Pat Barker: Tobys Zimmer

Die Menschen in Zeiten des Krieges.

barkerKann ein Roman trotz der Grausamkeit des Krieges schön sein? Das kann er, wenn er aus der Feder von Pat Barker stammt. Hierzulande war die 1943 geborene Autorin bislang eher unbekannt, doch das hat sich jetzt geändert. Dem Dörlemann Verlag sei Dank, hat er uns doch mit Tobys Zimmer ein einzigartiges Leseerlebnis geschenkt.

In England ist Pat Barker mit ihrer Trilogie »Regeneration« – Niemandsland, Das Auge in der Tür, Die Straße der Geister zu hohem literarischen Ansehen gelangt. Im Mittelpunkt der Trilogie steht der Erste Weltkrieg – ein Thema, das auch in Tobys Zimmer das Zentrum des Geschehens einnehmen wird.

Zunächst sind wir bei Elinor und Toby. Die beiden Geschwister fühlen sich zueinander hingezogen und verbringen eine intensive Nacht miteinander. Was genau geschieht, bleibt ein Geheimnis und verändert doch ihre Beziehung. Kurz nach diesem Ereignis gibt es einen Zeitsprung von wenigen Tagen nach vorn und ich finde mich in London. Hier studiert Elinor Malerei und Toby Medizin. Während er ihr deutlich zu verstehen gibt, dass sie wieder zur »Normalität« zurückkehren müssen – also zu jenem Zustand vor der Nacht – hängt Elinor in den Seilen, sucht das Davor. »Zwanghaft durchleuchtete sie jetzt die Vergangenheit und suchte nach dem Augenblick, da sie vom rechten Weg abgekommen waren.« Toby geht auf Abstand und das gemeinsame Lernen während Elinors Anatomiekurses entfällt ganz.

Als der 1. Weltkrieg ausbricht, meldet sich Toby als Chirurg zum Dienst. Elinor hingegen ist eine Kriegsverweigerin und flüchtet sich in die Malerei aufs Land. Als Toby eines Tages als vermisst gemeldet wird, kann auch sie sich den Ereignissen nicht mehr entziehen. Von einer zermürbenden Unruhe geplagt, will sie herausfinden, was passiert ist. Vielleicht lebt Toby ja noch? Und was wissen die gemeinsamen Freunde Paul und Kit? Beide sind im Krieg verletzt worden und liegen im Londoner Krankenhaus, in dem Elinors ehemaliger Kunstprofessor arbeitet. Elinor nimmt das Angebot ihres Professors an und zeichnet im Krankenhaus die Verwundeten. Auf diese Weise sucht sie auch die Nähe zu Kit und hofft so, der Wahrheit des verschwundenen Bruders näher zu kommen. Interessant ist hierbei die Kunst, die entstanden ist und die es tatsächlich gegeben hat: Bilder über verwundete Soldaten.

Tobys Zimmer ist ein zutiefst eindringliches Werk, das vor dem Grauen des Krieges nicht zurückweicht und trotzdem in einer ganz besonderen Schönheit erstrahlt. Das gelingt Pat Barker einerseits durch ihren glasklaren Schreibstil, der unglaublich detailtreu erzählt. Andererseits schafft sie wunderschöne poetische Bilder, die mich wie ein Mantel umarmen: »Die Häuser wirkten im Mondlicht unwirklich. Nur der Mond war echt, schüttete weiße Säure auf die Straßen und machte Taxis, Straßenbahnen, Autos, Büros und Läden mit seinem Strom flüssig.« Keine Seite ist zu viel, jeder Satz perlt zwischen den Augen seidenfein ab und eine Spannung durchzieht das Buch, der man einfach nicht entkommen kann.

Die vielfach preisgekrönte Autorin berichtet von den Folgen des Krieges und den schlimmsten Verletzungen, die es geben kann, wie die von Kit, der seine Nase verliert, oder die seelischen, die einen bis in die Träume verfolgen. Man möchte wegschauen, doch es funktioniert nicht, weil in ihren Worten eine ganz wunderbare Faszination liegt. Bis zum Schluss weicht das Gefühl nicht von meiner Seite, ein besonderes Werk der Weltliteratur in den Händen zu halten – derart geschliffen schön und vielfältig ist es.

Pat Barker: Tobys Zimmer. Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow. Dörlemann Verlag 2014, 400 Seiten, 23,90 €. Den Roman jetzt direkt und portofrei bei ocelot.de bestellen. Oder das eBook für 14,99 € downloaden.

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