Michel Bergmann: Weinhebers Koffer

weinhebers_kofferUnvergessen ist das Gefühl, welches ich hatte, als ich das erste Mal diesen schmalen und mit blauem Leinen wunderschön gestalteten Band in der Hand hielt. Etwas unwiderstehlich Geheimnisvolles strahlte von ihm aus. Herausgegeben von Nikolaus Hansen, eröffnet „Weinhebers Koffer“ die Edition Kattegat, eine neue Reihe im Dörlemann Verlag, welche das Meer in all seinen Facetten zeigen und sowohl Neuerscheinungen als auch Klassiker der Literatur vereinen wird. In dem Roman von Michel Bergmann steht das Meer als Symbol für Weggehen und Ankommen. Als Chance, ins Licht zu reisen oder für immer Abschied zu nehmen. Es ist die Geschichte einer Flucht.

Elias Ehrenwert ist auf der Suche nach einem passenden Geschenk für seine Freundin Lisa Winter. Bei einem türkischen Trödler im heutigen Berlin findet er einen alten Koffer, dessen Initialien L.W. ideal auf den Namen der Freundin passen. Die Freude, endlich das Richtige gefunden zu haben, wird verdrängt von seiner Neugier, welche Geschichte wohl hinter dem geheimnisvollen L.W. stehen mag. Seine Suche führt Elias bis nach Israel, wo der Koffer viele Jahre aufbewahrt wurde. Denn sein Besitzer, der Berliner Jude Leonard Weinheber, hat das damalige Palästina nie erreicht.

Weil dieses Geheimnis Elias keine Ruhe lässt, beginnt er zu recherchieren und entdeckt, dass es im Mai 1939 ein Schiff voller Flüchtlinge Richtung Palästina gegeben haben muss. Gedrängt von seiner großen Liebe Lenka Rosen, die bereits vorgereist war und in einem Kibbuz lebte, hatte auch Leonard Weinheber dieses Schiff mit seinem Koffer betreten. Was ist auf dieser Reise passiert, dass Lenka und Leonard sich in Palästina nicht mehr begegnen konnten?

Bergmann, 1945 als Kind jüdischer Eltern in der Schweiz geboren, erzählt diese Geschichte in schnell wechselnden Sequenzen. Unzählige Personen helfen dem im heutigen Berlin lebenden Elias bei seiner Spurensuche. Kaum ist ein Geheimnis gelüftet, öffnet sich eine neue Spur. Egal, ob die junge Cary Mayer auf dem Dampfer nach Palästina, der arabische Freund von Elias im heutigen Israel oder die alte Miriam mit ihrem „bissel Daitsch“ – sie alle gehören untrennbar zu der Geschichte um Weinhebers Koffer, an deren Ende ich sprachlos und berührt bin. Auch wenn ich gerade noch verwirrt war wegen der Vielzahl der Ereignisse an all den Orten und zu verschiedenen Zeiten, so sind am Ende alle Ungewissheiten geklärt. Ich habe von einer außergewöhnlichen Liebe erfahren, ich habe wieder einmal ein Stück mehr Erkenntnis gewonnen für die Situation im Nahen Osten. Die verschiedenen Ansichten der Juden und Araber beschreibt Bergmann mit durchaus kritischem Blick – bleibt dabei jedoch immer feinfühlig und wertfrei.

Michel Bergmann: Weinhebers Koffer. Dörlemann Verlag 2015, 160 Seiten, 16,90 €.

8 Kommentare zu „Michel Bergmann: Weinhebers Koffer

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  1. Hört sich nach einer schönen Geschichte und Buchreihe an. Danke. Habe mal „Kattegat“ recherchiert und herausgefunden, dass es übersetzt „Katzenloch“ heißt. Das angrenzende Skagerrak kennt man vom Namen her ja besser.

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  2. Danke für die Recherche! Dass es ein Ort sein muss, hatte ich irgendwie auch gedacht. Wahrscheinlich war Nikolaus Hansen zusätzlich inspiriert von dem Gedicht „Logbuch“ von Joachim Ringelnatz (ist im Dörlemann-Katalog mit abgedruckt):

    „Die Nacht war kalt und sternenklar
    Da trieb im Meer bei Norderney
    Ein Suahelischnurrbarthaar. –
    Die nächste Schiffsuhr wies auf drei.

    Mir scheint da mancherlei nicht klar
    Man fragt doch, wenn man Logik hat,
    Was sucht ein Suhaleihaar
    Denn nachts um drei am Kattegat?“

    Wünsche ein wunderschönes Wochenende mit viel guter Literatur

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