Der Vater: ein Kommunist in Unterhosen, ein starker Raucher, der zwei Päckchen am Tag verbraucht, der auch trotz reiferen Alters einen Waschbrettbauch hat und der der beste Tennisspieler in ganz Burzaco, Argentinien, ist. Claudia Piñeiro berichtet in ihrem autobiografischen Roman „Ein Kommunist in Unterhosen“ von einem Vater, der bei Küssen im Fernsehen, diesen sofort ausschaltet, der als gebürtiger Spanier sich nicht in die argentinische Politik einmischen will aber wohl trotzdem einen klaren politischen Standpunkt hat.
Konnte ein dermaßen ausgeprägter Individualist wie mein Vater Kommunist sein? Politisch aktiv war er nicht und Parteimitglied auch nicht. Er traf sich noch nicht einmal regelmäßig mit Gleichgesinnten. Als ich meine Mutter einmal fragte, ob er wirklich Kommunist sein, antwortete sie: „Lass ihn ruhig in dem Glauben …“ Und er hielt sich tatsächlich für einen Kommunisten, aber nicht nur das, er ließ es uns auch, sooft er konnte, wissen. Er war also erklärter, begeisterter Kommunist, nur eben in keiner Weise politisch aktiv – ein denkbar absurdes Verhalten: Indem er offen zugab, dass er Kommunist war, nahm er alle damit verbundenen Risiken in Kauf, ohne auch nur eine Heldentat vollbracht zu haben, die die Gefahr gerechtfertigt hätte, in der er sich begab. Er hatte noch nicht einmal ein Che-Guevara-Poster an der Wand hängen. Ein Kommunist in Unterhosen.
Piñeiro blickt zurück in ihre Kindheit, in das Argentinien der 70er Jahre. Damalige Präsidentin war Isabel Martínez de Perón, die 1976 durch die Militärs gestürzt wurde. Piñeiro musste als junges Mädchen feststellen, dass sie in der Schule eine Außenseiterin war. Ihre Freundinnen und ihr Umfeld befürworteten den Putsch und sahen in den Militärs sogar den Garant für Schutz und Wohlstand. Zu Hause vertrat der Vater eine andere Meinung. Diese Zerrissenheit, das zwischen den Stühlen sitzen, nicht wissend was falsch, was richtig ist, hinterließ Spuren bei der Jugendlichen. Intuitiv folgte sie dem Vater und erschuf mit „Ein Kommunist in Unterhosen“ eine Hommage an den geliebten Vater:
Es hieß also mal wieder: entweder er oder der Rest der Welt. Für meine Welt war er jedoch von zu großer Bedeutung, weshalb sich bei jeder Auseinandersetzung dieser Art die Waagschale letztendlich zu seinen Gunsten senkte.
Piñeiro hat ihrem Buch verschiedene Zitate vorangestellt. Eins davon steht sinnbildlich für den ganzen Roman. Es stammt von Guillermo Saccomanno: Gefährliche Lage
Meine Großmutter hat mir beigebracht: Die Erinnerung ist wie ein Zunge, sie geht immer zu dem Zahn, der am meisten wehtut.
Im Text sind immer wieder Verweise zu finden, die auf Bilder und Hintergrunderklärungen im zweiten Teil namens Matrjoschkas deuten. Matrjoschkas, weil das Gedächtnis wie eine Matrojschka funktioniert. Überhaupt ist der Roman von Vor- und Nachbemerkungen der Autorin, durch Intertextualität geprägt. Diese zusätzlichen Informationen und Betrachtungen runden den autobiografischen Roman ab, ordnen ihn zeitgeschichtlich ein und geben so einen tiefen Einblick in eine Phase Argentiniens im 20. Jahrhundert. Es ist zugleich ein Dokument dieser Zeit, wie auch kleine Taten Helden hervorbringen kann denn
das Leben ist eine Abfolge erbärmlicher Missgriffe und Verfehlungen, die nur ab und zu durch kleine Heldentaten unterbrochen wird. Und ob unser Dasein uns würdig vorkommt, hängt vom Verhältnis ab, in dem beides zueinander steht. Diese Würde soll uns wenigstens ein Mensch bezeugen können. Selbst wenn es gar nichts zu bezeugen gibt.
Claudia Piñeiro: Ein Kommunist in Unterhosen. Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Unionsverlag, Zürich 2014, 193 Seiten, 19,95 €.
Die Rezension ist ebenfalls auf glasperlenspiel13 erschienen.
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