»Unser Motor ist die Freundschaft, unser Treibstoff der Pastis«
Johnny und Jean, der eine aus New York, der andere aus Paris, zwei gefeierte Künstler, die seit Beginn des Studiums eine innige Freundschaft eint. Nein, ganz so ist es nicht: In Wirklichkeit stammen Johnny und Jean aus demselben Dorf, haben sich selbst diese Namen gegeben, um mehr nach Weltbürger und weniger nach Provinz zu klingen, und studieren nun gemeinsam Kunst in der zweitgrößten Stadt des Landes (Österreich denkt man aufgrund der Autorenvita immer mit, auch wenn es nicht einmal benannt wird). Und befreundet sind sie in Wahrheit auch nicht, es ist Johnny, der Ich-Erzähler, der sich nach einer Freundschaft mit Jean sehnt, so wie er sich nach New York sehnt.
Mit ihrem zweiten Roman Johnny und Jean ist die 1979 geborene und in Wien lebende Autorin und Künstlerin Teresa Präauer nun für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, ihr Prosadebüt Für den Herrscher aus Übersee wurde 2012 mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Wiederum zwei Jahre zuvor veröffentlichte sie gemeinsam mit Wolf Haas ein Bilderbuch für Kinder und Erwachsene, Die Gans im Gegenteil – von ihm stammen die Reime, von ihr die Illustrationen. Für Johnny und Jean hat sie ebenfalls zu Buntstift und Tusche gegriffen: Auf dem Rückdeckel ist – das verraten uns die Sprechblasen – Jean abgebildet, also darf man davon ausgehen, dass der junge Mann mit blau-rosa Strickmütze auf der Vorderseite Johnny ist.
Wenn es so ist, sagt diese Illustration bereits viel über die Beziehung der beiden aus: Der eine blickt etwas missmutig – oder skeptisch? – drein; der andere ist nicht mehr als ein Schattenriss, außer der Statur lässt sich nichts daraus ableiten. Und so ist Jean im gesamten Roman: eine ungefähre Vorstellung, flüchtig, schwer greifbar. Für Johnny ebenso wie für die anderen Kommilitonen am Kunstinstitut oder für all die Frauen mit französischen Namen, die Jean datet. Kaum meint man zu wissen, wo er sich aufhält und was er tut, ist er auch schon wieder verschwunden. Jean ist der Mann, der Johnny gerne wäre: schöpferisch und rastlos, auf Anhieb erfolgreich, als Künstler wie als Liebhaber begehrt. Er hat Ausstellungen und Affären, reist nach Paris, schließlich auch nach New York. Johnnys New York.
Der bleibt derweil in der zweitgrößten Stadt des Landes zurück, malt Fische, unzählige Fische, und dreht Zigaretten für die Kommilitonen, die sich nun endlich auch seinen Namen merken. Und er stellt sich vor, wie es wäre, mit Jean befreundet zu sein – der doch, auf dem Land, nicht weniger Trottel gewesen ist als er selbst. In der Tat ist der Roman vor allem eine Aneinanderreihung imaginierter Szenarien: wie die beiden in ihrem Stammlokal am Kai sitzen und Pastis trinken, sich dabei über Kunst und Frauen unterhalten und gemeinsam von Paris und New York träumen. Irgendwann – da macht auch Johnny langsam seinen Weg – freunden sie sich tatsächlich an, doch was wirklich geschieht und was nur in Johnnys Kopf, darüber hat der Leser längst den Überblick verloren.
Johnny führt nämlich nicht nur imaginäre – oder reale – Gespräche mit Jean, sondern auch mit allerhand verstorbenen Künstlern, Dalí, Duchamp, Malewitsch, und selbst mit den Fischen, die so beharrlich durch sein Werk treiben. Sie mischen sich ungefragt ein, kommentieren sein Leben und Schaffen, geben schlaue Ratschläge: »Und sag deinem Freund Jean, dass man für die Kunst manchmal auch den Zweifel braucht. Und die Einsamkeit und das Nachdenken. Oder irgendsowas.« Das ist vielerorts geistreich und höchst amüsant, immer irrwitziger werden die Schlagabtäusche. Nur manchmal, da gleitet es ins allzu Absurde ab und der Leser sehnt sich danach, auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren.
»Skizzenhaft hingetuscht« sei die Geschichte, so heißt es in der Begründung zur Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse. Und damit trifft es die Jury ganz gut: Teresa Präauers Johnny und Jean ist eine Mappe voller Skizzen, die mit raschen Federstrichen aufs Papier geworfen sind. Bilder einer Künstlerfreundschaft, zusammengesetzt aus wundersamen Motiven in pastellenen Farben: Sie sind das Gegenteil von (hyper)realistischer, aber auch von surrealistischer Malerei, weil sie gleichzeitig entrückt und zurückhaltend sind; alles an ihnen wirkt so flüchtig, wie Jean es ist. Ob es für den Preis reicht, ist schwer zu sagen, aber ein charmanter und anregender Roman ist es allemal.
Grölend, singend, lachend wandern wir nach Hause, viel später: es ist schon Morgen geworden, und zwei schmale Jungs haben zwei Flaschen Pastis intus gehabt.
Hinter uns eine Dunstwolke von Anis. Und vor uns der gelblich-weiße, trübe Nebel, der über dem Fluss liegt, damit die aufrührerischen Fische und die hässlichen Nixen darunter ungestört schlafen können.
[…]
Er hat sich bei mir untergehakt und wankt von einem Bein aufs andere. Wenn wir stolpern, rappeln wir uns gleich wieder auf. Wir sind eine kleine Maschine, die einem gemeinsamen Ziel entgegenrattert, nein, schnurrt: unser Motor ist die Freundschaft, unser Treibstoff der Pastis.
Wenn wir alt und berühmt sein werden, sage ich, werde ich unsere Memoiren schreiben: Unser Treibstoff war der Pastis. Jean und Johnny.
Teresa Präauer: Johnny und Jean. Wallstein Verlag, Göttingen 2014, 208 Seiten, 19,90 €.
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