Von Kriminalromanen erwarte ich in erster Linie spannende Unterhaltung. Ein guter Krimi verleitet mich dazu, ihn schnell zu lesen, weil mich die Handlung interessiert und die Entwicklung der Ereignisse so fesselt, dass ich das Buch bei jeder Gelegenheit zur Hand nehmen möchte. Ein angenehmer, fließender Schreibstil und greifbare Charaktere vervollkommnen das Lesevergnügen.
Wenn ich nun einen Krimi, dessen Autorin mir inklusive des Verlags noch unbekannt ist, zur Hand nehme, schraube ich meine Erwartungen ein wenig runter. Ich bin nicht voreingenommen und lasse mich gerne überraschen, doch im Hinterkopf raunt eben doch ein kleines Stimmchen und warnt mich vor einer möglichen Enttäuschung. Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht, doch zum Glück bin ich kein Bauer, denn sonst hätte Lena Avanzinis Kriminalroman nie den Weg zu mir gefunden.
„Tod in Innsbruck“ gehört zu den guten Krimis, zu denen, die ich schnell lesen möchte und die mich vorfreudig auf jede Leseminute blicken lassen. Doch das Beste ist, dass sich am Ende jede dieser Minuten gelohnt hat.
2010 in Innsbruck: Ein Pilzesammler findet auf einem Waldspielplatz eine Plastiktüte mit abgetrennten Gliedmaßen. Zwei Arme befinden sich darin und der Anblick der verstümmelten Körperteile macht nicht nur dem Sammler zu schaffen, sondern auch Oberst Heisenberg. Der Polizist steht kurz vor seiner Pensionierung und hatte eigentlich gehofft, seine letzten Tage im Arbeitsleben ruhig ausklingen zu lassen, doch der grausige Fund macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Die Hinweise auf den möglichen Täter sind mehr als dürftig und zu allem Übel scheint es sich nicht um einen Einzelfall, sondern um eine ganze Serie von abartigen Morden zu handeln.
Ungefähr zur selben Zeit in München erfährt Medizinstudentin Vera von dem plötzlichen Tod ihrer kleinen Schwester Isa. Die junge Pianistin, die in Innsbruck auf ein renommiertes Musikgymnasium ging, war erst 16 Jahre alt und starb aufgrund einer Kombination aus Magersucht und Herzfehler. Als Vera davon hört, fällt sie aus allen Wolken! Sie glaubt nicht daran, dass Isa eines natürlichen Todes gestorben ist und unterbricht kurzerhand ihr Studium, um Isas Magersucht und deren Ursache auf den Grund zu gehen.
Je intensiver Vera in Innsbruck ihre Nachforschungen betreibt, desto näher rückt sie in den Dunstkreis des Mörders und verstrickt sich in Zusammenhänge, die nur mit Mühe ans Licht gezerrt werden können…
Diese Zusammenhänge entfalten sich Schritt für Schritt in Form verschiedener Erzählstränge. Den Auftakt bildet ein Prolog aus der Sicht des Mörders und auf diesen ersten Seiten war ich noch nicht sehr angetan von dem Geschriebenen. Das lag weniger daran, was erzählt wird, als vielmehr wie es erzählt wird. Avanzinis Stil ist hier recht blumig und beschreibend. Es wimmelt nur so von Adjektiven, was mir persönlich gar nicht gefällt. Ich mag lieber subtile Beschreibungen, die Raum für die eigene Vorstellungskraft lassen, doch eben jener Raum wurde mir zu Beginn genommen.
Erstaunlicherweise verliert sich dieses Stilmittel im Laufe der Handlung. Die Beschreibungen weichen einem Wortreigen, der sich locker runterliest und zugleich mit einem breiten Wortschatz aufwartet. Vereinzelte Wendungen kamen mir zwar etwas merkwürdig vor (z.B. „einen Kaffee aufstellen“ anstatt „einen Kaffee aufsetzen“), doch im Ganzen handelt es sich um wenige Ausnahmen, die den Lesefluss nicht weiter stören.
Abgesehen von diesen beiden Kritikpunkten habe ich die Lektüre von „Tod in Innsbruck“ sehr genossen. Genau wie ich es bei dem Genre mag, handelt es sich um leichte, spannende Unterhaltung, die durchaus ein paar Kniffe in sich birgt.
Geradezu raffiniert führt Avanzini den Leser an der Nase herum. Ich habe mehrmals einen möglichen Täter im Visier gehabt und wurde hinsichtlich der Auflösung doch vollkommen überrascht. Ich bin zwar kein alter Krimihase, doch es ist lange her, dass ein Fall für mich so unvorhersehbar war wie dieser.
Durch die verschiedenen Erzählstränge dauert es seine Zeit, bis man die Zusammenhänge erkennt, denn was zunächst wie zwei bis drei voneinander unabhängige Handlungen wirkt, verwebt Avanzini im Laufe der Seiten auf gekonnte Weise. Der Plot ist nahezu perfekt ausgeklügelt, ohne dabei zu konstruiert oder angestrengt zu wirken.
Ähnlich verhält es sich mit den Charakteren. Jeder von ihnen wird ausreichend und somit greifbar beschrieben, ohne dass das Miteinander unecht wirkt. Wie so oft knistert es zwar zwischen bestimmten Figuren, doch dieses Knistern dient nicht dazu, die Handlung aufzupolieren, sondern wirkt relativ authentisch und aus dem Leben gegriffen.
Im Ganzen bin ich sowohl von dem Aufbau der Handlung als auch vom Spannungsbogen und den Figuren begeistert. „Tod in Innsbruck“ ist in meinen Augen ein überaus gelungener Krimi, der den Leser mehr als einmal in die Irre führt und mit voranschreitender Seitenzahl fesselt. Gestaltet sich der Einstieg noch etwas dröge, entfaltet die Geschichte nach und nach ihr volles Potential, sodass ich es jetzt nach der letzten Seite bedaure, dass es aufgrund der Umstände voraussichtlich keine Fortsetzung von Heisenbergs Ermittlungen geben wird. Das ist schade, denn der knurrige Oberst hätte sich hervorragend für eine Serie geeignet. So bleibt vorerst nur der eine Fall und die Hoffnung, dass Avanzini das Schreiben nicht aufgeben wird.
Anmerkung: Interessierte Leser können sich nach der Lektüre hier die realen Schauplätze der Handlung ansehen.
Lena Avanzini: Tod in Innsbruck. emons 2011, 265 Seiten, 9,90 €.
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