie erschafft. Ein großartiger Roman von einer Autorin, von der wir hoffentlich in Zukunft noch mehr zu lesen bekommen werden.

Deborah Levy: Heim schwimmen. Aus dem Englischen von Richard Barth. Wagenbach 2013, 168 Seiten, 17,90 €.

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