In loser Reihenfolge stellen wir gemeinsam mit einer Handvoll Gastrezensenten alle zehn Titel und Verlage vor, die auf der Hotlist 2015 stehen. Gestern hat Caterina Havarie von Merle Kröger aus der Reihe »Ariadne Kriminalroman« besprochen, heute kommt die Verlegerin Else Laudan zu Wort. Die Beiträge erscheinen gleichzeitig auch auf dem Hotlistblog.
Politische Krimis und Noir-Romane sind unser Metier, ebenso wie linke und feministische Wissenschaft. Alle unsere Bücher suchen, fordern oder sondieren Möglichkeiten einer gerechteren Gesellschaft. Wir verlegen u. a. die Schriften von Antonio Gramsci, Stuart Hall, Frigga Haug und W.F. Haug, das Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus und die Theoriezeitschrift Das Argument (seit 1959). Doch politische Bildung ist bei uns nicht auf Theorie beschränkt: Die Ariadne Kriminalromane handeln von den dunklen Seiten der Wirklichkeit. In künstlerischer Form, mit kritischem, weiblichem Blick auf diverse noch immer patriarchale Verhältnisse. Denn Ariadne steht für relevante Spannungsliteratur – und für die Genrekompetenz eines sehr politischen Verlags.
1959 Gründungsjahr Das Argument
1988 Geburt der Ariadne Kriminalromane

Warum haben Sie sich entschieden, Havarie bei der Hotlist einzureichen? Was könnte es zum besten Buch aus unabhängigen Verlagen machen?
Merle Krögers vierter Roman Havarie ist ein brisantes Porträt heutiger Lebensweisen, ein literarisch hybrides Buch und dabei auch ein Politthriller. Was hier aus 11 Perspektiven erzählt wird, ist absolut realistisch, ist komplex und rasant, ist glänzend recherchiert, und es trifft durch seine Thematik einen Nerv. Merle Kröger versucht durch Form und Inhalt, uns Lesende auf Augenhöhe zu bringen mit den Protagonisten einer Begegnung auf See, sozusagen im Burggraben der Festung Europa. Das Mittelmeer und alles, was sich dort abspielt, geht uns alle an. Havarie verdeutlicht auf spannende, zugängliche Art, wie jeder Mensch seine Kulturgeschichte mit sich herumschleppt. In zeitgemäßen harten schnellen Schnitten gewährt der Roman Einblick in eine gewaltige Bandbreite von Lebenswelten und zeigt, dass Flucht, Vertreibung, Krieg in praktisch jeder Familiengeschichte aufspürbar sind. Die politische Dokumentarfilmerin und Schriftstellerin Merle Kröger schreibt mutig, mit Herz und Engagement. Havarie haben wir als schlicht-schönes kleines Hardcoverbuch gemacht, es ist ein gutes Aushängeschild für die inhaltlich-formale Kühnheit von Indies und zugleich für die spezielle Indie-Kompetenz, sich mit Hingabe um Autorinnen zu kümmern und um eine niveauvolle Genre-Aufarbeitung.
Was ist das Besondere an Ihrem Verlagsprogramm, an Ihrer Philosophie?
Das Ariadne-Programm ist in seinem Idealismus »typisch Indie«: Wir verlegen relevante realistische Romane, wir fassen das Genre Kriminalliteratur als bildendes Kopfkino auf, das den Horizont weiter macht und die theoretische Einsicht mit lebhaften, realistischen, packenden Geschichten unterfüttert. Ein guter Kriminalroman ist ein Fenster zur Welt, gewährt emphatische Blicke über den Tellerrand des Alltags hinaus. Ariadnes Politkrimis und Noirs handeln von den dunklen Seiten der Wirklichkeit. Blinde Flecken, Verdrängtes und Verschwiegenes: Unsere Autorinnen machen es zum Thema. Wir bringen nur Frauen, weil sonst überall die Männer überwiegen und weil wir ein feministisches Kulturprojekt sind, das kriminalliterarischen Realismus gegen die Ungerechtigkeiten im herrschenden System stellt. Das ist unser politischer Anspruch. Um die Welthaltigkeit des Genres auszureizen, braucht es eine künstlerische Form, die packt, ohne zu belehren. Das ist unser literarischer Anspruch. Die Realität ist noir.
Was bedeutet für Sie unabhängiges Verlegen? Darf es weitergehen wie bisher?
Ich rühmte ja schon die Kühnheit – unter uns Unabhängigen gibt es viele, die sich einen Kulturauftrag auf die Fahne schreiben, wie sich das m. E. für Verleger/innen eigentlich gehört. Erfolg ist für einen guten Verlag mehr als bloß profitorientiert Bücher auf den Markt werfen – wir sind auch dafür zuständig, das Publikum zu bilden, sein Vertrauen zu gewinnen und seine Neugier zu wecken, ihm wundervolle Autor/innen zuzuführen, die es noch nicht kennt. Dazu gehört für mich auch die spezielle Kompetenz, sich gezielt und liebevoll um eine respekt- und niveauvolle Genre-Aufarbeitung zu kümmern (das tut ja z.B. für die Kriminalliteratur nicht nur Ariadne, sondern auch Alexander, Unions, Pulpmaster, Pendragon, Polar u.v.a.).
Darf es weitergehen wie bisher? Als Kapitalismusgegnerin kann ich das nur verneinen! Wir sehen doch, was z.B. die Konzentration der Kultur antut, auf allen Ebenen. Aber unsere Vernetzung (die der Indies) schreitet ganz gut voran, das finde ich sehr erfreulich, zumal es dem konkurrenzfixierten kommerziellen »Literaturbetrieb« ein schönes kleines Fanal der Vielfalt entgegensetzt. Harmonie scheint möglich. Das gefällt mir.
Die beiden aktuell bemerkenswertesten Trends in der Buchbranche sind für mich erstens die immer weiter zunehmende konstruktive Vernetzung der unabhängigen Verlage und Buchhandlungen und ihre wachsende Beliebtheit beim Publikum – und zweitens die spürbare Konjunktur von literarisch anspruchsvollen politischen Kriminal- und Noir-Romanen, die seit der Krise ein immer breiteres Publikum finden. Beides macht mir Hoffnung.
Hier gibt es einen sehr aufschlussreichen Beitrag von Else Laudan zur Ausrichtung der Ariadne Kriminalromane sowie zur Entwicklung und Wahrnehmung des Genres allgemein. Wir danken der Verlegerin für das Gespräch und wünschen ihr und ihrem Team alles Gute.
Der Argument Verlag im Netz:
» www.argument.de
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